In der Behandlung der Alkoholabhängigkeit ist neben einer exakten Diagnostik auch die Früherkennung einer Abhängigkeitsentwicklung und eventueller komorbider Störungen entscheidend. Pharmakologisch stehen neben bewährten auch neue medikamentöse und therapeutische Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die der hohen Komplexität dieser Erkrankung gerecht werden. (CliniCum neuropsy 02/2017)

Im Pro-Kopf-Konsum von Alkohol liegt Österreich im europäischen Spitzenfeld. Auch bei den alkoholassoziierten Todesfällen finden wir uns hinter diversen osteuropäischen Staaten im oberen Drittel. Geschätzte 340.000 Österreicher sind alkoholkrank, nahezu jeder vierte Erwachsene konsumiert Alkohol in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß. Obwohl die Gesamtzahl der Alkoholkranken in den letzten Jahren nahezu gleich blieb, nimmt der relative Anteil der Frauen deutlich zu, während die der Männer leicht sinkt. Rund zehn Prozent der Österreicher erkranken im Laufe ihres Lebens an chronischem Alkoholismus.

Durchschnittlich tritt die Alkoholkrankheit bei Männern nach dem 26. Lebensjahr und bei Frauen nach dem 34. Lebensjahr auf. Bei vielen tritt die Erkrankung aber auch schon viel früher auf, wobei in den letzten Jahren eine Tendenz sichtbar wurde, dass die Alkoholkranken im Durchschnitt immer jünger werden. Dieser Effekt wird als Akzeleration bezeichnet. Die Lebenserwartung von alkoholkranken Frauen ist um durchschnittlich 20 Jahre, jene von alkoholkranken Männern um 17 Jahre reduziert (Bühringer et al., 2000).

Die meisten Problemkonsumenten findet man derzeit bei den 30- bis 39-Jährigen. Die meisten täglichen Alkoholkonsumenten jedoch bei den über 70-Jährigen. Die österreichischen Jugendlichen sind hinsichtlich des Alkoholkonsums nicht die Hauptproblemgruppe, auch wenn bei Jugendlichen doch eine deutliche Zunahme des täglichen Alkoholkonsums in den letzten zehn Jahren zu bemerken ist, wobei dies aber eher ein akzelerationsbedingtes Vorverlegen des Alkoholkonsums im Sinne eines früheren Reifens und einer früheren Selbstständigkeit als eine nachhaltige Konsumsteigerung interpretieren sollte.

Diagnose

Die Kriterien des Abhängigkeitssyndroms nach ICD-10 umfassen eine Gruppe von Verhaltensauffälligkeiten sowie psychischen und körperlichen Phänomenen, die sich im Rahmen von wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln. An erster Stelle steht hier der starke Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren. Dieser starke Wunsch, auch Craving genannt, ist nicht mit dem allen gut bekannten Gusto beziehungsweise der Vorfreude auf einen bestimmten Konsum gleichzusetzen, sondern äußert sich in einem nahezu unstillbaren Verlangen, das Suchtmittel zu sich zu nehmen. Als zweites Abhängigkeitskriterium wird die verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Alkoholkonsums angeführt. Das heißt, Alkoholkranke nehmen sich zwar oft vor, weniger und seltener zu trinken, jedoch gelingt ihnen dies dann in aller Regel nicht mehr.

Als weiteres Kriterium gilt das Auftreten von Entzugssymptomen. Ein körperliches Entzugssyndrom tritt meist bei einem regelmäßigen beziehungsweise täglichen Konsum auf und äußert sich vor allem durch Tremor, Hyperhidrosis und Insomnie sowie auch durch innere Unruhe, morgendliche Übelkeit bis Erbrechen und findet vorerst rasch Linderung durch neuerlichen Alkoholkonsum. Wird ein solches Entzugssyndrom nicht rechtzeitig und ausreichend behandelt, kann es in ein Alkoholentzugsdelir übergehen, das durch das Auftreten von psychomotorischer Unruhe, Orientierungsstörungen und von optischen Halluzinationen gekennzeichnet ist und trotz intensiv- medizinischer Maßnahmen immer noch einen lebensbedrohenden Zustand darstellen kann.

