Kognitive Störungen sind im Rahmen einer Major Depression (MD) vorhanden und wurden in den letzten Jahren vermehrt untersucht. Das neue Diagnostic and Statistical Manual 5 (DSM-5) führt die Beeinträchtigung der Kognition (beeinträchtigte Fähigkeit zu denken, sich zu konzentrieren und Unentschlossenheit) als Kriterium für die Diagnose einer MD an.

Die häufigsten kognitiven Beeinträchtigungen, die bei depressiven Patienten auftreten, sind Konzentrationsstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Informationsverarbeitungsstörungen, Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen und des Gedächtnisses. Die Schwierigkeit, Entscheidungen zu treffen, und der Verlust der kognitiven Flexibilität ist mit deutlicher Verminderung von psychosozialem Funktionsniveau verbunden. Kognitive Störungen beeinflussen auch Alltagsaktivitäten und die Lebensqualität. Derzeit gibt es erste Daten, die zeigen, dass Antidepressiva kognitive Störungen verbessern können. Therapeutische Interventionen, die sich auf eine Verbesserung von kognitiven Funktionen auswirken, können auch einen positiven Einfluss auf psychosoziale Funktionen haben.

Kognitive Defizite und Depression

Bisherige Studien zeigen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen, dass sich Patienten mit einer MD in bestimmten kognitiven Bereichen – wie oben beschrieben – unterscheiden. Ebenso zeigen Verlaufsstudien kognitive Defizite vor und nach einer Remissionsphase einer depressiven Episode. Eine rezente Metaanalyse schloss 644 Patienten und 570 gesunden Kontrollen ein. Die Daten von 13 Studien zeigten, dass Patienten mit einer ersten depressiven Episode mehr Beeinträchtigungen in den kognitiven Funktionen psychomotorische Reaktionszeit, Aufmerksamkeit, visuelles Lernen und Gedächtnis hatten als Gesunde. Zusätzlich stark beeinträchtigt zeigten sich die exekutiven Funktionen in den Bereichen Flexibilität der Aufmerksamkeit, verbale Wortflüssigkeit und kognitive Flexibilität bei depressiven Patienten. In Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung fanden sich Defizite vor allem in den Bereichen psychomotorische Geschwindigkeit, visuelles und verbales Lernen und Arbeitsgedächtnis. Die kognitiven Defizite waren auch abhängig von der Bildung und dem Alter. Bei älteren depressiven Patienten und Patienten mit geringerer Bildung fanden sich schlechtere kognitive Fähigkeiten. Insgesamt zeigte sich, dass kognitive Störungen bereits zu Beginn der depressiven Erkrankung vorhanden sind und über die Dauer des Krankheitsverlaufes andauern. Eine weitere Metaanalyse, die 14 Studien zu kognitiven Defiziten ebenfalls in der frühen Krankheitsphase der Depression (Spektrum) inkludierte, fand Zusammenhänge zwischen der Schwere der klinischen Symptomatik und herabgesetzter kognitiver Fähigkeiten in den Bereichen exekutive Funktionen, Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und episodisches Gedächtnis. Eine weitere Metaanalyse mit 15 Studien, die sich auf unipolare Depressionen ohne psychotische Symptomatik bezog (375 Patienten und 481 Kontrollen), konnte signifikante kognitive Defizite in der exekutiven Funktion, wie kognitiver Flexibilität, und verbale Wortflüssigkeit nachweisen.

… und pychosoziale Beeinträchtigungen

Es gibt Evidenz dafür, dass kognitive Defizite bei depressiven Patienten deutliche Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit haben. Studien zeigten, dass neben der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit auch der Verlust des Arbeitsplatzes vermehrt mit kognitiven Störungen verbunden ist. Da nach der Remission der klinischen Symptomatik kognitive Defizite wie exekutive Funktionen, Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit und psychomotorische Fähigkeiten andauern, haben besonders diese Beeinträchtigungen Auswirkungen auf die Leistungen am Arbeitsplatz. Depressive Patienten mit Störungen der selektiven Aufmerksamkeit haben häufiger eine geringere Remissionsrate und zeigen eine geringere Arbeitsproduktivität.

