Der Hirnschlag ist die häufigste Ursache für Langzeitbehinderung im Erwachsenenalter. Trotz Fortschritten in der Akutbehandlung durch Thrombolyse und die Spezialisierung der Schlaganfallbehandlung, wie das Stroke-Unit-Konzept, bleibt die Neurorehabilitation eine wichtige Säule in der Hirnschlagbehandlung, da ein großer Teil der Hirnschlagpatienten ambulante und stationäre Therapien benötigt.

Frühe Elemente der Neurorehabilitation wie eine rasche Mobilisation kommen bereits im Frühbehandlungskonzept zur Anwendung. Ein hoher Anteil der Patienten benötigt im Anschluss eine intensive Weiterbetreuung im Rahmen einer stationären Neurorehabilitation. Der Zeitpunkt der Verlegung muss individuell festgelegt werden, aber ein früher Beginn der Rehabilitation ist bedeutsam für ein gutes Therapieergebnis. Entscheidend ist die Anwendung von spezifischen Therapieverfahren mit hoher Intensität und einem hohen Anteil von aktiven Therapien bei individueller Zielplanung durch ein spezialisiertes multidisziplinäres Team. Die Behandlung läuft koordiniert ärztlich geleitet ab, und es finden regelmäßig Re- Evaluationen der Patienten statt.

Neuronale Plastizität und Prinzipien

Während man lange im letzten Jahrhundert und zu Beginn der Formation der Neurowissenschaften noch davon ausgegangen war, dass die Möglichkeiten zu Anpassungen im strukturellen neuralen Netzwerk nach Schädigungen beim Erwachsenen sehr limitiert seien, hat später ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Die Neurowissenschaften konnten zuerst durch Messung des Effekts von neurorehabilitativen Maßnahmen, später unter Verwendung von Tiermodellen, neurophysiologischen und funktionellbildgebenden Verfahren nachweisen, dass das erwachsene menschliche Gehirn über ein erstaunliches Potenzial der Adaptivität und Erholung verfügt, welches selektiv gefördert werden kann.

Gleichwohl ist das Ausmaß der Erholungsmöglichkeiten nach Hirnschlag von vielen Faktoren abhängig, wozu auch Größe und Lokalisation der Läsion gehören. Schließlich flacht die Erholungskurve mit längerer Zeitdauer seit dem initialen Ereignis ab. Generell umfassen Vorgänge der Neuroplastizität zunächst funktionelle und nachfolgend auch strukturelle Veränderungen, was zuerst anhand von Modulationen der synaptischen Aktivität beschrieben wurde und später auch in größeren Zusammenhängen von Neuronen und Netzwerken beobachtet werden konnte. Als Hauptgruppen gelten somit funktionelle Veränderungen an den Synapsen, Veränderungen der Proteinsynthese und der Proteinase-Aktivität in Neuronen, die Bildung neuer struktureller Verbindungen bzw. morphologische Veränderungen an Synapsen sowie auch apoptotische Vorgänge.

Abbildung 1: Das funktionelle Gleichgewicht zwischen den Hemisphären ist wichtig und eine zusätzlich schädliche Überaktivität der kontraläsionalen Hemisphäre möglich.

Abbildung 1: Das funktionelle Gleichgewicht zwischen den Hemisphären ist wichtig und eine zusätzlich schädliche Überaktivität der kontraläsionalen Hemisphäre möglich.

Hinsichtlich der Mechanismen der Neuroplastizität im Einzelnen ist besonders die Veränderung der Repräsentation kortikaler Areale gut untersucht. Auch weiter entfernte Hirnareale ändern ihre Aktivität besonders in der frühen Phase der Kompensation. Mittels funktioneller Bildgebung konnte gezeigt werden, dass besonders erfolgreiche Verläufe bei der späteren Reorganisation wieder ähnliche Aktivierungsmuster wie vor Eintreten des Hirnschlags zeigen. Auch das funktionelle Gleichgewicht zwischen den Hemisphären ist bedeutsam und es kann zu einer zusätzlich schädlichen Überaktivität der kontraläsionalen Hemisphäre kommen (Abbildung 1). Eine Übersicht zu weiteren Mechanismen der neuronalen Plastizität wie u.a. synaptische Plastizität, kortikale Repräsentation, Vikariation, Diaschisis, dendritische und axonale Veränderungen findet sich bei den Literaturangaben.