Psychische Entzugserscheinungen wie Schlafstörungen, Angstzustände, innere Unruhe und depressive Verstimmungen können zusätzlich zu den körperlichen Symptomen auftreten. Ein weiteres wichtiges diagnostisches Kriterium ist die Toleranzentwicklung und die damit verbundene Dosissteigerung der alkoholischen Getränke. Dies bedeutet, dass immer größere Alkoholmengen konsumiert werden müssen, um denselben Effekt zu erzielen. Die ICD-10-Diagnostik beschreibt als weitere Kriterien dann auch noch eine fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Alkoholkonsums und den anhaltenden Konsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen. Die Früherkennung der Alkoholproblematik stellt nicht nur Ärzte aller Fachrichtungen, Psychologen, Therapeuten und andere Berufsgruppen vor große Herausforderungen, sie ist das zentrale Problem der Suchtbehandlung unserer Zeit. Zwischen dem Auftauchen erster suchtspezifischer Probleme und der Inanspruchnahme fachlicher Hilfeleistungen vergehen bei Männern durchschnittlich 11,3 Jahre bei Frauen 6,5 Jahre.

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Hier zeigt sich: Je später der Behandlungsbeginn, desto schlechter die Prognose. Mit der Veröffentlichung des DSM-5, des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders in der fünften Auflage, bahnen sich auch für den europäischen Raum grundlegende Veränderungen in der Diagnose alkoholbezogener Störungen an. Hier werden Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit zu einem gemeinsamen Störungsbild, der „Alkoholkonsumstörung“, zusammengefasst. Bei einer Neuauflage des ICD ist nach den letzten Erfahrungen der Angleichung von DSM und ICD mit einer Übernahme dieser neuen Diagnosekriterien in ein ICD–11 zu rechnen.

Harmlosigkeit – Gefährdung – Abhängigkeit. Die Harmlosigkeitsgrenze, laut Weltgesundheitsorganisation (WHO), bezieht sich auf die Alkoholmenge, bis zu der ein Konsum als körperlich bedenkenlos eingestuft werden kann, und liegt beim Mann bei 24g reinem Alkohol pro Tag und bei der Frau bei 16g reinen Alkohol pro Tag. 20g reiner Alkohol entspricht einem halben Liter Bier oder einem Viertel Liter Wein. Mit der Gefährdungsgrenze wird die Grenze bezeichnet, ab der ein Alkoholkonsum als körperlich gesundheitsgefährdend eingestuft wird, und liegt beim Mann bei 60g reinem Alkohol pro Tag und bei der Frau bei 20g reinem Alkohol pro Tag. Bei der Diagnose Abhängigkeit müssen, nach der in Österreich üblicherweise verwendeten Klassifikation, ICD-10, während des letzten Jahres drei oder mehr der in Tabelle 1 genannten Kriterien zutreffen.

Missbrauch – Abhängigkeit. Nach ICD-10 und DSM-IV wird die sogenannte „psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol“ in schädlicher Gebrauch (ICD-10) bzw. Missbrauch (DSM-IV) und der eigentlichen Alkoholabhängigkeit unterschieden. Im Mai 2013 wurde das in Amerika verbreitete Klassifikationssystem DSM-5 veröffentlicht. Hier finden sich doch markante Veränderungen gegenüber dem Vorgänger DSM-IV. Neben einem formalen Wechsel von römischen zu arabischen Ziffern soll hier bereits auf Symptomebene der kategoriale Ansatz durch einen dimensionalen ersetzt werden, das heißt statt Ja/Nein-Entscheidungen gibt es eine Einstufung nach Schweregrad, wie „leicht“, „mittel“ oder „schwer“. Somit können, durch das Einbeziehen von Frühstadien einer Alkoholkrankheit, diagnostisch deutlich mehr Menschen mit Behandlungsbedarf erfasst werden.

