Auch wenn es keine spektakulären Neuerungen bei der Behandlung intrazerebraler Blutungen gibt, sind doch zahlreiche Studien erschienen, die helfen, dieses schwere Krankheitsbild besser zu therapieren. (CliniCum neuropsy 3/17)

Intrazerebrale Blutungen (ICB), die zehn bis 17 Prozent aller Schlaganfälle ausmachen, haben nach wie vor eine hohe Mortalität. 20 bis 30 Prozent der Patienten versterben innerhalb der ersten drei Monate. „Das größte Problem stellen die Nachblutungen dar“, erläutert Dr. Corina Epple, Neurologische Klinik, Klinikum Frankfurt Höchst. „Bei jedem dritten Betroffenen kommt es zu einer Hämatomexpansion, meistens passiert das innerhalb der ersten vier Stunden.“

Wie tief den Blutdruck senken?

Der optimale Zielwert für die Blutdruckbehandlung bei akuter Hirnblutung ist nach wie vor nicht geklärt. Bisherige Studien lieferten keine eindeutigen Ergebnisse. In INTERACT-1 konnte gezeigt werden, dass eine frühe Blutdrucksenkung sicher ist und die Rate an Hämatomexpansionen um acht Prozent reduziert. Das galt vor allem für Patienten, die innerhalb von vier Stunden rekrutiert werden und einen initialen Blutdruck >180mmHg haben. ATACH-I hatte verschiedene Blutdruck-Zielkorridore und bestätigte, dass auch eine Senkung auf 110 bis 140mmHg machbar und sicher ist. Die Erwartung, dass Patienten von einer aggressiveren Blutdrucksenkung auch profitieren, erfüllte sich in INTERACT-2 jedoch nicht. In dieser großen Studie mit fast 2.800 Patienten konnte durch die intensive RR-Senkung (<140mmHg innerhalb 1h) kein besseres funktionelles Outcome (Tod oder schwere Behinderung nach 90 Tagen) erreicht werden als in der Kontrollgruppe (Zielwert RRsyst <180mmHg). Schließlich enttäuschte im Vorjahr auch noch ATACH-II, die letzte große Studie zu diesem Thema: Auch hier fand sich in beiden Behandlungsgruppen (Ziel 110 bis 139mmHg vs. 140 bis 179mmHg) kein Unterschied bezüglich des funktionellen Outcomes. Für beide Studien wird diskutiert, ob methodische Schwächen den erwarteten Vorteil der intensiveren RR-Senkung zunichte gemacht haben. „Trotz der negativen Ergebnisse kann man weiterhin empfehlen, den Blutdruck unter 140mmHg zu senken“, so Epple.

PATCH-Studie

In Industrienationen findet man bei jedem vierten ICB-Patienten in der Medikamentenanamnese die Einnahme eines Thrombozytenfunktionshemmers (TFH). Dadurch erhöht sich das Risiko, an der Blutung zu versterben, um 27 Prozent. Beobachtungsstudien legen nahe, dass die reduzierte Plätzchenaktivität zu einem größeren Risiko für eine Hämatomexpansion führt. Im Alltag werden in diesen Fällen oft Thrombozytenkonzentrate verabreicht, obwohl es für dieses Vorgehen bisher keine Evidenz gab. In der PATCH-Studie wurde nun untersucht, ob das Risiko für eine Hämatomexpansion und damit auch die Mortalität und die Behinderung bei TFH-Patienten tatsächlich durch die Gabe von Thrombozytenkonzentraten gesenkt werden kann. Das überraschende Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit für Tod oder schwere Behinderung (mRS 4–6) war in der Interventionsgruppe sogar höher als in der Kontrollgruppe! „Warum das so ist, ist nicht ganz klar“, so Epple. „Möglicherweise spielen hier proinflammatorische Effekte der Thrombozytenkonzentrate eine Rolle.“ Für die klinische Praxis bedeutet das: Patienten mit Blutungen unter Thrombozytenfunktionshemmern sollten keine Thrombozytenkonzentrate erhalten!