Förderung der neuronalen Plastizität

Es gibt Parallelen zwischen dem postläsionellen Wiedererlernen nach Hirnschlag und normalen Lernvorgängen in der individuellen menschlichen Entwicklung, wobei Verhaltensänderungen und das Erlernen von Fähigkeiten durch wiederholte Interaktionen mit dem v.a. sozialen Umfeld erreicht werden. In der klinischen Neurorehabilitation nach Hirnschlag werden durch die multidisziplinäre Teamarbeit und hierbei spezifisch angewendete Therapieverfahren neuroplastizitätsstimulierende Lernsituationen geschaffen, die genau auf die individuellen Bedürfnisse/Lernziele der Patienten angepasst sind. Dies bezieht sich sowohl auf die Alltagsfunktionen in der Klinik, Interaktionen mit dem Behandlungsteam, als auch auf die spezifischen Therapien.

Quelle: Abbildung modifiziert und mit Beispielen ergänzt nach „International Classification of Functioning, Disability and Health“, WHO 2001

Quelle: Abbildung modifiziert und mit Beispielen ergänzt nach „International Classification of Functioning, Disability and Health“, WHO 2001

Eine individuelle praxisorientierte Zielsetzung (Abbildung 2), die sich zumeist an der „International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF, WHO 2001) orientiert, ist wichtig. Ein didaktisch wertvolles Prinzip, um nach Hirnschlag das Lernen zu fördern, ist die CIT-Methode (constraint-induced therapies), welche allerdings nicht bei der Mehrheit der Hirnschlagpatienten und insbesondere nicht in der Frühphase angewendet werden kann. Hierbei wird – sofern eine ausreichende selektive Funktion vorliegt – die gesunde Extremität immobilisiert und somit die gestörte Funktion forciert trainiert.

Stimulationstechniken

Desweiteren wird die Verwendung von Stimulationstechniken in der Neurorehabilitation wissenschaftlich evaluiert, etwa durch Verwendung repetitiver Magnetstimulation. Hierbei wird durch ein magnetisches Feld Einfluss auf die darunterliegende Kortexaktivität genommen. Je nach Protokoll können sowohl hemmende als auch aktivierende Aktivitätsänderungen induziert werden. Bislang kann allerdings noch kein hiervon abgeleitetes Behandlungsschema generell für den klinischen Alltag empfohlen werden. Neben der Anwendung in der motorischen Rehabilitation könnte sich eine besondere Bedeutung etwa für die Behandlung von neglektartigen Störungen ergeben, wo das funktionelle Ungleichgewicht der Hemisphären besonders evident ist.

Pharmakologische Interventionen

Betreffend einer medikamentösen Förderung der (motorischen) Rehabilitation gibt es für kein Medikament eine Evidenz-Klasse-I-Empfehlung. Einige Studien zeigten positive Effekte für L-Dopa, Amphetamin-Derivate und andere Stimulantien sowie antriebsfördernde SSRI. Die Ergebnisse waren nicht einheitlich, so dass es keine generelle Empfehlung oder Zulassungen für den Einsatz einer medikamentösen Unterstützung gibt. Andere Substanzen wie Benzodiazepine, hoch- und niederpotente Neuroleptika sowie Clonidin zeigten demgegenüber negative Effekte.

Hirnschlagpatienten, die einen verminderten Antrieb zur Teilnahme an den Therapien zeigen, sollten zuerst sorgfältig betreffend einer depressiven Erkrankung (Post Stroke Depression) evaluiert werden und ggfs. mit einem stimulierenden Antidepressivum behandelt werden. Im Einzelfall kommt auch eine Behandlung mit L-Dopa oder einem zentral stimulierenden Agens infrage, wobei Prinzipien der „Off Label“-Behandlung beachtet werden müssen. Große kontrollierte Studien sind allerdings nötig, bevor generelle Empfehlungen ausgesprochen werden können.