In Europa hat primär das ICD-Klassifikationssystem Bedeutung. Hier bleibt abzuwarten, ob in einem neuen ICD- 11 eine ähnliche Einteilung und Neustrukturierung erfolgen wird. Es gilt aber als wahrscheinlich, dass hier ein Angleichen an das amerikanische System verfolgt werden wird. Zum besseren Verständnis der eventuellen zukünftigen diagnostischen Veränderungen soll hier die DSM-5-Diagnostik näher vorgestellt werden (Tabelle 2). Hier müssen mindesten zwei Merkmale innerhalb eines Zwölf-Monats-Zeitraums erfüllt sein. Bei zwei bis drei Kriterien ist die Diagnose „leichte Alkoholkonsumstörung“ zu stellen, bei vier bis fünf Kriterien eine „moderate“ und bei mehr als sechs Kriterien eine schwere Störung. Dies würde in etwa der Einteilung in Missbrauch und Abhängigkeit entsprechen, findet sich hier jedoch in derselben diagnostischen Kategorie. Dadurch wird, nach DSM-5, wahrscheinlich viel häufiger eine Alkoholkonsumstörung diagnostiziert werden und gleichzeitig aber für alle an Alkoholkonsumstörung leidende ein abstinenzorientierter Therapieansatz, wie lange bei einer schweren Alkoholabhängigkeit üblich, infrage gestellt.

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Diese Veränderungen in der Diagnostik der Substanzgebrauchsstörung bedingt auch eine Adaptation und teilweise Neukonzeption der Therapieziele. Nicht mehr die Abstinenz ist alleiniges Therapieziel, bei den milden und moderaten Verläufen kann ein reduzierter Konsum eine zusätzliche Behandlungsoption sein. Durch nachhaltige und irreversible Umbauprozesse im Suchtgedächtnis gilt die Auflage einer „totalen Abstinenz“ jedoch nach wie vor für die schweren Abhängigkeitserkrankungen mit auch ausgeprägter körperlicher Abhängigkeit und zu erwartenden Entzugssymptomen bei einer Trinkmengenreduktion. Die Alkoholkrankheit ist aber auch als eine hochkomplexe psychische Störung anzusehen, denn immer mehr Patienten zeigen Überschneidungen verschiedenster Suchtformen und auch oft ausgeprägte komorbide Störungen, die in bekannten kategorialen Klassifikationssystemen zu wenig berücksichtigt werden und somit dem Anspruch einer realitätsgerechten, umfassenden Diagnostik nicht gerecht werden.

Somit erscheint ein Umdenken in Richtung mehrdimensionaler Suchtdiagnostik angemessen, welche symptom-, prozess- und pathogeneseorientiert ist. Diese fokussiert auf suchtauslösende sowie suchterhaltende Faktoren genauso wie auf den individuellen Krankheitsverlauf und rückt den Menschen stärker in den Mittelpunkt der Diagnostik. Jeder kranke Mensch weist auch gesunde Anteile auf, die nicht nur einen wichtigen, zentralen Teil seiner Persönlichkeit darstellen, sondern auch für den Weg zurück zu einem insgesamt gesünderen und freudvollen Leben von immenser Bedeutung sind. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, den diagnostischen Blickwinkel zu erweitern und neben den Krankheitssymptomen auch die Ressourcen des Patienten zu finden, um sie in den späteren therapeutischen Prozess auch gezielt einbauen zu können.

