In diesem Übersichtsartikel soll aufgezeigt werden, welche empirischen Daten für einen Zusammenhang zwischen der Darm-Mikrobiota und Major Depression (MD) sprechen und auf welchen Mechanismen dieser Zusammenhang beruhen könnte. Abschließend werden die Limitation der bisherigen Forschung und die möglichen therapeutischen Konsequenzen diskutiert, die sich aus Zusammenhang zwischen der Darm-Mikrobiota und MD ergeben könnten. (CliniCum neuropsy 3/18) 

Mit Beginn des noch jungen Jahrtausends offenbarten genetische Analyseverfahren, dass unser Gastrointestinaltrakt (GIT) von einer komplexen Gemeinschaft von Mikroorganismen, der Darm-Mikrobiota, bewohnt wird. Neben Bakterien sind in der Darm-Mikrobiota Arachea, Viren und Eukaryoten wie Pilze vertreten. Die Anzahl an Mikroorganismen, die den Menschen bewohnen, übersteigt die Anzahl an menschlichen Zellen, und mit ca. 1011 Bakterien pro Gramm luminalen Inhalts weist der Dickdarm die höchste Konzentration an Mikroorganismen im menschlichen Körper auf. Im Darm eines Menschen leben 160 bis 1.000 verschiedene Bakterien-Arten.

Aus Forschungsarbeiten der letzten Jahre geht hervor, dass die Darm-Mikrobiota eine bedeutsame Rolle bei vielen physiologischen und pathologischen Prozessen spielt und damit einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheit und Krankheit des „Superorganismus“ Mensch leistet. Der Einfluss der Darm-Mikrobiota beschränkt sich nicht nur auf den GIT, sondern reicht über die sogenannte Brain-Gut-Microbiota Axis (BGMA) bis in das zentrale Nervensystem. Die BGMA umfasst alle afferenten und efferenten neuronalen, immunologischen, endokrinologischen und metabolischen Signale zwischen dem zentralen Nervensystem, dem GIT und der Darm-Mikrobiota.

Welche Hinweise gibt es für einen Zusammenhang zwischen der Darm-Mikrobiota und MD?

Klinische und präklinische Forschungsarbeiten der letzten zehn Jahre lieferten zahlreiche Hinweise darauf, dass zwischen der Darm-Mikrobiota und MD ein Zusammenhang besteht. In mehreren rezenten Humanstudien wurden signifikante Unterschiede in der Zusammensetzung der fäkalen Mikrobiota zwischen MD-Patienten und gesunden Kontrollpersonen vorgefunden (u.a. Zheng et al., 2016; Kelly et al., 2016; Jiang et al., 2015). Zudem erbrachten klinische Studien Hinweise darauf, dass eine Manipulation der Darm-Mikrobiota durch Pro- und Präbiotika (siehe auch Kasten Begriffserklärungen) Aspekte der Stimmung und Kognition bei Menschen modulieren können. In einer randomisierten, doppelblinden Studie erhielten 40 MD-Patienten über einen Zeitraum von acht Wochen entweder eine probiotische Mischung aus Lactobacillus acidophilus, Lactobacillus casei und Bifidobacterium bifidum oder ein Placebo.

Die Interventionsgruppe wies zu Studienende einen signifikant niedrigeren Wert im Beck Depression Inventory als die Placebo- Gruppe auf (Akkadesh et al., 2016). Für einen Zusammenhang zwischen der Darm-Mikrobiota und MD sprechen auch epidemiologische Daten. Bei Patienten mit chronischen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und Reizdarmsyndrom, bei denen eine Dysbiose der Darm-Mikrobiota vorliegt, finden sich im Vergleich zur Durchschnittbevölkerungen erhöhte Prävalenzraten von MD. Zudem wurden eine vorangegangene Antibiotika-Einnahme sowie eine durchgemachte Darminfektion mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von MD und anderen psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Zusätzlich zu den Humanstudien liegen zahlreiche Tierstudien vor, in denen eine Beeinflussung von depressivem und ängstlichem Verhalten durch verschiedene Formen der Darm-Mikrobiota-Manipulation demonstriert wurde.

