Zu Jahresbeginn 2018 recherchierte CliniCum neuropsy erneut über Erreichtes und bestehende Herausforderungen im Bereich Psychiatrieplanung. (CliniCum neuropsy 1/18)

Im letzten Psychiatriebericht aus dem Jahr 2004 wurde die Psychiatrieplanung auf Bundes- und Landesebenen als „vorbildlich“ bezeichnet. Als vorbildlich wird hervorgehoben, dass es in allen Bundesländern Psychiatriepläne gibt, Vergleiche zwischen den Ländern sind durch den unterschiedlichen „Ausbaugrad“ bei ambulanten, mobilen und komplementären Einrichtungen jedoch nur eingeschränkt möglich. Weitere Punkte im Psychiatriebericht 2004 sind das erfreuliche Fortschreiten der Dezentralisierung, aber auch das einem optimalen Ressourcen-Einsatz entgegenstehende „Finanzierungswirrwarr“. CliniCum neuropsy widmete zuletzt 2011 der Psychiatrieplanung einen umfangreichen Bericht: der stockende Ausbau aufgrund knapper Ressourcen und zum Teil noch fehlende Kassenstellen im niedergelassenen Bereich waren darin vorrangige Themen.

Kern: „Gerade die Optimierung von Schnittstellen ist eine der größten Herausforderungen, wobei die meisten Bundesländer bereits sehr weit sind.“

Kern: „Gerade die Optimierung von Schnittstellen ist eine der größten Herausforderungen, wobei die meisten Bundesländer bereits sehr weit sind.“

Auf Bundesebene übernimmt die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) im Auftrag der Bundesgesundheitsagentur bzw. des Gesundheitsministeriums die Evaluation bestehender Strukturen bzw. der Koordination von Expertengruppen, die wiederum Empfehlungen für die konkrete Planung erarbeiten. Projektkoordinatorin für den Bereich Psychiatrieplanung bei der GÖG ist die Medizin- und Gesundheitssoziologin Mag. Daniela Kern. Im Gespräch mit CliniCum neuopsy hebt Kern unter anderem erfreuliche Entwicklungen bei der integrierten psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen hervor. Im entsprechenden „Arbeitsfortschrittsbericht“ aus 2015 wird hier etwa das Ziel der Vernetzung der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit pädiatrischen bzw. psychosomatischen Einrichtungen und Ambulatorien betont. „Gerade die Optimierung von Schnittstellen ist eine der größten Herausforderungen, wobei die meisten Bundesländer bereits sehr weit sind“, fasst Kern zusammen.

Ziel psychische Gesundheit

Kern verweist zudem auf den 2017 erstellten Bericht der Arbeitsgruppe für das Gesundheitsziel 9 „Psychosoziale Gesundheit bei allen Bevölkerungsgruppen fördern“ (GZ9). Dementsprechend müssten Angebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen bedarfs- und bedürfnisgerecht und möglichst niederschwellig zugänglich sein. „Das bedeutet, dass Angebote wohnortnah, finanziell leistbar und kultursensibel sind sowie in einem vielfältigen Spektrum – abgestuft von niederschwellig bis hochspezialisiert – und ohne lange Wartezeiten zur Verfügung stehen“, so die Arbeitsgruppe GZ9, der rund 50 Personen angehören, darunter Vertreter der psychiatrischen Fachgesellschaften, des Gesundheitsministeriums und der Sozialversicherungsträger. Im „Wirkungsziel 2“ befasst sich die GZ9-Arbeitsgruppe mit der Versorgung und macht dabei auf die Auswirkungen des Facharztmangels in der Psychiatrie bzw. Kinder- und Jugendpsychiatrie aufmerksam: mit einer Ausbildungsoffensive soll diesem entgegengetreten werden. Weiters verweist das GZ 9 darauf, dass im Sinne der Chancengleichheit ein „Konzept für eine gesamthafte Lösung zur Organisation und Finanzierung der psychotherapeutischen Versorgung in Österreich entwickelt werden müsse. Wie auch Kern betont, wäre hier die Einrichtung einer „Clearing- Funktion“ von Vorteil, denn immerhin bestehen nach wie vor große Unterschiede im Bereich Refundierung durch die Sozialversicherungsträger bei gleichzeitig gedeckelten Budgets.