Screening

Bei der Früherkennung der Alkoholabhängigkeit können indirekte und direkte Verfahren angewendet werden. Indirekte Verfahren sollen eventuelle krankheitsspezifische Dissimulations- und Bagatellisierungstendenzen vonseiten der Patienten umgehen und eine möglichst objektive Beurteilung ermöglichen. Neben einer klinischen – psychiatrischen Diagnostik haben hier typische Laborparameter große Aussagekraft. Von Bedeutung sind Leberparameter wie die Gammaglutamyltransferase (GGT), die Transaminasen (GOT, GPT) und das mittlere Erythrozyten- Zellvolumen (MCV). Das Carbohydrate deficient transferrin (CDT) zeigt lediglich einen zwischenzeitlichen Alkoholkonsum, hat jedoch keine Aussage für die Diagnostik einer Alkohlabhängigkeit.

Diese Werte können durch übermäßigen Alkoholkonsum erhöht sein, wobei zur exakten Diagnostik das Gesamtbild der pathologischen Veränderungen betrachtet werden muss. Die CDT-Diagnostik wird häufig auch bei amtsärztlichen Untersuchungen eingesetzt, da dieser Wert auch bei mehrwöchiger Abstinenz einen exzessiven Alkoholkonsum nachweisen kann. Über eine eventuelle Alkoholabhängigkeit können Laborwerte jedoch keine Auskunft geben, da sie lediglich einen erhöhten, schädlichen Konsum bezeugen. Trotzdem hat die Erhebung der Laborparameter ihre Berechtigung, da sie, zusammen mit der klinischen Diagnostik, dem behandelnden Arzt Anlass geben, um auch direkte Verfahren einzusetzen, um den Patienten schließlich zu einer Verhaltensänderung motivieren zu können. Direkte Verfahren fördern Selbstaussagen von Patienten und bieten einen sensitiveren Zugang als indirekte Verfahren.

Wichtig ist hier eine empathische und wertschätzende Vorgangsweise, um die suchttypischen Abwehrmechanismen möglichst gering zu halten. Diagnostisch hilfreich und bewährt sind standardisierte direkte Verfahren wie der „alcohol use disorder identification test“ (AUDIT). Der AUDIT-C ist eine Kurzversion, die ausschließlich die drei Konsumfragen des AUDIT beinhaltet (Tabelle 3).

Komorbiditäten

Eine Alkoholabhängigkeit tritt praktisch nie allein in Erscheinung. So weisen 75 Prozent der Frauen und 53 Prozent der Männer, die sich in stationärer Behandlung befinden, zumindest eine komorbide Störung auf, viele davon haben zwei oder auch mehrere zusätzliche psychische Erkrankungen. Bei rund einem Drittel der Alkoholkranken findet man im Laufe ihres Lebens die Kriterien einer Angststörung, noch höher ist der Prozentsatz bei depressiven Erkrankungen. Besonders zu betonen ist, dass Alkoholkranke eine überaus hohe Suizidalitätsrate (bis zu 35 Prozent der Alkoholkranken) aufweisen. Auch mit bestimmten Persönlichkeitsstörungen zeigt die Alkoholkrankheit enge Verbindungen. So finden sich bei ihnen bis zu 50 Prozent Merkmale einer Borderline-Persönlichkeitsstörung beziehungsweise antisoziale Persönlichkeitsstörungen.

Besonders hoch ist die Komorbidität auch mit anderen Formen von Abhängigkeitserkrankungen wie Nikotinabhängigkeit (bis zu 85 Prozent) und Medikamentenmissbrauch (bis zu 40 Prozent). Die enge Verbindung der Alkoholabhängigkeit zu anderen psychischen Störungen macht eine genaue Differenzialdiagnose erforderlich, die weit über die eigentliche Suchtdiagnostik hinausgeht. Dies umso mehr, als die genannten Störungen nicht nur die Suchtkrankheit begleiten, sondern sehr oft selbst als krankheitserhaltende Faktoren wirksam werden und dementsprechend auch bei einer Pathogenese-orientierten Therapieplanung Berücksichtigung finden müssen.

