Die Überlappung zwischen chronischen Schmerzen und posttraumatischen Belastungsstörungen ist hoch. Die vorliegende Übersichtsarbeit widmet sich der Wechselwirkung zwischen diesen beiden Störungsbildern und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für Diagnostik und Therapieplanung. (CliniCum neuropsy 1/17)

Schmerz stellt eines der häufigsten Probleme im Zusammenhang mit Traumatisierung dar (McFarlane, 1994). Zum einen können traumatische Erfahrungen wie Verkehrsunfälle, Terror, kriegerische Auseinandersetzungen oder Folter unmittelbar Auslöser für schmerzhafte körperliche Schäden sein. Zum anderen können frühere Traumatisierungen auch zur Aufrechterhaltung und Chronifizierung mancher Schmerzsyndrome beitragen (Casey et al., 2008; Eich et al., 2012; Roth & Egle, 2016). Als Folge dieser Wechselwirkung finden sich in klinischen Studien hohe Komorbiditätsraten zwischen chronischem Schmerz und einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). So leiden 45 bis 87 Prozent von PTBS-Patienten unter Schmerzen; umgekehrt finden sich bei chronischen Schmerzpatienten Prävalenzraten von 20 bis 34 Prozent bezüglich PTBS (Asmundson et al., 2002; Otis et al., 2003). Trotz dieser hohen Überlappung ist der Zusammenhang zwischen (chronischem) Schmerz und PTBS oft unklar.

Theoretische Modelle

In den letzten Jahren wurde von mehreren Autoren eine konzeptionelle Überschneidung von chronischem Schmerz und Traumafolgestörungen postuliert. Nach dem Modell der „shared vulnerability“ (Asmundsen et al., 2002) wird für manche Individuen eine spezifische Disposition angenommen, nach Traumaexposition sowohl eine PTBS als auch chronische Schmerzen zu entwickeln. Entsprechend dem „mutual maintenance model“ (Sharp & Harvey, 2001) kann es bei Vorliegen von PTBS-Symptomen zur Exazerbation von (chronischen) Schmerzen kommen und umgekehrt. Einige Autoren postulieren eine gemeinsame neurobiologische Basis zwischen persistierendem Stress, Schmerz und Angst (Egloff et al., 2013). So folgt auch das „imprinting model“ der These, dass traumatische Ereignisse sowohl emotionale als auch somatosensorische – nozizeptive – Erfahrungen langfristig prägen können (Morina & Egloff, 2015).

Neurobiologische Mechanismen

Neuronale Sensibilisierung. Chronischer Schmerz bei Traumatisierten lässt sich oft nicht eindeutig auf somatomedizinische Ursachen zurückführen. In der Folge werden diese Schmerzen häufig als „psychogen“ aufgefasst. Für das Verständnis dieser Schmerzen ist eine genauere Kenntnis des neuroperzeptiven Prozesses der Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung wichtig. Zum einen können lokale Verletzungsfolgen in der Körperperipherie direkt zu neuropathischen Schädigungen des schmerzleitenden Systems führen, zum anderen spielt der Mechanismus der NMDA-assoziierten „zentralen Sensibilisierung“ an der synaptischen Übertragung der nozizeptiven Informationen im Hinterhorn des Rückenmarks eine entscheidende Rolle für die Schmerzverstärkung und Chronifizierung (Sandkühler, 1996). Zusätzlich ist die Wirkung der Stresshormone Cortisol und Noradrenalin als Enhancer der zellulären Signalübertragung in nozizeptiven Neuronen bekannt (Khasar et al., 2009).

Imprinting. Die neuroendokrinologischen Folgen von exzessivem Stress können zu einer Überkonsolidierung von traumatischen Gedächtnisspuren führen (Pitman, 1989). Das sogenannte „Imprinting“ ist die Basis für nachfolgende Reaktivierung solcher Gedächtnisinhalte als „flash backs“. So können auch Schmerzerfahrungen als Körpergedächtnis durch Trauma-spezifische Stimuli reaktiviert werden. Diese Assoziationen können bidirektional gedacht werden: Traumaerinnerungen aktivieren Schmerz, Schmerz aktiviert Traumaerinnerungen (Whalley et al., 2007).

Zwei Arten von Schmerzerinnerungen lassen sich hier differenzieren: „Schmerz-Intrusionen“, d.h. passagere somatosensorische „flash-backs“, die oft die ursprüngliche Schmerzqualität annehmen (Salomons et al., 2004), im Gegensatz zu „chronischen Schmerzerinnerungen“ bzw. „Schmerzerfahrungen“ im Sinne einer persistierenden Hypermnesie des primär traumatisierenden Schmerzerlebens. Für Letzteres sind neuronale Langzeitpotenzierungen sowohl auf spinaler Ebene als auch im zentralen neuronalen Netzwerk der Schmerzverarbeitung (Thalamus, anteriorer cingulärer Cortex, Inselregion, präfrontaler Cortex, primäre und sekundäre sensorische Rindenfelder) verantwortlich.