Vitamin-K-assoziierte Blutungen

Intrazerebrale Blutungen sind die häufigste Todesursache unter dauerhafter oraler Antikoagulation. OAKPatienten haben ein zehnfach höheres Risiko, eine ICB zu erleiden. Zudem findet sich bei Vitamin-K-assoziierten Blutungen eine höhere Mortalität (70 vs. 30 Prozent) und eine größere und länger bestehende Gefahr für eine Hämatomexpansion. Die naheliegende Frage: Macht es Sinn, bei diesen Patienten nicht nur den Blutdruck zu senken, sondern auch die INR möglichst rasch zu normalisieren? Untersucht wurde das in RE-TRACE, einer Studie, in der die Daten von 853 Patienten mit spontanen Blutungen unter Vitamin-K-Antagonisten und einer INR >1,5 analysiert wurden. Ja, so die klare Antwort : Die Patienten profitierten davon, wenn in den ersten vier Stunden nicht nur der RRsyst unter 160mmHg gesenkt, sondern auch der INR-Wert normalisiert wird (<1,3). Am größten war der Benefit bei einer Kombination beider Therapieansätze. Aufgrund dieser Ergebnisse wird heute uneingeschränkt empfohlen, bei Vitamin-K-assoziierten Blutungen Vitamin-K-Antagonisten abzusetzen, Vitamin K zu verabreichen und die INR möglichst schnell durch die Gabe von Gerinnungsfaktoren zu normalisieren.

Ist dafür besser FFP (fresh frozen plasma, also die unkonzentrierte Form) oder PCC (Prothrombin-Komplex-Konzentrat) geeignet? Verglichen wurden beide Strategien in der INCH-Studie. Geplant war der Einschluss von 72 Patienten, wegen der deutlichen Unterschiede in den beiden Behandlungsarmen wurde die Untersuchung jedoch vorzeitig beendet : In der PCC-Gruppe wurde der primäre Endpunkt (INR ≤1,2 nach drei Stunden) von 66,7 Prozent der Patienten erreicht, in der FFP-Gruppe hingegen nur von 8,9 Prozent! Überdies kam es unter PCC auch signifikant seltener zu Hämatomexpansionen. „PCC ist bezüglich der Normalisierung des INR-Wertes in der Frühphase FFP also deutlich überlegen“, fasst Epple zusammen.

Hämatomexpansion & NOACs

Epple: „Trotz der negativen Ergebnisse kann man weiterhin empfehlen, den Blutdruck unter 140mmHg zu senken.“

Epple: „Trotz der negativen Ergebnisse kann man weiterhin empfehlen, den Blutdruck unter 140mmHg zu senken.“

Unter Therapie mit neuen oralen Antikoagulantien treten Hirnblutungen zwar deutlich seltener auf als unter Vitamin-K-Antagonisten, große RCTs zeigen aber, dass die Mortalität der NOAC-ICB ebenfalls sehr hoch ist. Tierexperimente lassen vermuten, dass es in Analogie zu Vitamin-K-assoziierten Blutungen auch bei NOACICBs zu einer hohen Rate von Hämatomexpansionen kommt. Diese Annahme konnte nun in der RASUNOAStudie bestätigt werden: In den ersten 72 Stunden kam es bei 38 Prozent der Patienten zu einer Hämatomexpansion, außerdem bei sieben Prozent zu einer neuen intraventrikulären Blutung (IVB) und bei elf Prozent zu einer Zunahme einer vorbestehenden IVB. Die Mortalität nach drei Monaten war hoch, nur bei jedem vierten Patienten war das Outcome gut (mRS 0–2). Ob die Gabe spezifischer Antidots die schlechte Prognose der NOAC-ICB verbessern kann, muss noch durch weitere Studien geklärt werden.