Organisierte multidisziplinäre Neurorehabilitation

Eine große Metaanalyse konnte den Nachweis der Effektivität der spezialisierten Neurorehabilitationsbehandlung mit signifikant besseren Ergebnissen bezüglich Todesfälle, Institutionalisierung und Abhängigkeit gegenüber weniger spezialisierten Nachbehandlungen bringen. Auch betreffend des Aufenthaltsorts nach der Anschlussbehandlung zeigte sich, dass pro 100 Patienten, die mit einer spezialisierten, organisierten multidisziplinären Neurorehabilitation behandelt wurden, zusätzlich fünf Patienten unabhängig nach Hause zurückkehrten. Gleichwohl sollten Elemente der Neurorehabilitation bereits in der Akutphase auf der Stroke-Unit zum Einsatz kommen.

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Der Nutzen einer frühen Mobilisation konnte wiederholt gezeigt werden. Eine frühe Mobilisation innerhalb von 24 Stunden führte zu einer signifikant verbesserten Gehfähigkeit, wobei der Vorteil während der Beobachtungszeit von der Gruppe mit späterer Mobilisation nicht mehr aufgeholt werden konnte. Medizinisch instabile Patienten oder solche mit einer kritischen zerebralen Perfusion bedürfen allerdings weiterhin einer stufenweisen Mobilisation. Nach der akuten Hirnschlagbehandlung sollte für den medizinisch stabilen Patienten mit relevanten neurologischen Defiziten so früh wie möglich eine ambulante oder stationäre Behandlung durch das spezialisierte Rehabilitationsteam erfolgen (Abbildung 3). Die Tätigkeit zentriert sich auf den einzelnen Patienten unter Einbezug der Angehörigen.

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Im multidisziplinären Team arbeiten Ärzte, Pflegeteam, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Psychologen und Neuropsychologen, Sozialdienst, Rekreationstherapeuten und andere koordiniert zusammen. Zu Beginn der Behandlung erfolgt neben einer neurologischen Untersuchung ein multidisziplinäres Assessment, wobei auch funktionelle Leistungen wie die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) sowie spezifische Skalen zur Anwendung kommen. Es erfolgt eine Zielsetzung der Behandlung u.a. unter Berücksichtigung der sozialen und beruflichen Reintegration und Reevaluationen der Entwicklung im Verlauf der Behandlung.

Beginn der Behandlung und Intensität

In verschiedenen Studien konnte der Nutzen eines frühen Beginns der organisierten intensiven Neurorehabilitation belegt werden, wobei dies neben einem verbesserten funktionellen Outcome auch die Lebensqualität der Betroffenen umfasst. Neben dem frühen Beginn gibt es auch Untersuchungen zur Therapieintensität, wobei in Metaanalysen gezeigt werden konnte, dass eine hohe Therapiedichte von aktiv ausgerichteten Therapien verschiedener Modalitäten mit einem höheren Grad an Mobilität, Selbstständigkeit und aktiven Fähigkeiten einhergeht.

Auch eine Assoziation mit einer Verkürzung der Dauer der stationären Behandlung konnte festgestellt werden. Eine Erhöhung der Therapieintensität kann auch durch den zusätzlichen Einsatz von Therapierobotern erreicht werden, wobei besonders Gehroboter und Armroboter, teils in Verbindung mit Elementen einer „virtuellen Realität“, zum Einsatz kommen. Der Vorteil liegt neben einer Entlastung von Therapeuten auch in der Behandlungsmöglichkeit von höhergradigen Paresen. Hingegen konnte eine generelle Überlegenheit gegenüber therapeutisch durchgeführten Therapien bislang nicht nachgewiesen werden.

In der Augmentation und Schaffung eines vielseitigen Rehabilitationsprogramms haben die Therapieroboter jedoch einen Stellenwert. Eine detailliertere Darstellung sowie weitere Themen sind in einem aktuellen Buchbeitrag der Autoren zu finden.

ALBERT_KESSELRING

Dr. Sylvan J. Albert (links) Leitender Arzt Klinik für Neurologie und Neurorehabilitation, Valens; E-Mail: s.albert@klinik-valens.ch
Prof. Dr. Jürg Kesselring (rechts) Chefarzt Rehabilitationszentrum Valens

 

 

Literatur bei den Autoren