Therapie

In der Behandlung der Alkoholkrankheit muss der Komplexität dieser Erkrankung und ihrer mannigfachen Bedingungskonstellationen mit ebenso komplexen Behandlungsmaßnahmen begegnet werden. Vielerorts gilt die absolute Abstinenz immer noch als einziges Therapieziel. Ohne Zweifel ist bei einer diagnostizierten Alkoholkrankheit, mit all ihren Abhängigkeitssymptomen und hier vor allem mit körperlichen Abhängigkeitszeichen, der Versuch, kontrolliert zu Trinken, nach allen bisherigen Erfahrungen in der Regel nicht erfolgreich. Dennoch ist es nur schwer nachvollziehbar, warum bei Alkoholkranken ausschließlich Forderungen nach absolutem Behandlungserfolg gestellt werden, die wir als verantwortungsbewusste Ärzte an Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen, sei es eine Hypertonie oder ein Diabetes, in dieser Form nie stellen würden.

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Ebenso wie bei anderen schweren chronischen Erkrankungen stellt somit ein Krankheitsrezidiv, d.h. ein Rückfall, einen zwar ungewünschten, aber doch zu akzeptierenden Teil der Erkrankung dar. Der erste Schritt zu einer erfolgreichen Behandlung ist, den Patienten in seinem Vertrauen zu sich und in die Therapie soweit zu stärken, dass er sich ein erfolgreiches Mitwirken zutrauen kann. Von besonderer Wichtigkeit ist hierbei eine umfassende Aufklärung über die Erkrankung in ihrer ganzen Komplexität und des Weiteren das genaue Informieren über alle zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten. In einem Erstgespräch wird dann, nach genauer psychiatrischer Exploration, mit dem Patienten gemeinsam ein individueller Therapieplan erstellt. Prinzipiell kann die Behandlung ambulant oder stationär erfolgen. Eine stationäre Behandlung ist bei ausgeprägter körperlicher Abhängigkeit, im Falle einer bisher nur wenig erfolgreichen ambulanten Therapie oder bei schwerwiegenden komorbiden Störungen bzw. massiven psychosozialen Problemen zu empfehlen.

Vorteile in der stationären Behandlung liegen in den meist intensiveren medizinischen Behandlungs,- Diagnostik- und auch Therapiemöglichkeiten. Außerdem bietet eine stationäre Aufnahme einen geschützten Rahmen und einen vorübergehenden Abstand zu eventuell belastenden Lebenssituationen, die dann, aus diesem Abstand heraus, oft besser therapeutisch bearbeitet werden können, wohingegen es bei der ambulanten Behandlung von Vorteil ist, dass der Patient in seiner gewohnten Umgebung weiterlebt und das Umfeld auch aktiv in den therapeutischen Prozess eingebunden werden kann. Die in der Therapie erlernten Strategien können hier unmittelbar im Lebensalltag umgesetzt werden.

Medikation in der Behandlung:

Akute Alkoholintoxikation. Nach ICD-10 ist darunter ein vorübergehendes Zustandsbild nach Aufnahmen von Alkohol zu verstehen. Es kommt zu Störungen des Bewusstseins, der kognitiven Funktionen, des Affekts oder anderer pathophysiologischer Funktionen. Eine schwere Ausprägung ist als internistische Notfallsituation zu werten und bedarf einer intensivmedizinischen Überwachung. Auch sind Polyintoxikationen mit anderen Substanzen auszuschließen. Als Behandlung kann, wenn keine schwere Bewusstseinstrübung vorliegt, eine Magenspülung erwogen werden, eventuell eine Infusion mit Plasmaexpandern, aufgrund der relativ kurzen Halbwertszeit von Alkohol ist hier jedoch keine spezifische Medikation erforderlich.

Pathologischer Rausch. Ein pathologischer Rausch zeichnet sich durch Erregungszustände und Aggressivität aus, wobei hier Benzodiazepine als sedierende Akutmaßnahme einsetzbar sind. Bei psychotischer Ausgestaltung können Neuroleptika indiziert sein, auch hier kann eine Magenspülung erwogen werden.