Psychiatrieerfahrene involvieren

Noch in den Kinderschuhen steckt die Einbindung der Betroffenen im Bereich der Planung und Versorgung. Erfreulich sind zwar Aktivitäten wie jene des Vereins EX-IN, der in einigen Bundesländern Betroffene bereits auf professioneller Ebene in der Versorgung integriert. Eine stärkere Beteiligung von Betroffenen an der Planung und Entwicklung von Versorgungsstrukturen sowie in gesundheitspolitischen Entscheidungsprozessen wird darüber hinaus als ein Aspekt zur Hebung der Qualität in der Versorgung angesehen. „Warum sollten Betroffene nicht wie Vertreter aller psychosozialen Berufsgruppen an der Psychiatrieplanung beteiligt sein“, sagt Kern. Um eine solche Beteiligung von Betroffenen nach internationalen Standards zu erreichen, sind Maßnahmen zur Stärkung der Interessengruppe erforderlich. Die bundesweite Vernetzung von Betroffenenvertretern wird daher seit 2017 vom Gesundheitsministerium besonders gefördert bzw. von der Arbeitsgruppe GZ 9 als Startermaßnahme ausgewählt.

Psychiatriekoordination in den Bundesländern

Ein wichtiger Fortschritt zur Verbesserung der Situation der Psychiatrieplanung war laut Kern die Einrichtung von Psychiatriekoordinatoren auf Länderebene. Gab es 2011 erst drei (Burgenland, Steiermark, Tirol), so sind es mittlerweile sechs. „Obwohl die Forderung nach einer entsprechenden Netzwerk-Koordination im Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) festgehalten ist, haben die Bundesländer Oberösterreich, Salzburg und Wien diese bislang noch nicht erfüllt“, sagt Kern. Dabei wäre gerade für die Bundeshauptstadt angesichts der vielen verschiedenen Spitalsträger, aber vor allem für die vielen verschiedenen Träger der (außerstationären) psychosozialen Einrichtungen und Dienste, eine koordinierende Stelle ein enormer Vorteil. Die Erfahrung zeige jedenfalls, so Kern, dass mit der Einrichtung von Psychiatriekoordinatoren die Umsetzung der Psychiatrieplanung gut vorankommt.

Beispiel Tirol

Im stationären Bereich ist im vergangenen Jahr die lang angestrebte Flächendeckung bei der stationären und ambulanten Versorgung sowie Rehabilitation erreicht worden. „In Zams wurde eine neue psychiatrische Abteilung zunächst mit einer Tagesklinik und Ambulanz eröffnet, 2019 kommen 24 stationäre Betten hinzu“, berichtet Dr. Karl Stieg, der seit rund 20 Jahren in Tirol als Psychiatriekoordinator tätig ist. Im Amt der Tiroler Landesregierung wurde jüngst auch eine gemeinsame Stabstelle für Psychiatrie- und Suchtkoordination eingerichtet, als Suchtkoordinatorin fungiert Mag. Beate Grüner. Die verstärkte Einbindung von Betroffenen – auch im Sinne der UNKonvention zur Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung – ist ein zentrales Anliegen: Als eines der ersten Bundesländer arbeitet Tirol daran, EX-IN Mitarbeiter in die Versorgung einzubinden. Geschulte, psychiatrieerfahrene Menschen sollen damit eine professionelle Rolle in der Gesundheitsversorgung einnehmen, wie Stieg erklärt. „Damit werden echte Arbeitsplätze geschaffen.“ Trotz der Fortschritte will sich Stieg jedoch noch lange nicht zufrieden geben: „Gerade im Psychiatriebereich können wir nie perfekt sein.“ Zu den aktuellen Herausforderungen gehören der Ausbau der vernetzten Kinder- und Jugendpsychiatrie oder des psychiatrischen Krisendienstes. So gebe es in Tirol wie in ganz Österreich noch immer zu wenig Kinder- und Jugendpsychiater mit Kassenstellen. Im Suchtbereich verfolgen Stieg und Grüner zudem das Ziel, Allgemeinmediziner künftig verstärkt in die Früherkennung und für Kurzinterventionen bei alkoholbezogenen Problemen einzubinden.