Schmerzverstärkung durch das Angstsystem. Die Grundlagenforschung formuliert eine enge assoziative Koppelung des angst- und des schmerzverarbeitenden Systems: So lässt sich Angst als psychophysiologisches Alarmsystem bei situativer existenzieller Bedrohung der somato-psychischen Integrität auffassen, während Schmerz ein psychophysiologisches Alarmsystem bei potenzieller körperlicher Schädigung darstellt. Beide Systeme können sich gegenseitig verstärken, wobei hier dem NMDA-Rezeptor als Koinzidenz-Detektor für eine assoziative Koppelung von Schmerz und Angst eine zentrale Rolle zukommt (Rogan et al., 1997; Williams et al., 2010). Umgekehrt lässt sich auch auf spinaler Ebene eine Inhibition peripherer nozizeptiver Stimulation durch angstmindernde Distraktionsexperimente beobachten (Ruscheweyh et al., 2011).

Schmerzbetäubung. Neben einigen schmerzverstärkenden Mechanismen existiert auch der Vorgang der Traumaassoziierten Dissoziation bei Überschreitung der subjektiven Bewältigungsmechanismen in lebensbedrohlichen Situationen. Auf neurobiologischer Ebene kann die Autoanästhesie entweder durch Endorphine vermittelt werden, andererseits durch eine emotionale oder somatosensorische Entkoppelung im Rahmen eines partiellen Totstellreflexes (Pitman et al., 1990). Im klinischen Kontext findet sich bei Traumatisierten häufig eine reduzierte Hautempfindlichkeit für Berührung und Temperatur, die vermutlich zentralnervösen Ursprungs ist (Egloff et al., 2009). Trauma-assoziierte Hyperalgesie und dissoziative Hypästhesie schließen sich gegenseitig nicht aus und können gleichzeitig vorliegen (Mailis-Gagnon & Nicholson, 2011).

Diagnostik und Differenzialdiagnostik

Die Differenzialdiagnostik von Patienten mit Traumafolgestörungen sollte immer unter psychosomatischen Gesichtspunkten erfolgen. D.h., dass neben psychischen auch somatische Traumafolgen im Sinne einer Simultandiagnostik parallel erfasst und mögliche kausale Wechselwirkungen geklärt werden. Prototypisch werden hier einige charakteristische Traumafolgestörungen nach ICD-10 aufgelistet (in Anlehnung an Maercker 2013):

  • Posttraumatische Belastungsstörung
  • Dissoziative Störungen
  • Persönlichkeitsstörungen, insbesondere emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom
    Borderline-Typ
  • Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
  • Störungen durch psychotrope Substanzen als Traumafolge
  • Somatoforme Störungen als Traumafolge
  • Angststörungen oder affektive Störungen als Traumafolge

Darüber hinaus sollten sich behandelnde Ärzte und Therapeuten mit unterschiedlichen Schmerzmechanismen vertraut machen, die als Traumafolge auftreten können (in Anlehnung an Morina & Egloff, 2015):

  • akuter nozizeptiver Schmerz: Schmerz in Verbindung mit einer akuten peripheren Verletzung
  • persistierender nozizeptiver Schmerz: andauernde Schmerzen durch eine längerfristige Verletzungsfolge
  • neuropathischer Schmerz: Schmerzen durch strukturelle Schädigung von nozizeptiven Strukturen, z.B. Nervenverletzungen im Rahmen von Folterungen
  • komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS Typ I und Typ II): reaktives Schmerzsyndrom als Verletzungsfolge mit konsekutiven neuroinflammatorischen und neurovaskulären Symptomen
  • Stress-assoziiertes myofasziales Schmerzsyndrom: chronisch- rezidivierende oder persistierende Schmerzen durch prolongierte Stress-abhängige Muskelspannung
  • Schmerz durch neuronale Sensibilisierung: z.B. generalisierte Hyperalgesie durch zentrale Sensibilisierung bei Fibromyalgie-Syndrom als Traumafolge
  • Chronisches Schmerzgedächtnis/Langzeitpotenzierung: persistierende Hypermnesie des primär traumatisierenden Schmerzerlebens
  • Schmerzintrusionen: transiente somatosensorische Schmerzerinnerungen getriggert durch Trauma-assoziierte Situationen
  • Medikamenten-induzierte Schmerzen: z.B. Analgetikainduzierter Dauerkopfschmerz oder Opioid-induzierte Hyperalgesie als Langzeitfolge dysfunktionaler Selbstmedikation/ schädlichen Konsums
  • Kombinationen der angeführten Schmerzmechanismen