… und Krankheitsverlauf

Es gibt derzeit noch wenige Studien, die den Zusammenhang zwischen frühen kognitiven Störungen am Beginn einer depressiven Erkrankung und Rückfallrisiko untersucht haben. Es gibt erste Hinweise, dass frühe kognitive Störungen der selektiven Aufmerksamkeit mit erhöhtem Rückfallrisiko verbunden sind. In einer weiteren Studie konnte der Einfluss von reduzierten exekutiven Funktionen bei älteren depressiven Patienten auf die Rückfallrate gezeigt werden. Gedächtnisdefizite zeigten weniger Einfluss auf den Krankheitsverlauf.

Neuronale Regelkreise

Bei kognitiven Fähigkeiten sind sowohl vielfältige Neurotransmittersysteme sowie neuronale Regelkreise involviert. Der Hippokampus spielt eine zentrale Rolle bei Lernund Gedächtnisprozessen, weist wichtige Verbindungen zu den kortikalen Regionen auf und spielt eine wesentliche Rolle in der Integration von kognitiven und emotionalen Abläufen. In der Verarbeitung von Emotionen ist weiters auch das limbische System, besonders die Amygdala, involviert. Diese neuronalen Regelkreise spielen bei dem Zusammenhang zwischen kognitiven Defiziten und affektiver Störung eine wichtige Rolle. Strukturelle Defizite zeigen sich bereits in der Frühphase der depressiven Erkrankung, es konnten vor allem strukturelle Veränderungen im Hippokampus und der Amygdala festgestellt werden. Bei Patienten, die mehrere Krankheitsphasen hatten oder deren Erkrankung länger als zwei Jahre andauerte, fanden sich Abnahmen im Volumen des Hippokampus. Diese strukturellen Veränderungen korrelieren mit kognitiven Störungen, wie in einer Studie mit Ersterkrankten gezeigt werden konnte. Es fand sich ein Zusammenhang zwischen Abnahme des Volumens im linken Hippokampus und Gedächtnisfunktionen. Ebenso fanden sich Korrelationen zwischen einem herabgesetzten rechten Hippokampusvolumen und Defizite in den exekutiven Funktionen.
Bei kognitiven Störungen spielen folgende Neurotransmittersysteme eine wichtige Rolle: das serotoninerge (5-HT), noradrenerge (NA) and dopaminerge (DA) Neurotransmittersystem. Serotonin ist bei der Regulation der kognitiven Flexibilität und Aufmerksamkeit involviert. Zusätzlich sind bereits das Gleichgewicht zwischen Glutamat und GABA sowie BDNF untersucht worden. So ist etwa BDNF bei Lernen und Gedächtnisprozessen bei neuronaler Plastizität im Hippokampus und im präfrontalen Cortex beteiligt.

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Therapie der kognitiven Defizite bei Depression