Delirium Tremens. Diese intensivste Form eines Entzugssyndroms zeichnet sich durch Orientierungsstörungen, psychomotorische Unruhe sowie optische Halluzinationen aus. Dies stellt in aller Regel einen intensivpflichtigen Zustand dar, die Behandlung muss meist intravenös erfolgen und erfolgt primär mit Benzodiazepinen.

Wernicke-Korsakow-Syndrom. Diese schwere Alkoholfolgeerkrankung zeigt sich klinisch in der Trias Gangataxie, Desorientiertheit und Störung der Okulomotorik wie typischerweise Nystagmus oder Blickparesen. Die davon Betroffen weisen in der Krankengeschichte oft schwere Entzugssyndrome, Mangelernährung bzw. Alkoholpsychosen auf. Entscheidend in der Behandlung beziehungsweise auch in der Prophylaxe ist die Gabe von Vitamin B1 in ausreichender Dosierung. Glucoseinfusionen sollte man vermeiden, da Glucose wiederum zu einem erhöhten Bedarf an Vitamin B1 führt und es dadurch zu einer Verschlechterung kommen kann.

Medikamentöse Entzugsbehandlung. Bei einer körperlichen Abhängigkeit sollte so früh als möglich mit einer Entzugsbehandlung begonnen werden. Die medikamentöse Behandlung erfolgt mittels Benzodiazepinen, die in ausreichender Dosierung und dann ausschleichend bis zum Sistieren der Entzugssymptomatik zu verabreichen sind. Bewährt haben sich hier Benzodiazepine mit einer mittellangen Halbwertszeit und ohne aktive Metaboliten, dadurch kann eine bessere Steuerbarkeit mit weniger Gefahr der Kumulation erreicht werden, wie z.B. Oxazepam mit einer HWZ von zehn bis 20 Stunden und ohne aktive Metaboliten. Sobald das Entzugssyndrom abgeklungen ist, ist auch die Gabe der Tranquilizer zu beenden, da diese selbst ein nicht unerhebliches Suchtpotenzial aufweisen. Zusätzlich empfiehlt es sich, zur Prophylaxe eines eventuellen Entzugsanfalls vorübergehend Antiepileptika einzusetzen, vor allem dort, wo aufgrund der Vorgeschichte bzw. der Intensität des Entzugssyndroms ein Anfallsgeschehen wahrscheinlich wird. Nach Abklingen der Entzugssymptomatik ist möglichst bald mit der Behandlung eventueller komorbider Störungen zu beginnen, da sonst die Gefahr eines Rückfalls deutlich höher ist.

Rückfallprophylaxe. Zur Rückfallprophylaxe haben sich Acamprosat, welches in das Glutamat-System eingreift, und Naltrexon, ein Opioidrezeptor-Blocker, gut bewährt und sollten, zumindest über einige Monate, regelmäßig, d.h. täglich, eingenommen werden. Studien zeigen hier eine Überlegenheit der Anti-Craving-Substanz Naltrexon gegenüber Acamprosat (Combine Study, Anton et al., 2006) bzw. auch gute Ergebnisse für eine Kombinationstherapie (Kiefer et al., 2003).

Reduktion des Alkoholkonsums? Prinzipiell sollte das Therapieziel Reduktion des Konsums für alle Patienten, die den Wunsch nach Veränderung ihres Trinkverhaltens haben, aber sich zum derzeitigen Zeitpunkt keine Abstinenz vorstellen können, eine Therapieoption darstellen. Die Substanz Nalmefen steht mit der Indikation der Reduktion des Konsums zur Verfügung, ein Opioidmodulator mit antagonistischer Wirkung am μ- und δ-Rezeptor und partiell agonistischer Wirkung am κ-Rezeptor. Wichtig ist hier eine begleitende kontinuierliche psychosoziale und/oder medizinische Behandlung, um sich hier die, für die Erreichung ihres individuellen Therapieziels, nötige Unterstützung holen zu können und wo das Trinkverhalten reflektiert und nötigenfalls auch verändert werden kann.

