Prim. Dr. Christa Radoš vom Landeskrankenhaus Villach (Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin) wurde im April 2016 zur Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ÖGPP) gewählt. Der Abbau von Stigma und Vorurteilen gegenüber psychischen Erkrankungen ist Radoš unter anderem ein wichtiges Anliegen. 

CliniCum neuropsy: Welche Ziele verfolgt die ÖGPP?

Radoš: Die ÖGPP verfolgt das Ziel, Menschen mit psychischen Erkrankungen in Österreich ein Leben unbeeinflusst von Vorurteilen und mit optimaler wissenschaftlich fundierter und individualisierter psychiatrischer Behandlung zu ermöglichen. Als offizielle Fachgesellschaft vertreten wir in diesem Sinne die Anliegen der österreichischen PsychiaterInnen auf verschiedenen Ebenen. Historisch betrachtet ist die ÖGPP eine recht junge Gesellschaft, die nach der Fächertrennung aus einer gemeinsamen Österreichischen Gesellschaft für Neurologie und Psychiatrie hervorgegangen ist. In eigenständiger Form existiert die Fachgesellschaft seit dem Jahr 2000. Derzeit hat die ÖGPP ungefähr 1.400 Mitglieder, d.h., ein Großteil der österreichischen PsychiaterInnen sind in der ÖGPP vertreten.

Welche persönlichen Prioritäten bzw. Ziele haben Sie sich gesetzt?

Persönlich ist es mir sehr bewusst, welch breites Aufgabenspektrum mich in den nächsten drei Jahren als Präsidentin der Gesellschaft erwarten wird, bin ich doch bereits seit 2009 im Vorstand der ÖGPP tätig. Vieles lässt sich weder planen noch vorhersehen. Persönlich ist mir der Abbau von Stigma und Vorurteilen gegenüber psychischen Erkrankungen, die sich leider oft auch auf Einrichtungen und Methoden zu deren Behandlung – somit auch auf uns PsychiaterInnen – erstrecken, ein wichtiges Anliegen.

Was konnte in den letzten Jahren erreicht werden?

Die positiven Auswirkungen der Tätigkeit unserer Fachgesellschaft lassen sich vielleicht am besten anhand von Beispielen erläutern, die die Bandbreite der Aktivitäten illustrieren mögen. Da der Mangel an FachärztInnen für Psychiatrie sich in Zukunft noch verschärfen wird, stellt die 2015 erfolgte Einstufung der Psychiatrie als Mangelfach einen wesentlichen Schritt zur Sicherung der zukünftigen Versorgung dar. Ein Meilenstein ist sicher auch die Verankerung der Psychiatrie in der Ausbildung von AllgemeinmedizinerInnen. Auf einer ganz anderen Ebene ist es in den letzten Jahren im Rahmen der Fachgesellschaft zu einer Intensivierung der Auseinandersetzung mit der leidvollen Geschichte des Faches, insbesondere mit der Katastrophe der NSPsychiatrie, gekommen.

Einen vorläufigen Höhepunkt dieser Aktivität stellte die Ausstellung „Erfasst, verfolgt, vernichtet“ im Jänner 2016 im Palais Epstein dar, die in enger Kooperation zwischen der Präsidentin des Nationalrates Doris Bures, der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sowie der ÖGPP und dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) realisiert werden konnte. Hier gebührt meinem Vorgänger Chefarzt Dr. Georg Psota für sein Engagement besonderer Dank.

Wo gibt es (politischen) Handlungsbedarf?

Leider hat die Psychiatrie in Österreich nach wie vor noch nicht den Stellenwert, der ihr aus meiner Sicht zukommt. Dies bezieht sich vor allem auf die gewaltigen epidemiolo gischen Herausforderungen. Die dafür erforderlichen Strukturen sind teilweise unzureichend und vor allem nicht flächendeckend vorhanden. Im Vergleich zu anderen Bereichen der Medizin sind psychiatrische PatientInnen nach wie vor strukturell diskriminiert. Dies betrifft auch den Kostenersatz wichtiger evidenzbasierter Behandlungen. Zu nennen ist hier die adäquate Refundierung der Psychotherapie, aber auch die bedauerliche Entwicklung, dass wesentliche medikamentöse Innovationen in der Psychiatrie nicht erstattet werden.

Ein aktuelles Diskussionsfeld hat sich auch im Bereich der Psychosomatik aufgetan, wo seitens der Psychiatrie valide und effiziente Konzepte zur interdisziplinären Versorgung erarbeitet wurden. Vieles ist bereits umgesetzt, es besteht jedoch nach wie vor Handlungsbedarf zur Verbesserung der interdisziplinären Zusammenarbeit. Um der besonderen Bedeutung und der Rolle der Psychiatrie in diesem Zusammenhang mehr Gewicht zu verleihen, wurde im Rahmen der letzten Generalversammlung der ÖGPP am 22.4.2016 beschlossen, zukünftig den Namen der Gesellschaft auf „Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik“ zu erweitern.

Das Interview führte DI Monika Tenze-Kunit, MAS