Eine Reihe von Studien zeigt, dass depressive Patienten auch in der Remissionsphase kognitive Störungen haben, vor allem in der Konzentration und Entscheidungsfindung. Antidepressiva verbessern nachweislich kognitive Störungen. So zeigten sich im Vergleich zum Beginn der Therapie nach der Behandlung vor allem Verbesserungen in den exekutiven Funktionen.
Bisher verfügbare Studien weisen auf die Wirksamkeit von Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), Serotonin- Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRIs), Dopamin- Modulatoren wie Bupropion und Noradrenalin-Inhibitoren wie Reboxetin auf kognitive Funktionsstörungen bei MD hin. In einer Vergleichsstudie mit Escitalopram und Duloxetin zeigte sich, dass von den behandelten Patienten nach 24 Wochen 86 Prozent sich in Remission befanden, 14 Prozent in Teilremission (Herrera-Guzman et al., 2010). In beiden Behandlungsgruppen kam es zu Verbesserungen im verbalen und visuellen episodischen Gedächtnis, im Arbeitsgedächtnis und in der Informationsverarbeitung. Die Gruppe, die mit Duloxetin behandelt wurde, zeigte Verbesserungen im episodischen Gedächtnis und im Arbeitsgedächtnis. In einer kleinen Patientengruppe konnten auch Hinweise auf die Wirkung von Bupropion auf kognitive Funktionsstörungen gefunden werden (Herrera-Guzman et al., 2008). Raskin et al. (2007) untersuchten bei älteren Patienten (62–90 Jahre) mit MD die die Wirkung von Duloxetin auf kognitive Funktionsstörungen und konnte nachweisen, dass im Vergleich zu Plazebo Duloxetin signifikante Verbesserungen in den Bereichen verbales Lernen und Gedächtnis zeigte.
Vortioxetin ist ein neues multimodales Antidepressivum mit folgendem Wirkmechanismen: 5-HT3- und 5HT7-Rezeptor- Antagonismus, partieller Agonismus am 5-HT1BRezeptor, 5HT-1A-Rezeptor-Agonismus und Inhibition des 5-HT-Transporters. Zusätzlich kommt es zu einer erhöhten zentralen Neurotransmission von Noradrenalin, Dopamin, Acetylcholin und Histamin. Bisherige Studienergebnisse brachten erste Daten zur guten antidepressiven Wirkung von Vortioxetin bei erwachsenen und älteren Patienten mit MD. Ein prokognitiver Effekt konnte auch nachgewiesen werden. So fanden sich im Behandlungsverlauf signifikante Verbesserungen im verbalen Lernen und Gedächtnis und in der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit. In einer Gruppe von älteren Patienten im Vergleich von Vortioxetin mit Duloxetin zeigte sich, dass in beiden Therapiegruppen eine Verbesserung der verbalen Lernfähigkeit nachweisbar war, zusätzlich war Vortioxetin in der Informationsverarbeitung Duloxetin überlegen. In einer neuen doppelblinden randomisierten Studie von McIntyre et al. 2014 wurde in einer großen Gruppe von depressiven Patienten (n=602, 18–65 Jahre) der Effekt von Vortioxetin 10mg vs. 20mg vs. Plazebo über acht Wochen in der Wirkung im Hinblick auf kognitive Funktionen untersucht. Der primäre Ergebniswert war ein Kombinationswert von Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und verbalem Lernen. Die depressiven Symptome wurden mit der Montgomery-Asberg-Depressions- Skala gemessen. Es zeigte sich, dass beide Dosierungen von Vortioxetin signifikant sich von Plazebo im Hinblick auf die depressive Symptomatik als auch den kognitiven Kombinationsscore unterschieden.

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Zusammenfassung

Kognitive Störungen sind bei der MD vorhanden und stellen eine wichtige Dimension in der Psychopathologie der Erkrankung dar. Im Vergleich zu anderen psychischen Störungen wie Schizophrenie oder bipolare Störung wurde diesen Defiziten bei MD bisher noch wenig Beachtung geschenkt. Sie sind eine große Herausforderung in der Behandlung. Wesentlich ist zu berücksichtigen, dass kognitive Störungen als Mediatoren das psychosoziale Funktionsniveau beeinflussen, in besonderer Weise wirken sich die Defizite auf die Arbeitsfähigkeit aus. Diese Beeinträchtigungen dauern an und können auch auslösend für erneute depressive Episoden gesehen werden. Es stellt sich auch die Frage, welche kognitiven Tests bei MD angemessen und für die Forschung sowie für die klinische Anwendung relevant sind. Derzeit existieren noch keine Standards zu dieser Frage, es befinden sich eine Reihe von verschiedenen kognitiven Tests in Anwendung, die für unterschiedliche Bereiche zum Einsatz kommen können und sich auch bei MD als hilfreich erwiesen haben. Für die Behandlung von kognitiven Störungen sind valide, reliable Testinstrumente notwendig.
Neurobiologische Untersuchungen konnten feststellen, dass bei der MD Veränderungen in den zentralen Neurotransmittersystemen eine Rolle spielen. Erste Studien deuten darauf hin, dass kognitive Veränderungen sich durch Effekte auf multiple monaminerge Systeme ergeben. Vermehrte Untersuchungen zu Auswirkungen auf psychosoziale Funktionen sind noch durchzuführen. Es hat sich gezeigt, dass, ähnlich wie bei Patienten mit Schizophrenie und bei bipolaren Störungen, auch kognitive Remediation hilfreich sein kann.

Autorin: Univ.-Prof. DDr. Gabriele Sachs
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Wien