Eine Reduktion sollte kein Behandlungsziel sein bei fortgeschrittenem Krankheitsverlauf mit körperlicher Abhängigkeit und zu erwartendem Entzugssyndrom nach Alkoholreduktion. Eine ideale Patientengruppe für dieses Behandlungsziel würde sicher, nach DSM-5, die Gruppe der Menschen mit eher leichter bis moderater Alkoholkonsumstörung darstellen. Nach der Entzugsphase muss im Rahmen eines individuellen, modularen Behandlungsprogramms an der Ergründung von suchtauslösenden und suchterhaltenden Faktoren im Rahmen von Gruppen- und Einzelpsychotherapien gearbeitet werden. Zur Lösung eventueller soziale Problemfelder braucht es eine Unterstützung durch Sozialarbeiter. Die individuelle und ganzheitliche Behandlung der Patienten im Anton-Proksch-Institut beruht im Wesentlichen auf sieben Säulen. Neben medizinischen und psychotherapeutischen Basismodulen, suchtspezifischen Interventionsmodulen wie beispielsweise der Rückfallprophylaxe, stehen den Patienten auch Angebote zur Behandlung komorbider Störungen, Sport-, Bewegungs- und Entspannungsmodule sowie Module zur sozialen und beruflichen (Re-)Integration zur Verfügung.

Die letzte Säule bilden die Orpheusmodule, welche Angebote beinhalten, die Betroffene bei der Aufnahme eines sinn- und freudvollen Lebens unterstützen. Orpheus ist jener namensstiftende Held der griechischen Mythologie, der im Unterschied zu Odysseus den verlockenden Rufen der Sirenen nicht dadurch begegnete, dass er sich kasteite und an den Schiffsmast binden ließ, sondern durch sein Lyraspiel und seinen Gesang die Rufe der Sirenen übertönte. In Analogie dazu sollen suchtkranke Patienten Abstinenz nicht als Verzicht erleben, sondern als Basis zur Transformation und Chance zur Lebensneugestaltung. Die Orpheusmodule beinhalten daher kreative und schöpferische Therapiemodule, Philosophika sowie Angebote zur Achtsamkeitserhöhung und zum Genusserleben, innerhalb derer die Patienten zentralen Themen für eben diese Lebensneugestaltung begegnen. Denn nur ein reichhaltiges, freud- und sinnvolles Leben, reich an individuellen Ressourcen, kann Garant dafür sein, nicht den verlockenden Rufen des Suchtmittels zu erliegen.

Zusammenfassung

In der Behandlung der Alkoholkrankheit sind die Früherkennung sowie die exakte Erfassung von körperlichen, psychischen und sozialen Krankheitszeichen von zentraler Bedeutung. Die medikamentöse Therapie soll nicht nur die Linderung alkoholbezogener Störungen umfassen, sondern unbedingt auch eventuelle komorbide Erkrankungen miteinschließen. In der Gesprächsführung lassen sich durch zieloffene Angebote mehr Menschen zu einer Konsumänderung motivieren, als durch ausschließlich abstinenzorientierte. Die Alkoholabhängigkeit, als eine hochkomplexe Erkrankung, bedarf auch komplexer, individueller Therapieangebote, die den Patienten nicht nur in der Behandlung ihrer Krankheitssymptome und komorbider Störungen unterstützen, sondern darüber hinaus die Möglichkeit geben sollten, ihre eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu entdecken, um diese als Basis für ein freudvolles Leben umsetzen zu können.

 

Fotos: PrivatPrim. Dr. Roland Mader, Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek
Anton Proksch Institut, Wien

 

 

Literatur bei den Autoren 

Lecture Board: Dr. Markus Dold, Univ.-Prof. Dr. Michael Rainer

Ärztlicher Fortbildungsanbieter: Klinische Abteilung für Biologische Psychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Wien