Beispiel Wien

Im Fokus der Psychiatrieplanung steht seit jeher die Regionalisierung und Dezentralisierung, wie das Beispiel Wien unterstreicht. So heißt es in der auf Anfrage von Clinicum neuropsy von Krankenanstaltenverbund (KAV) und Psychosozialem Dienst (PSD) akkordierten Stellungnahme, dass in acht definierten Regionen je eine stationäre Abteilung des KAV und ein sozialpsychiatrisches Ambulatorium des PSD psychisch erkrankten Menschen versorgen. Im Auftrag von KAV und PSD läuft derzeit das Projekt „Psychiatrischer und Psychosomatischer Versorgungsplan Wien (PPV) – Wiener Krankenanstalten und Ambulatorien“ mit dem Ziel, die Angebote von der Kinder- bis zur Erwachsenen- und Behindertenpsychiatrie sowie der Psychosomatik „zukunftsfit“ zu machen. Vor allem den Nahtstellen zwischen stationärem und extrastationärem Bereich soll dabei besondere Aufmerksamkeit zukommen.

David: „Es ist nicht verständlich, dass Patienten je nach Sozialversicherungsträger für die gleiche Leistung in unterschiedlichem Ausmaß für die Therapie aufkommen müssen.“

David: „Es ist nicht verständlich, dass Patienten je nach Sozialversicherungsträger für die gleiche Leistung in unterschiedlichem Ausmaß für die Therapie aufkommen müssen.“

Der PPV schafft damit einen strategischen Rahmen, in dem drei Fokusgruppen vertiefende Konzepte für die Bereiche Erwachsene, Kinder und Jugendliche sowie Sucht erarbeiten. Begleitet wird das Projekt von einem externen Experten-Beirat, der die Planungsüberlegungen in Bezug auf Best-Practice-Modelle überprüfen soll; ebenso sollen Vertreter von Betroffenen- und Angehörigen-Organisationen eingebunden werden. Dass die Dezentralisierung in Wien bereits weiter vorangeschritten sein sollte, meint allerdings MR Dr. Harald David, langjähriger Vorstand der Abteilung für forensische Psychiatrie und Alkoholkranke am Otto-Wagner- Spital in Wien und niedergelassener Psychiater. „Das Konzept, dass psychisch Kranke genauso wie somatisch kranke Menschen an Allgemeinspitälern möglichst wohnortnahe behandelt werden sollten, stammt schon aus dem Jahr 1979“, betont David.

Die Verlegung der mit dem Versorgungsauftrag für definierte Wiener Bezirke aus dem zentralen Otto-Wagner- Spital in das Wilhelminenspital oder in das noch nicht fertig gestellte Sozialmedizinische Zentrum Nord stehen noch bevor. Darüber hinaus sieht David bei der Dezentralisierung eine Knappheit an ausreichend qualifiziertem Personal bevorstehen. Eines der brennendsten Probleme sieht David zudem ähnlich wie GÖGProjektkoordinatorin Kern in der Steuerung der psychotherapeutischen Angebote: „Es ist nicht verständlich, dass Patienten je nach Sozialversicherungsträger für die gleiche Leistung in unterschiedlichem Ausmaß für die Therapie aufkommen müssen. Abgesehen davon werden die bürokratischen Auflagen für uns als psychiatrisch tätige bzw. eine Psychotherapie verordnende Ärzte immer aufwändiger; es ist beinahe so, als ob unsere Kompetenz infrage gestellt wird“, meint David.

Von Mag. Christina Lechner