CliniCum neuropsy hat recherchiert, ob – und wenn ja in welcher Form – Patienten mit seelischen Erkrankungen bei Versicherungsleistungen Nachteile zu erwarten haben. Auf den ersten Blick sind psychiatrische Diagnosen allen anderen gleichgestellt, doch bei genauerem Hinsehen gibt es deutliche Unterschiede. (CliniCum neuropsy 3/17)

Tritt bei Ihnen oder nahen Angehörigen vor Antritt einer gebuchten Reise eine psychische Erkrankung auf, übernimmt dann die Versicherung die anfallenden Stornokosten? „Die Versicherungsleistung wird aufgrund eines psychischen Leidens dann nicht erbracht, wenn dieses nicht von einem Facharzt für Psychiatrie behandelt wurde, sondern beispielswiese nur ein hausärztliches Attest vorliegt“, heißt es in der Stellungnahme der Europäischen Reiseversicherung auf Anfrage von CliniCum neuropsy. Generell ausgeschlossen von Versicherungsleistungen sind Erkrankungen, die in den letzten sechs Monaten ambulant bzw. neun Monate vor dem geplanten Reisebeginn stationär behandelt wurden – allerdings nur bei Standardprodukten. „Diesen Ausschlussgrund kann man durch den Abschluss eines sogenannten Plusproduktes vermeiden“, betont ein Sprecher der Europäischen Reiseversicherung. Bei der MUKI-Versicherung sind Reisestornoleistungen bei einzelnen Versicherungsprodukten nur dann ausgeschlossen, wenn die psychische Erkrankung bereits vor der Reisebuchung erstmals aufgetreten ist, berichtet deren Pressesprecher Kai-Uwe Garrels, MSc. „Ansonsten werden psychische Erkrankungen bei der Risikoprüfung vor Vertragsabschluss nicht anders behandelt als alle anderen Erkrankungen.“

Mut zur Meldung?

Gabi Kreindl, Versicherungsexpertin beim Verein für Konsumenteninformation (VKI), sieht bei Reise-Stornoversicherungen jedenfalls keine generelle Benachteiligung psychischer Erkrankungen. „Im Fall eine Ablehnung sollten Betroffene hinterfragen und genau prüfen, ob der Grund für die Ablehnung auch in den Bedingungen zu finden ist.“ Das gelte ebenso für Versicherungspakete, die bei Kreditkarten inkludiert sind: In jedem Fall sollten sich Betroffene bei der Versicherung melden, wenn ein Versicherungsfall eintritt. Ob sich manche Betroffene erst gar nicht trauen, wegen einer psychischen Erkrankung den Versicherungsschutz in Anspruch zu nehmen, lässt sich freilich nicht recherchieren. Dass auch Berufsunfähigkeitsversicherungen bei psychologischen/ psychiatrischen Erkrankungen die versicherte Leistung erbringen, bestätigt Elisabeth Rashid, verantwortlich für die Unternehmenskommunikation bei der Allianz Gruppe. „Die Berufsunfähigkeitsversicherung berücksichtigt nicht den Auslöser der Berufsunfähigkeit (Unfall, Krankheit, Kräfteverfall), sondern rein die Tatsache, dass jemand nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben und auch keinen anderen tatsächlich ausübt“, teilt Rashid per Mail mit.

Sonderklasse in der Psychiatrie?

Einige Unterschiede fallen allerdings bei sogenannten „Zusatz-Krankenversicherungen“ auf. So findet sich in den Musterbedingungen für Krankheitskosten- und Taggeldversicherungen des Versicherungsverbandes Österreich (VVO, www.vvo.at) die Formulierung, dass bei Entziehungsmaßnahmen kein Versicherungsschutz besteht. Weiters werden Leistungen in Krankenanstalten bzw. Organisationseinheiten für psychische Erkrankungen bzw. für psychosomatische Behandlungen oder in Zentren für seelische Gesundheit nur insoweit erbracht, als der Versicherer diese vor Beginn der Heilbehandlung „in geschriebener Form/je nach Vereinbarung“ zugesagt hat. Auch wenn laut Mag. Dagmar Straif, Pressesprecherin des VVO, diese Musterbedingungen für die Versicherungsunternehmen keinen verpflichtenden Charakter haben, spiegeln sie die Realität wider: „Nach unseren Erfahrungen sind psychische Erkrankungen von Versicherungsleistungen nicht generell ausgenommen, sehr wohl gibt es aber gravierende Nachteile für psychiatrische Abteilungen“, betont Prim. Dr. Christa Radoš, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ÖGPP) sowie Vorstand der Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin am LKH Villach. „Es ist gelebte Praxis in Österreich, dass die Leistungen von Zusatz-Krankenversicherungen für Patienten an psychiatrischen Abteilungen nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit gewährleistet werden wie etwa an internistischen Abteilungen.“

Depression oder eine andere Hauptdiagnose?

