Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Univ.Prof. DDr. Gabriele SachsIn den letzten Jahren wurden vermehrt strukturelle Veränderungen im Gehirn von Patienten mit Schizophrenie beschrieben. Sowohl Personen mit einem Risiko an Schizophrenie zu erkranken, als auch Ersterkrankte zeigen Volumenminderungen sowohl in der grauen als auch der weißen Substanz des präfrontalen Cortex. Dem präfrontalen Cortex kommt eine zentrale Bedeutung für die kognitiven Beeinträchtigungen und der Negativsymptomatik zu. Zahlreiche Untersuchungen fanden Hinweise darauf, dass Volumenabnahmen nicht nur Ausdruck der Grunderkrankung sondern auch Effekt der Antipsychotika-Behandlung sein könnten.

Schon länger wurde vermutet, dass Antipsychotika der 1. Generation (FGA, first generation antipsychotics) einen Abbau der grauen Substanz des Frontalhirns verursachen. Besondere Aufmerksamkeit rief eine multizentrische Studie hervor, in der bei Ersterkrankten unter Haloperidol nach einem Jahr eine signifikant höhere Reduktion der frontalen grauen Substanz im Vergleich zu Olanzapin gefunden wurde. Diese Unterschiede zeigten sich jedoch bei einer Reanalyse nicht mehr, was auf einen unterschiedlichen Abbauprozess in unterschiedlichen Trajektorien des Gehirns zurückgeführt wurde, ebenso auf unterschiedliche Berechnungen von Dosisäquivalenzen.

Auch die Ergebnisse des Einflusses von SGA (second generation antipsychotics) erscheinen uneinheitlich. Auch zu der Frage ob SGAs möglicherwiese einen neuroprotektiven Effekt haben gibt es kontroversielle Befunde.

Insgesamt zeigen Schizophrene im Langzeitverlauf eine höhere Gesamtvolumen-Abnahme im Gehirn vor allem im Temporallappen und periventrikulär als gesunde Kontrollen. Dieser Befund erscheint unabhängig zu sein von Geschlecht, Edukationsniveau, Alkoholabusus und Gewichtszunahme. Der Schweregrad der Erkrankungen scheint mit der Volumen-Abnahme nicht assoziiert zu sein, jedoch die Höhe der Antipsychotika-Dosis. Der Einfluß von Antipsychotika auf das Gehirnvolumen mag langfristig auch Implikationen haben für die kognitiven Störungen und das psychosoziales Funktionsniveau. Es konnte gezeigt werden, dass hohe Antipsychotika-Dosierungen mit einer Verschlechterung im verbalen Lernen und Gedächtnis einhergehen können.

Die zugrundeliegenden pathophysiologischen Mechanismen einer Hirnvolumenverminderung durch Antipsychotika sind bisher noch unklar, ursächlich werden unter anderem „Autophagie“– Prozesse diskutiert, die zum Zelltod beitragen und eine „zerebrale Atrophie“ auslösen könnten. Eine Gliazellabnahme und eine Apoptose von Gliazellen konnte tierexperimentell nach Antipsychotika-Gabe gezeigt werden.

In der klinischen Praxis ist ein sorgfältiges Abwägen von Vor- und Nachteilen geboten, wenn es um eine Entscheidung für ein Antipsychotikum geht.
Antipsychotika werden heute in unterschiedlicher Indikation eingenommen, dazu fehlen bisher zum Langzeitverlauf Daten. Antipsychotika könnten in Abhängigkeit von Diagnose und Krankheitsstadium unterschiedliche Effekte auf das Gehirn haben. Die vorliegenden Hinweise sollten Anlass dafür sein, die Rolle der Antipsychotika in der Entwicklung der hirnstrukturellen Veränderungen als auch der neurokognitiven Funktionsstörungen im Langzeitverlauf weiterhin intensiv zu untersuchen.

Derzeit kann noch keine eindeutige Schlussfolgerung gezogen werden, ob Antipsychotika von einer Hirnvolumenminderung begleitet werden. Das liegt an den methodischen Limitationen bisheriger Studien, wie z.B. die Einbeziehung von nicht-randomisierten Verlaufsstudien in Reviews, unterschiedliche Medikationen und Messverfahren in der Bildgebung. Einige Autoren schlagen vor, die Dosis bereits zu Erkrankungsbeginn so gering wie möglich zu halten und eine Polypharmazie zu vermeiden. Diskutiert wird, dass zu hohe Einstiegsdosen zu einer neuroadaptiven Hochregulation der Dopamin-D2-Rezeptoren führen und damit zu einem abnehmenden Ansprechen und vermehrter Dopaminausschüttung der mesolimbisch-striatalen D2-Rezeptoren.

Aufgrund des nachgewiesenen erhöhten Rückfallrisikos ist ein Absetzen von Antipsychotika kontraindiziert. Aus methodischer Sicht ist zu betonen, dass ein Zusammenhang zwischen Antipsychotikabehandlung und Hirnvolumen als Assoziation zu verstehen ist und nicht ein ursächlicher ist. Diese Interpretation legt auch eine neue Untersuchung von T.A. Lesh und Kollegen von der Universität von Kalifornien, Davis dar. Medizierte ersterkrankte Schizophrene zeigten im Vergleich zu unmedizierten ersterkrankten Schizophrenen tatsächlich einen dünneren dorsolateralen präfrontalen Cortex (DLPFC). Allerdings zeigten die behandelten Schizophrenen eine höhere Aktivierung des DLPFC sowie eine bessere kognitive Funktionstüchtigkeit.

Zum jetzigen Zeitpunkt erscheinen für die klinische Praxis der Behandlung mit Antipsychotika drei Aspekte wichtig: a. Antipsychotika sind für die Therapie von Schizophrenen von zentraler Bedeutung: schon kurze Behandlungspausen wurden als Prädiktoren für einen Rückfall identifiziert, b. für eine Polypharmazie der Schizophrenie sowie für eine anhaltende Hochdosis-Therapie gibt es wenig gute Gründe, c. eine unkritische off-label-Verwendung von Antipsychotika sollte auch auf dem Hintergrund der vorliegenden Bildgebungsdaten vermieden werden.

Die vorläufigen Ergebnisse zur Volumenminderung bei Schizophrenen unter Antipsychotika-Therapie sollten keinesfalls dazu führen, Antipsychotika abzusetzen. Für eine individualisierte Therapie eines schizophrenen Patienten ist es wichtig, Wirkungen und Nebenwirkungen gut zu überwachen, die geringste Dosis zu verschreiben, die einen ausreichenden therapeutischen Effekt gewährleistet, sowie ergänzend nicht-pharmakologische Therapiestrategien einzusetzen. Interessant wird sein, ob in Zukunft Antipsychotika mit einem neuen, nicht-dopaminergen Wirkmechanismus auf den Markt kommen werden und von welchen hirnmorphologischen Veränderungen diese Strategien begleitet sein werden.

Ao.Univ.Prof.DDr.Gabriele Sachs