Besonders eindrucksvoll sind die Ergebnisse von zwei Studien, bei denen die fäkale Mikrobiota von MD-Patienten auf Versuchstiere übertragen wurde. Ein chinesisches Forscherteam übertrug die zusammengemischte fäkale Mikrobiota von fünf MD-Patienten oder von fünf gesunden Kontrollpersonen auf keimfreie Mäuse. Jene Tiere, welche die fäkale Mikrobiota von MD-Patienten erhielten, zeigten im Vergleich zu Tieren, welche die fäkale Mikrobiota von gesunden Kontrollpersonen erhielten, ein erhöhtes depressives Verhalten im Forced Swim Test und im Tail Suspension Test (Zheng et al., 2016). Ein irisches Forschungsteam führte ein ähnliches Experiment durch, in welchem die fäkale Mikrobiota von drei Patienten mit schwerer MD oder von drei gesunden Kontrollpersonen auf mit Antibiotika behandelte keimfreie Ratten übertragen wurde. Auch in diesem Experiment bewirkte die Übertragung der fäkalen Mikrobiota von MD-Patienten ein verstärktes depressives Verhalten der Tiere im Sucrose Preference Test (Kelly et al., 2016).

Diese beiden Studien zeigen, dass man einen depressiven Phänotyp mit fäkaler Mikrobiota-Transplantation speziesübergreifend übertragen kann, und liefern damit einen starken Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen der Darm-Mikrobiota und MD. In weiteren Tierstudien wurde untersucht, ob sich depressives Verhalten von Labortieren durch die Gabe von Pro- und Präbiotika (siehe auch Kasten Begriffserklärung) beeinflussen lässt. Mäuse, die über vier Wochen Lactobacillus rhamnosus erhielten, zeigten im Vergleich zu Mäusen, die kein Probiotikum erhielten, ein verringertes depressives Verhalten im Forced Swim Test (Bravo et al., 2011). Junge Ratten, die täglich für drei Stunden von ihrer Mutter getrennt wurden, zeigten im Forced Swim Test vermehrte Immobilität, was auf depressives Verhalten hinweist. Wenn die von der Mutter getrennten Tiere Bifidobacterium infantis erhielten, führte dies zu einer Reduktion des depressiven Verhaltens im Forced Swim Test in einem Ausmaß, wie es unter Citalopram beobachtet wurde (Desbonnet et al., 2010).

Bei Ratten, die über drei Wochen Zurückhaltungsstress ausgesetzt wurden, führte die Gabe von Lactobacillus helveticus zu einem erhöhten freiwilligen Konsum von Saccharose im Vergleich zu Tieren, die kein Probiotikum erhielten (Liang et al., 2015). Neben dem antidepressiven Effekt von Probiotika sind auch antidepressive Eigenschaften von Präbiotika beschrieben. Mäuse, die über sechs Wochen chronischem sozialem Stress ausgesetzt wurden, zeigten im Forced Swim Test und im Tail Suspension Test ein vermehrtes depressives Verhalten. Die kombinierte Gabe von Frukto- und Galakto-Oligosacchariden bewirkte bei diesen Tieren eine Reduktion des depressiven Verhaltens (Burokas et al., 2017).

Infobox

Mikrobiota: Bezeichnung für eine Mikrobengemeinschaft, die ein bestimmtes ökologisches Habitat bewohnt.

Mikrobiom: Bezeichnung für das kollektive Genom einer Mikrobiota. Der Begriff wird häufig synonym zum Begriff „Mikrobiota“ verwendet.

Symbiose: Als Symbiose bezeichnet man das Zusammenleben zweier unterschiedlicher Arten, das für beide Partner von Vorteil ist. Unter physiologischen Bedingungen dürfte zwischen dem Menschen und seiner Darm-Mikrobiota eine Symbiose existieren, wenngleich es bislang unklar ist, welche Eigenschaften eine „gesunde“ Darm-Mikrobiota auszeichnen.

Dysbiose: Eine Unausgeglichenheit der Zusammensetzung oder Funktion der menschlichen Mikrobiota, die mit einer Veränderung der Immunfunktion und Anfälligkeit für entzündliche Erkrankungen, Autoimmunität und metabolische Störungen einhergeht.

