CliniCum neuropsy 06/2014
e d i t o r i a l
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
In den vergangenen Jahren sind im Vergleich zu den Jahren zuvor deutlich weniger neuere Medikamente im Bereich der Psychiatrie in die tägliche Praxis eingeführt worden. Dabei ist von Interesse, dass die forschende Pharmaindustrie seit dem Jahr 2000 einen etwa sechsfach höheren finanziellen Aufwand zu bewältigen hat, um ein Präparat zur Zulassung zu bringen, jedoch andererseits eine sinkende Profitabilität hinnehmen musste, da Medikamente durch die verschiedenen Sozialversicherungsträger nur mehr sehr zögerlich oder gar nicht rückerstattet werden.
Obwohl die verschiedenen Medikamentengruppen aus dem Bereich der Psychiatrie und der psychotherapeutischen Medizin eine sehr hohe Akzeptanz erlangt haben, wird deutlich, dass die für verschiedene Diagnosen entwickelten Substanzen nicht bei allen Patienten ihre therapeutische Wirksamkeit entfalten. Diagnosen sind neurobiologisch unspezifisch, und neuere Forschungsstrategien gehen dahin, sowohl klinisch psychopathologische als auch neurobiologische Untergruppen zu definieren, so dass die sogenannte „Baseball-Mützen- Strategie: one size fits all“, die z.B. die Diagnose einer Depression darstellt, in Zukunft durch einen Syndrom-spezifischen Ansatz abgelöst wird, wie es z.B. erste Beispiele für das sogenannte „unzureichende Ansprechen“ auf Antidepressiva bzw. die „therapieresistente Depressionen“ gibt. In diesem Zusammenhang wird von einer „Second-Line“-Indikation gesprochen. Diese „Second-Line“-Indikation ist jedoch insofern problematisch, da in verschiedenen sowohl nordamerikanischen als auch europäischen Verbundstudien gezeigt werden konnte, dass mit zunehmender Dauer der Depression bzw. zunehmenden Medikamentenschritten mit einem jeweils schlechteren Outcome zu rechnen ist. Das bedeutet, dass bereits frühzeitig effektive Medikamente zum Einsatz kommen müssen.
Gegenwärtig wird versucht, genetische Charakteristika von Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen zu identifizieren, bei denen spezifische Medikamente zum Einsatz kommen sollen bzw. vermieden werden können. Bei dem anlässlich der Verleihung der Wagner-Jauregg-Medaille von Prof. Holsboer gehaltenen Plenarvortrag wurden Ansätze für die therapeutische Beeinflussbarkeit der Hypothalamus- Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse sowie genetische Charakteristika die Blut- Hirn-Schranke betreffend dargestellt. Die Zukunft der psychopharmakologischen Forschung wird daher weniger Diagnosen-spezifisch als viel mehr stratifiziert nach klinischen und biologischen Behandlungsvariablen ausgerichtet sein.
CliniCum neuropsy 6/2014 Das Medium für Psychiatrie und Neurologie.