Werden Patienten mit Zusatzversicherung und der Diagnose Depression oder Angststörung daher nicht an einer psychiatrischen Abteilung behandelt, sondern eher wegen einer komorbiden organischen Erkrankung an einer somatischen Abteilung aufgenommen? Oder steht eine stationäre diagnostische Abklärung im Vordergrund und nicht die behandlungsbedürftige psychische Erkrankung? „Das ist für Patienten mit psychiatrischen Diagnosen sicher nicht die optimale Vorgangsweise, zumal es an somatischen Abteilungen an der nötigen Expertise und den therapeutischen Angeboten fehlt“, sagt Radoš. Für Angstpatienten beispielsweise bedeutet die Vielzahl an Untersuchungen eine zusätzliche Belastung, zudem fehlt es an einer geschulte Gesprächstherapie oder anderen psychotherapeutischen Settings. Eine rein konsiliarische psychiatrische Betreuung ist zwar möglich, aber in den meisten Fällen nicht ausreichend. Für Radoš ist es ebenso unverständlich, dass Entwöhnungsbehandlungen von der Zusatzversicherung ausgenommen sind: „Warum sollte ein stationäre Alkoholentzug bzw. die Fortführung der Entwöhnungsbehandlung nicht unter Sonderklasse-Bedingungen möglich sein, wenn ein Patient jahrelang seine Versicherungsbeiträge einbezahlt hat? Kaum jemand wird einem COPD-Patienten die stationäre Behandlung im Sonderklasse-Zimmer absprechen, selbst wenn er weiterhin schwerer Raucher ist“, meint Radoš.

Schuldvermutungen

Radoš: „Nach unseren Erfahrungen sind psychische Erkrankungen von Versicherungsleistungen nicht generell ausgenommen, sehr wohl gibt es aber gravierende Nachteile für psychiatrische Abteilungen.

Radoš: „Nach unseren Erfahrungen sind psychische Erkrankungen von Versicherungsleistungen nicht generell ausgenommen, sehr wohl gibt es aber gravierende Nachteile für psychiatrische Abteilungen.

Für Radoš steckt dahinter die noch immer weit verbreitete gesellschaftliche Haltung, die eine Suchterkrankung als „selbst verschuldetes Laster“ stigmatisiert. „Dabei hat gerade die häufigste Suchtform, die Alkoholkrankheit, eine sehr gute Prognose, wenn sie fachlich gut gehandhabt wird. Verleugnen oder falsch verstandene Schuldvermutungen wirken sich dagegen sicher kontraproduktiv aus, schließlich beeinflussen sie auch die Haltung der Patienten zu ihrer eigenen Erkrankung“, sagt Radoš. Dass auch die Behandlung schwerwiegender psychischer Erkrankungen wie Psychosen, wahnhafte Depressionen oder die Folgen von Suizidversuchen im Rahmen einer Unterbringung nicht unter die Versicherungsleistungen fallen, müsste laut Radoš ebenso kritisch hinterfragt werden: „Bei einer Unterbringung wären Sonderklasse-Leistungen sicher eine Herausforderung nicht nur für die Versicherungen, sondern auch für die psychiatrischen Abteilungen, die ein Umdenken und oft auch eine andere Gestaltung des Settings benötigen.

Warum sollte nach der Krisenintervention die Depressionsbehandlung nicht auch in einem Krankenzimmer mit Hotelqualität fortgeführt werden können?“ Vermutlich, so Radoš, stecken dahinter versicherungsmathematische Modelle, die psychische Erkrankungen als nur schwer kalkulierbar ansehen. „Sicher hat unser Fach in dieser Hinsicht noch eine gewisse Bringschuld zu leisten, und wir müssen noch besser und entsprechend öffentlichkeitswirksam erklären, dass psychische Erkrankungen nicht geheimnisvoll oder unberechenbar sind“, betont die ÖGPP-Präsidentin. Dabei dürfe die Behandlungsdauer an stationären Abteilungen heute auch kein Argument mehr dafür sein, Sonderklasse-Leistungen abzuschlagen: Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer an der Psychiatrischen Abteilung in Villach beträgt derzeit rund zehn Tage. „Ich bin sicher, dass Zusatz-Krankenversicherungen, die psychiatrische Behandlungen nicht mit Einschränkungen versehen, ein künftiges Geschäftsmodell für Versicherungen darstellen könnten“, resümiert Radoš. Nachteile für die Patienten sind jedenfalls zu erwarten, wenn ihre psychischen Erkrankungen nicht an psychiatrischen Fachabteilungen behandelt werden.

Von Mag. Christina Lechner