Probiotika: Probiotika sind als lebende Mikroorganismen definiert, die einen positiven Effekt auf die Gesundheit des Wirtes ausüben, wenn sie in ausreichender Menge verabreicht werden. Bislang werden vor allem Lactobacillus- und Bifidobacterium-Arten als Probiotika verwendet.

Präbiotika: Präbiotika sind für den menschlichen Organismus unverdauliche Nahrungsbestandteile, die nur von bestimmten (probiotischen) Bakterienarten genutzt werden können und damit selektiv das Wachstum dieser Mikroben fördern. Gängige Präbiotika sind Fruktane wie Inulin oder Frukto-Oligosaccharide und Glukane wie Galakto-Oligosaccharide.

Synbiotika: Als Synbiotika bezeichnet man Mischungen aus Probiotika und Präbiotika.

Auf welchen Mechanismen könnte der Zusammenhang beruhen?

Die Pathophysiologie der MD ist komplex und bislang nicht vollständig verstanden. Es existieren mehrere Theorien zur Pathogenese der MD. Zu den wichtigsten gehören die Monoamin-, die Entzündungs-, die Stresssowie die Neuroplastizitäts- bzw. Neurodegenerationshypothese der MD. Nach der Monoamin-Hypothese der MD ist eine veränderte bzw. abgeschwächte monoaminerge Neurotransmission für das Auftreten von MD und die depressiven Symptome verantwortlich. Das stärkste Argument für die Monoamin-Hypothese liefern klassische Antidepressiva, die über eine Verstärkung der serotonergen, noradrenergen und dopaminergen Neurotransmission eine antidepressive Wirkung ausüben. Zudem zeigen sich bei MD-Patienten Veränderungen der Expression von Rezeptoren für monoaminerge Neurotransmitter, und Polymorphismen von Genen, die für Komponenten der monoaminergen Neurotransmission kodieren, stellen Risikofaktoren für das Auftreten einer MD dar.

Die Entzündungshypothese der MD geht auf die Beobachtung zurück, dass sich bei MD-Patienten Zeichen einer pathologisch gesteigerten Immunaktivierung finden, und dass ein Zytokin-induziertes Krankheitsgefühl starke Parallelen zu Symptomen der MD aufweist. Darüber hinaus finden sich bei verschiedenen inflammatorischen Erkrankungen erhöhte Prävalenzraten von MD, und einige antiinflammatorische Medikamente weisen antidepressive Eigenschaften auf. Die Stresshypothese der MD trägt dem Umstand Rechnung, dass psychischer Stress der größte Risikofaktor für das Auftreten von MD ist, und dass MD-Patienten eine gesteigerte Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden- Achse (HHNA) aufweisen.

Die Neuroplastizitäts- bzw. Neurodegenerationshypothese beruht auf der Entdeckung von neurodegenerativen Veränderungen in Gehirnstrukturen von MD-Patienten, die eine entscheidende Rolle bei kognitiven und emotionalen Prozessen spielen. Diese Veränderungen könnten durch eine Verminderung von neurotrophen Faktoren und/oder durch eine verstärkte Neurodegeneration bedingt sein. Bei MD-Patienten wurde wiederholt eine Verminderung von neurotrophen Faktoren wie Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF) festgestellt. Zudem wird MD mit einem Ungleichgewicht der glutamatergen und GABAergen Neurotransmission zugunsten des potenziell exzitotoxischen Glutamats in Verbindung gebracht. Im Folgenden soll anhand von Beispielen aufgezeigt werden, welchen Einfluss die Darm-Mikrobiota auf die zentralen Pathomechanismen der MD ausüben könnte (Abbildung).

Beeinflussung der monoaminergen Neurotransmission

In mehreren Tierstudien wurde demonstriert, dass die Darm-Mikrobiota einen Einfluss auf die zentralen und peripheren Spiegel von monoaminergen Neurotransmittern und die Expression von Enzymen des Monoamin- Stoffwechsels aufweist. In einer Studie an keimfreien Mäusen wurde festgestellt, dass bei diesen Tieren die Expression der Trypthophanhydroxylase 1 im Kolon und der Serumspiegel von Serotonin (5-HT) verringert sind. Wenn man die keimfreien Tiere mit der Mikrobiota von konventionellen Mäusen oder mit bestimmten Bakterien kolonisiert, so kommt es zu einer erhöhten Expression der Trypthophanhydroxylase 1 im Kolon und zu einem erhöhten 5-HT-Serumspiegel (Yano et al., 2015).