Für Dabigatran steht mittlerweile ein derartiges Antidot zur Verfügung, das durch eine einheitliche Dosierung ein einfaches Behandlungsregime ermöglicht. In REVERSE-AD, einer Studie, in der Patienten mit schweren Blutungen und dringender Operationsindikation eingeschlossen waren, konnte durch die Gabe des humanisierten Antikörperfragments Idarucizumab, ein Molekül, das mit sehr hoher Affinität an Dabigatran bindet, der antikoagulatorische Effekt des NOACs innerhalb von Minuten aufgehoben werden. In beiden Patientengruppen konnte auf diese Weise in 88 bis 98 Prozent der Fälle sehr rasch eine Normalisierung der Gerinnungstests erreicht werden. „Im Gegensatz zu PCC oder aktiviertem Faktor VII ergeben sich durch Idarucizumab auch keine prokoagulatorischen Effekte“, ergänzt die Neurologin.

Intraventrikuläre Lyse mit rtPA

Bei 40 Prozent aller Patienten mit primärer intrazerebraler Blutung und 25 Prozent aller Subarachnoidalblutungen kommt es auch zu einer intraventrikulären Blutung. Die Folgen sind fatal: Eine zusätzliche IVB erhöht die Mortalität einer Hirnblutung um das Vierfache. Innerhalb der ersten dreißig Tage versterben 40 bis 80 Prozent der Patienten. Weniger als 20 Prozent der Überlebenden haben ein gutes funktionelles Ergebnis. In der CLEARIII-Studie wurde nun untersucht, ob man bei Patienten mit einer intraventrikulären Blutung, die ohnehin eine externe Ventrikeldrainage (EVD) benötigen, das klinische Outcome durch die zusätzliche intraventrikuläre Gabe von rekombinantem Plasminogenaktivator (rtPA) verbessern kann. Eingeschlossen wurden 500 Patienten mit spontanen intrazerebralen Blutungen ≤30cm3 und einer IVB mit Obstruktion des dritten oder vierten Ventrikels.

Die Randomisierung erfolgte innerhalb von 72 Stunden nach der Erstdiagnose der IVB mittels CT. Den Patienten wurde alle acht Stunden 1mg rtPA oder Kochsalzlösung verabreicht. Höchstdosis waren 12mg. Die Behandlung wurde beendet, wenn der verschlossene Ventrikel wiedereröffnet werden konnte, der raumfordernde Prozess behoben war, 80 Prozent des Blutvolumens resorbiert waren oder die Höchstdosis rtPA erreicht war. Primärer Endpunkt der Studie war ein gutes klinisches Ergebnis (mRS 0–3) nach 180 Tagen. „Leider zeigte sich keine Besserung des klinischen Outcomes durch rtPA“, berichtet Epple. Durch die Lyse konnte zwar die Zahl der Todesfälle reduziert werden, erkauft wurde dieser Benefit aber durch eine höhere Rate an schweren Behinderungen.

Eine Subgruppenanalyse lieferte jedoch Hinweise dafür, dass möglicherweise bei Patienten mit einer intraventrikulären Blutung >20ml auch eine Verbesserung hinsichtlich des primären Endpunktes erzielbar ist. „Kritisieren kann man an dieser Studie, dass es nur bei 21 Prozent der Patienten gelungen ist, den Liquor zu reinigen“, nennt Epple einen der möglichen Gründe, warum das Ergebnis in der rtPA-Gruppe nicht besser war: Im Kochsalz-Arm der Studie erreichten elf Prozent der Patienten eine Clearance von 80 Prozent, im rtPA-Arm auch nur 33 Prozent. Fazit: „Derzeit kann diese Therapie nicht routinemäßig für alle Patienten empfohlen werden. Die Behandlung scheint aber immerhin sicher zu sein.“

Minimalinvasive Chirurgie

Kann man Hämatome auch bei intrazerebralen Blutungen auflösen? MISTIE-II ist eine kleine Phase-II-Studie, in der rtPA mittels minimalinvasiver Chirurgie in den Blutungsherd gebracht wurde. Dabei traten in der Interventionsgruppe etwas mehr asymptomatische Blutungen auf, zugleich fanden sich aber auch Hinweise für ein besseres klinisches Ergebnis nach 180 Tagen.

„Neues zu Hirnblutungen“, 14. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN), Villach, 23.3.17

Von: Dr. Rüdiger Höflechner