Therapeutische Implikationen

Für die meisten psychischen Traumafolgestörungen sowie für eine Vielzahl an chronischen Schmerzsyndromen bestehen aktuelle Therapieleitlinien, basierend auf den Erkenntnissen evidenzbasierter Medizin. Aus der Beobachtung, dass Patienten mit komorbider Schmerz- und Traumastörung in der Regel eine höhere Schmerzintensität, mehr emotionalen Distress und ein höheres Ausmaß an psychosozialer Beeinträchtigung im Vergleich zu Schmerzpatienten ohne Traumatisierung oder Traumapatienten ohne Schmerz aufweisen, erwächst die Notwendigkeit einer integrativen Behandlung beider Störungsbilder, idealerweise in multidisziplinären therapeutischen Teams.

Erst in den letzten Jahren finden sich hierzu erste Ansätze für solche multimodalen Therapieansätze, die – gerade bei Traumatisierten – einen hohen Grad an Individualisierung im therapeutischen Vorgehen beinhalten. Auffallend ist die Beobachtung, dass dieser multimodale bio-psycho-soziale Ansatz in den Leitlinien diverser schmerztherapeutischer Expertengremien und Fachgesellschaften bereits integriert wurde (siehe z.B. S3-Leitlinie für Fibromyalgie-Syndrom, Hauensteiner-Wiehle et al., 2012), das gleiche Vorgehen umgekehrt in den Leitlinien aus dem psychiatrisch-psychosozialen Bereich bislang jedoch unterrepräsentiert ist. Exemplarisch wird ein solches integriertes schmerztherapeutisches Behandlungsmodell für Patienten mit Komorbidität von chronischen Schmerzen und PTBS von Otis und Kollegen (2009) ausführlicher dargestellt (siehe Tabelle).

Quelle: in Anlehnung an Otis et al. 2009; Morina & Egloff 2015

In den meisten multimodalen Behandlungsansätzen wird von einem stufenförmig aufbauenden konsekutiven Einsatz unterschiedlicher Interventionsverfahren – je nach Komplexität des Störungsbildes – ausgegangen. Bislang nicht eindeutig geklärt ist dabei die Frage nach der Reihenfolge einzelner Behandlungsmaßnahmen bei Vorliegen von chronischen Schmerzen im Rahmen von Traumafolgestörungen. Konkret heißt das: Soll zunächst eine Schmerztherapie gefolgt von Traumatherapie oder in umgekehrter Reihenfolge oder beides gleichzeitig durchgeführt werden? Sollen zuerst ressourcenorientierte Stabilisierungstechniken – wie z.B. Entspannungsverfahren, Achtsamkeitsübungen, Schmerzbewältigungs- oder Stressbewältigungsstrategien – eingesetzt werden? Oder können bereits frühzeitig Konfrontationstechniken – wie z.B. Biographiearbeit, Schematherapie, EMDR und andere Traumaexpositionsverfahren – verwendet werden?

Um das Risiko einer Retraumatisierung oder Verschlechterung der komorbiden Störungen zu minimieren, suggerieren viele bisherige Therapieempfehlungen ein behutsames Vorgehen mit langen Stabilisierungsphasen und relativ spätem Einsatz von Konfrontationstechniken, allerdings ohne entsprechende empirische Absicherung durch direkt vergleichende Interventionsstudien. Demgegenüber legen neuere Arbeiten nahe, dass der simultane Einsatz von Bewältigungs- und Konfrontationsansätzen bei PTBS mit komorbider Substanzabhängigkeit zu vergleichbaren Ergebnissen führt wie ein konsekutiv stufenförmiges Vorgehen (Killeen et al., 2011; Roberts et al., 2015. Erste Hinweise liegen vor, dass auch komorbide Schmerzstörungen durch ein ähnliches Vorgehen effektiv behandelbar sind (Ilgen et al., 2016). Für eine definitive Empfehlung sind hier allerdings noch weiterführende vergleichende Therapiestudien unterschiedlicher Therapiekombinationen bei Patienten mit PTBS und chronischen Schmerzen erforderlich.

Literatur bei den Autoren

Foto: PrivatProf. Priv.-Doz. Dr. Michael Bach
Ambulante psychosoziale Rehabilitation (APR), Salzburg und Institut für Psychosomatik und Verhaltensmedizin, Wien
E-Mail: michael.bach@promente-reha.at

 

 

Foto: PrivatMag. Carina Asenstorfer
Ambulante psychosoziale Rehabilitation (APR), Salzburg
E-Mail: carina.asenstorfer@promente-reha.at