Lipopolysaccharid, ein zentraler Bestandteil der Zellwand gramnegativer Bakterien und ein starkes Immunstimulans, ist dagegen ein potenter Induktor der Indolamin-2,3-Dioxygenase (IDO), die Tryptophan – jene Aminosäure, aus der 5-HT gebildet wird – in Kynurenin umwandelt. Durch eine gesteigerte Aktivität der IDO kann es nicht nur zu einer Verknappung von Tryptophan und damit zu einer Verminderung der 5-HT-Synthese kommen, sondern auch zu einer gesteigerten Bildung von Quinolinic acid, einem Kynurenin, das als NMDA-Rezeptoragonist neurotoxische Eigenschaften aufweist. Bei Ratten, die für 14 Tage mit Bifidobacterium infantis behandelt wurden, kam es im Vergleich zu Tieren, die kein Probiotikum erhielten, zu einem signifikanten Anstieg des Serumspiegels von 5-HT und Kynurenine acid, einem weiteren Kynurenin, das im Gegensatz zu Quinolonic acid ein NMDA-Rezeptorantagonist ist und neuroprotektive Eigenschaften aufweist.

Zusätzlich kam es bei den Tieren die das Probiotikum erhielten, zu verringerten Konzentrationen von Abbauprodukten von monoaminergen Neurotransmittern in verschiedenen Gehirnregionen (Desbonnet et al., 2008). Eine weitere Studie zeigte, dass die Gabe von Lactobacillus helveticus die durch Zurückhaltungsstress reduzierten Spiegel von 5-HT und Noradrenalin im Hippocampus erhöhen konnte (Liang et al., 2015). Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass Probiotika und Präbiotika die Expression von Rezeptoren für monoaminerge Neurotransmitter beeinflussen können. Schließlich sind verschiedene Bakterienarten in der Lage, selbst monoaminerge Neurotransmitter zu produzieren und zu verstoffwechseln, und Bakterien besitzen selbst Rezeptoren für Neurotransmitter, die beispielsweise ihr Wachstum und ihre Virulenz beeinflussen.

Beeinflussung des Immunsystems

Zwischen der Darm-Mikrobiota und dem Immunsystem existiert von Geburt an eine komplexe Wechselbeziehung. Studien mit keimfreien Tieren zeigten, dass das komplette Fehlen der Mikrobiota zu Immundefekten auf struktureller und zellulärer Ebene führt. Eine Aussetzung von keimfreien Tieren gegenüber Bakterien oder einzelnen bakteriellen Bestandteilen kann diese Immundefekte rückgängig machen. Nicht nur bei der Entwicklung des Immunsystems spielt die Mikrobiota eine entscheidende Rolle, sondern sie moduliert auch über das gesamte Leben hinweg die angeborene und adaptive Immunantwort. Von mehreren kommensalen Bakterien ist beispielsweise bekannt, dass sie die Entwicklung von regulatorischen T- Zellen fördern, die eine entscheidende Rolle bei der Toleranz gegenüber fremden und körpereigenen Antigenen und bei der Abschwächung einer überschießenden Immunantwort spielen.

Die immunregulatorischen Eigenschaften von Bakterien zeigen sich auch darin, dass probiotische Bakterien die Spiegel von proinflammatorischen Zytokinen beeinflussen können. Bei Ratten, die für 14 Tage mit Bifidobacterium infantis behandelt wurden, kam es nach Mitogen- Stimulation zu einer signifikanten Verminderung der Serumspiegel von IFNγ (Interferon γ), TNFα (tumor necrosis factor α) und IL-6 (Interleukin 6) im Vergleich zu nicht behandelten Tieren (Desbonnet et al., 2008). In einer anderen Studie zeigte sich, dass die Gabe von Lactobacillus farciminis bei Ratten, die Zurückhaltungsstress ausgesetzt wurden, die Expression von IL-1β, IL-6 und TNFα im Hypothalamus unterdrückte (Ait-Belgnaoui et al., 2012). Auch in Humanstudien zeigte sich, dass probiotische Bakterien zu einer Senkung von C-reaktivem Protein führten.

Die bei MD beobachtete chronische Aktivierung des Immunsystems könnte auf einer gesteigerten Translokation von Bakterien und bakteriellen Bestandteilen über eine lecke Darmbarriere beruhen. Maes et al. (2012) konnten zeigen, dass bei MD-Patienten die Serumspiegel von Immunglobulinen gegen gramnegative Darmbakterien im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen erhöht sind. Ein erhöhter Übertritt von Lipopolysaccharid in die systemische Zirkulation könnte zur Entwicklung von MD beitragen, zumal in Human- und Tierstudien gezeigt wurde, dass Lipopolysaccharid eine depressive Verstimmung bzw. ein depressives Verhalten auslösen kann. Auf der anderen Seite spielt die Darm-Mikrobiota eine wichtige Rolle bei der Regulation der Darmbarriere. Studien zeigten beispielweise, dass Probiotika und Präbiotika die Expression von Tight-junction-Proteinen fördern und damit die Darmbarriere stärken können (Ait- Belgnaoui et al., 2014).

Beeinflussung der HHNA

In einer bahnbrechenden Studie von Sudo et al. (2004) wurde gezeigt, dass keimfreie Mäuse im Vergleich zu konventionellen Mäusen in Reaktion auf einen Stressor mit einem gesteigerten Spiegel von adrenocorticotropem Hormon (ACTH) und Corticosteron, dem Pendant von Cortisol bei Nagetieren, reagieren. Eine Kolonisation von keimfreien Tieren mit Bifidobacterium infantis zu einem frühen, nicht jedoch zu einem späteren Entwicklungszeitpunkt führte zu einer Normalisierung der HHNA- Antwort auf Stress. Diese Ergebnisse, die auch von anderen Forschungsgruppen repliziert wurden, deuten darauf hin, dass die Darm-Mikrobiota eine entscheidende Rolle bei der Programmierung und Reaktivität der HHNA spielt. Darüber hinaus zeigte sich in Tierstudien, dass auch eine Behandlung von erwachsenen Tieren mit Probiotika einen Einfluss auf die HHNA hat. Bei erwachsenen Ratten, die über drei Wochen Zurückhaltungsstress ausgesetzt wurden, führte die Gabe von Lactobacillus helveticus zu einem verringerten Spiegel von Corticosteron und ACTH im Vergleich zu Tieren, die kein Probiotikum erhielten (Liang et al., 2015).

Mäuse, die mit Lactobacillus rhamnosus behandelt wurden, zeigten in Reaktion auf einen akuten Stressor eine abgeschwächte Corticosteron-Antwort (Bravo et al., 2011). Auch beim Menschen wurde ein Cortisol- senkender Effekt von Probiotika beobachtet. Zusätzlich zu einer Beeinflussung der Spiegel von Stresshormonen zeigte sich in Tierstudien, dass eine Manipulation der Darm-Mikrobiota mit Probiotika oder Präbiotika eine Auswirkung auf die Expression von Glukokortikoid- und Corticotrophin-releasing-hormone-Rezeptoren hat. Die Darm-Mikrobiota wird ihrerseits von Stress und Stresshormonen beeinflusst, und Stress kann die Darmbarriere schwächen, was zu einer gesteigerten Translokation von Bakterien und einer chronischen Immunaktivierung führen könnte.

Beeinflussung von neuroplastischen und neurodegenerativen Prozessen

Tierstudien liefern Hinweise darauf, dass die Darm-Mikrobiota über eine Beeinflussung von neurotrophen Faktoren sowie der glutamatergen und GABAergen Neurotransmission neuroplastische und neurodegenerative Prozesse beeinflussen könnte. In mehreren Studien wurde gezeigt, dass keimfreie Mäuse eine reduzierte Menge an BDNF-Protein und -mRNA im Hippocampus und in anderen Gehirnregionen aufweisen (Diaz Heijtz et al., 2011; Clarke et al., 2013; Sudo et al., 2004). Die Gabe von probiotischen Bakterien oder Präbiotika an Labortiere führte dagegen zu einer Erhöhung von BDNF und zeigte auch Effekte auf die hippocampale Neurogenese. Bei Mäusen, die Wasservermeidungsstress ausgesetzt wurden, fand sich eine verminderte Neurogenese im Hippocampus und eine Reduktion von BDNF im Hippocampus. Eine Behandlung dieser Tiere mit Lactobacillus helveticus und Bifidobacterium longum machte die Stress-induzierte Verminderung der hippocampalen Neurogenese und die BDNF-Reduktion rückgängig (Ait- Belgnaoui et al., 2014).

In einer anderen Studie bewirkte die Gabe von L. helveticus an Ratten, die über 21 Tage Zurückhaltungsstress ausgesetzt wurden, eine erhöhte Expression von BDNF-mRNA im Hippocampus (Liang et al., 2015). Die Darm-Mikrobiota kann nicht nur neurotrophe Faktoren und die Neurogenese, sondern auch Elemente der glutamatergen und GABAergen Neurotransmission beeinflussen. In Studien an keimfreien Mäusen wurde festgestellt, dass diese Tiere im Vergleich zu konventionellen Tieren eine verringerte Expression von NMDA-Rezeptoruntereinheiten in verschiedenen Gehirnregionen aufweisen (Neufeld et al., 2011; Sudo et al., 2004). Die Behandlung von Labortieren mit Präbiotika bewirkte dagegen eine Erhöhung von NMDA-Rezeptoruntereinheiten im Hippocampus (Savignac et al., 2013; Burokas et al., 2017). In weiteren Studien zeigte sich, dass eine Behandlung von Versuchstieren mit Probiotika oder Präbiotika einen Einfluss auf die Expression von GABA-Rezeptoren aufweist (Bravo et al., 2011; Burokas et al., 2017).

Ausblick und Diskussion

Zwischen der Darm-Mikrobiota und MD scheint es einen Zusammenhang zu geben, und dieser Zusammenhang dürfte auf der Fähigkeit der Darm-Mikrobiota beruhen, einen Einfluss auf die zentralen Pathomechanismen der MD zu nehmen. In präklinischen Studien und zum Teil auch in klinischen Studien weisen Probiotika und Präbiotika verblüffende Ähnlichkeiten zu den Eigenschaften herkömmlicher Antidepressiva auf: Sie modulieren die Spiegel monoaminerger Neurotransmitter, verändern die Expression von Monoamin-Rezeptoren, senken die Spiegel proinflammatorischer Zytokine, reduzieren die Aktivität der HHNA, senken den Cortisolspiegel, erhöhen neurotrophe Faktoren wie BDNF, reduzieren Neurodegeneration und modulieren Aspekte der glutamatergen und GABAergen Neurotransmission.

Bislang mangelt es leider an einem Nachweis der klinischen Wirksamkeit von Probiotika und Präbiotika bei MD-Patienten. Zudem existieren zahlreiche offene Fragen zum Einsatz von Probiotika und Präbiotika beim Menschen. Diese betreffen die Wahl, die Dosierung, die Behandlungsdauer sowie die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Pro- und Präbiotika. Zudem ist es bislang nicht bekannt, welche Gruppe von MD-Patienten von einer gezielten Manipulation der Darm-Mikrobiota profitieren könnte. Ob Appetit- oder Gewichtsveränderungen oder gastrointestinale Beschwerden Prädiktoren für ein Ansprechen sein könnten, bleibt einstweilen spekulativ. Eine weitere offene Frage betrifft die Zusammensetzung der Darm-Mikrobiota bei MD. Auch wenn die Mehrheit der bislang durchgeführten Studien signifikante Unterschiede in der Zusammensetzung der Darm-Mikrobiota zwischen MD-Patienten und gesunden Kontrollpersonen fanden, so ergibt sich über die Studien hinweg kein einheitliches Bild hinsichtlich dieser Unterschiede. Dies könnte darin liegen, dass diese Studien in unterschiedlichen geografischen Regionen durchgeführt wurden, nur kleine Stichproben hatten und die vielfältigen Einflussfaktoren auf die Darm-Mikrobiota (z.B. Ernährung oder vorangegangene Antibiotika-Einnahmen) nicht ausreichend berücksichtigt haben.

Aus den vorhandenen Daten geht nicht eindeutig hervor, ob eine Dysbiose der Darm-Mikrobiota bei MD vorliegt. Bislang gibt es auch keine verlässlichen Hinweise darauf, ob bestimmte Bakterienarten als „depressiogen“ oder „antidepressiogen“ angesehen werden könnten, wenngleich in Tierstudien probiotische Bakterien antidepressive Eigenschaften aufwiesen. Zudem ermöglichen die durchgeführten Vergleichsstudien keine Rückschlüsse auf die Kausalität des Zusammenhangs zwischen der Darm-Mikrobiota und MD. Es ist wohl so, dass nicht nur die Darm-Mikrobiota einen Einfluss auf MD aufweist, sondern dass MD zu Veränderungen der Darm-Mikrobiota führt. MD geht mit Symptomen wie Appetitveränderungen, Störungen des zirkardianen Rhythmus oder einer verminderten körperlichen Aktivität einher, welche die Darm-Mikrobiota verändern könnten. Auch wenn viele Aspekte des Wechselspiels zwischen der Darm-Mikrobiota und dem zentralen Nervensystem noch genauer erforscht werden müssen, so zeichnen sich auf der Basis der bisherigen Forschungsergebnisse zukünftige Behandlungsmöglichkeiten der MD ab, die auf einer gezielten Manipulation der Darm-Mikrobiota durch Probiotika und Präbiotika beruhen. Eventuell könnte es in der Zukunft sogar möglich sein, MD dadurch zu behandeln, dass man die Mikrobiota eines gesunden, nicht depressiven Spenders mittels Stuhltransplantation auf einen depressiven Empfänger überträgt.

Referenzen
• Ait-Belgnaoui A, Colom A, Braniste V et al., Neurogastroenterol Motil 2014; 26(4):510–20
• Ait-Belgnaoui A, Durand H, Cartier C et al., Psychoneuroendocrinology 2012; 37(11):1885–95
• Akkasheh G, Kashani-Poor Z, Tajabadi-Ebrahimi M et al., Nutrition 2016; 32(3):315–20
• Bravo JA, Forsythe P, Chew MV et al., Proc Natl Acad Sci U S A. 2011; 108(38):16050–5
• Burokas A, Arboleya S, Moloney RD et al., Biol Psychiatry 2017; pii: S0006–3223 (17), 30042–2
• Clarke G, Grenham S, Scully P et al., Mol Psychiatry 2013; 18(6):666–73
• Desbonnet L, Garrett L, Clarke G et al., J Psychiatr Res 2008; 43(2):164–74
• Desbonnet L, Garrett L, Clarke G et al., Neuroscience 2010; 170(4):1179–88
• Diaz Heijtz R, Wang S, Anuar F et al., Proc Natl Acad Sci U S A. 2011; 108(7):3047–52
• Jiang H, Ling Z, Zhang Y et al., Brain Behav Immun 2015; 48:186–94
• Kelly JR, Borre Y, O’ Brien C et al., J Psychiatr Res 2016; 82:109–18
• Liang S, Wang T, Hu X et al., Neuroscience 2015; 310:561–77
• Maes M, Kubera M, Leunis JC & Berk M, J Affect Disord 2012; 141(1):55–62
• Neufeld KM, Kang N, Bienenstock J & Foster JA,Neurogastroenterol Motil 2011; 23(3):255–64
• Savignac HM, Corona G, Mills H et al., Neurochem Int 2013; 63(8):756–64
• Sudo N, Chida Y, Aiba Y et al., J Physiol 2004; 558(Pt 1):263–75
• Yano JM, Yu K, Donaldson GP et al., Cell 2015; 161(2):264–76
• Zheng P, Zeng B, Zhou C et al., Mol Psychiatry 2016; 21(6):786–96

MMag. Dr. Peter Florian Lintner
Basisausbildungsarzt am Landeskrankenhaus Bregenz,
E-Mail: peter.lintner@gmx.at 

Univ.-Prof. Dr. Richard Frey
Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Universität Wien,
E-Mail: richard.frey@meduniwien.ac.at