Sowohl das steigende Interesse an neuen Medien als auch ihr zunehmender Einsatz in der klinisch-psychologischen Behandlung und Psychotherapie erklären sich in erster Linie durch die mannigfachen Vorteile, die diese Technologien bieten. Einerseits kann durch ihre Anwendung der zeitliche und finanzielle Aufwand reduziert und andererseits können herkömmliche Behandlungen um individualisierte und motivationssteigernde Elemente angereichert werden. (CliniCum neuropsy 4/18) 

Der technologische Fortschritt der letzten Jahrzehnte hat einen vermehrten Einzug neuer Medien in den Behandlungsalltag von Klinischen Psychologen und Psychotherapeuten nach sich gezogen und diese somit vor die Herausforderung gestellt, in der Fülle der Angebote diejenigen Programme auszuwählen, die nicht nur hinsichtlich der Passung und Nützlichkeit, sondern auch hinsichtlich Effektivität und Effizienz am vielversprechendsten sind. Um einen Überblick zu erhalten, ist es hilfreich, bestehende therapeutische Applikationen nach dem Ausmaß des therapeutischen Kontaktes wie auch der damit verbundenen Einsatzbereiche einzuteilen (vgl. Boettcher & Berger, 2018; Utermöhlen, Felnhofer, Goreis, Poustka & Kothgassner, 2018).

Demzufolge können vor allem vier Gruppen von therapeutisch nutzbaren Technologien unterschieden werden:

  1. Selbstadministrierte Programme: autonome Administration durch den Patienten; vor allem für die Nachsorge und Rückfallprävention geeignet (z.B. Handy-Apps).
  2. Hybride Technologien: Kombination aus direkter Unterstützung durch Behandler und selbst zu administrierenden Elementen; behandlungsbegleitend (z.B. Online-Therapie-Programme).
  3. Computerbasierte Interventionen: Durchführung mit Behandler; fungieren als zentrales Element der Behandlung (z.B. Virtual Reality Exposure Therapy, VRET).
  4. Spielbasierte Technologien: sowohl selbstadministriert als auch durch Behandler begleitet, Verknüpfung von spielerischen und therapeutischen Bausteinen; als Element der Behandlung oder behandlungsbegleitend (z.B. Serious Games).

Selbstadministrierte Programme

Ein zentrales Kennzeichen dieser Programme ist die Möglichkeit, diese als Patient selbstständig, standortungebunden (z.B. über Handy oder Tablet) und zeitlich flexibel anzuwenden. Dadurch können einerseits Patienten in weit entlegenen oder unterversorgten Regionen erreicht bzw. auch andererseits jene Personen eingebunden werden, die bspw. aufgrund einer körperlichen Beeinträchtigung nicht mobil sind (Boettcher & Berger, 2018; Utermöhlen et al., 2018). Nachteil ist allerdings, dass keinerlei therapeutische Begleitung stattfindet und viele der verfügbaren Programme nicht wissenschaftlich evaluiert sind. Mögliche – und aufgrund der genannten Limitationen auch ideale – Anwendungsbereiche stellen folglich die Rehabilitation und Rückfallprävention dar, da in diesem Stadium der Patient bereits entsprechend gestärkt wurde und in der Regel ein höheres Ausmaß an Autonomie und Selbstverantwortung gegeben ist als bspw. während einer stationären Aufnahme.

Als Beispiel sei hier vor allem das gut evaluierte SKY-Training genannt (Selbstsicher, Kompetent for the Youth, Lehenbauer, Kothgassner, Kryspin-Exner & Stetina, 2013), das ein Online-Programm für Jugendliche und junge Erwachsene mit sozialen Ängsten darstellt. Im Rahmen dessen absolvieren die Teilnehmer selbstständig 14 Einheiten, die neben Elementen der klassischen kognitiv-behavioralen Therapie (CBT) auch comicbasierte Übungen, Minispiele und psychoedukative Begleittexte beinhalten. Eine Evaluation des Trainings zeigte eine signifikante Zunahme sozialer Fertigkeiten sowie auch eine Reduktion sozialer Ängste (Lehenbauer et al., 2013).

Hybride Technologien

Im Gegensatz zu den rein selbstadministrierten Programmen stellen hybride Technologien eine Kombination aus einem direkten, häufig video-vermittelten oder textbasierten Kontakt mit dem Behandler und selbstadministrierten Elementen (z.B. Selbstbeobachtung) dar. Das Ausmaß des Kontaktes kann je nach Programm variieren, generell wird jedoch – ähnlich wie bei rein selbstadministrierten Programmen – davon ausgegangen, dass für eine erfolgreiche Umsetzung eine gewisse Eigenmotivation der Patienten Voraussetzung ist. Häufig werden hybride Technologien behandlungsbegleitend eingesetzt und dienen dazu, kritische Situationen rechtzeitig zu erkennen, entsprechende Bewältigungsstrategien direkt im Alltag zu erproben und gesunde Verhaltensweisen zu stärken (Utermöhlen et al., 2018).

Ein umfassend evaluiertes hybrides Programm stellt in diesem Kontext die von Thomas Berger und Johanna Böttcher (Berger et al., 2011; Boettcher, Berger & Renneberg, 2012) entwickelte Online-Therapie für soziale Ängste dar, welche sowohl individuell als auch in der Gruppe durchgeführt werden kann. Die Aufgaben folgen dem Konzept der CBT: In insgesamt zehn Wochen erlernen die Teilnehmer, unter ständiger Begleitung durch einen Online-Therapeuten, unter anderem, negative Gedanken umzustrukturieren, ihre Selbstaufmerksamkeit in sozialen Situationen zu reduzieren und Interaktionen mit anderen Teilnehmern gewinnbringend zu gestalten. Weitere Online-Therapie-Programme, die teils fertig evaluiert sind oder sich noch in Entwicklung befinden, sind unter www.online-therapy.ch abrufbar.

Computerbasierte Interventionen

Neben Computertrainings (z.B. zur Verbesserung spezifischer kognitiver Funktionen) stellen vor allem die sogenannten Virtuellen Realitäten (VR) eine gewinnbringende und motivationssteigernde Möglichkeit zur Integration von Technologien in die klinisch-psychologische Behandlung und Psychotherapie dar. Ein Schlüsselmerkmal virtueller Umgebungen ist der Umstand, dass sie bei den Nutzern realitätsnahe Reaktionen hervorrufen (vgl. Kothgassner, Utermöhlen & Felnhofer, 2017). Ein Experiment, das Anfang der 2000er Jahre von Jeremy Bailenson und Jim Blascovich an der Stanford University durchgeführt und seither mehrmals repliziert wurde, demonstriert sehr anschaulich diesen Effekt (vgl. Blascovich & Bailenson, 2011): Als die Teilnehmer (die allesamt eine immersive 3D-VR-Brille trugen) eine virtuelle Senke über eine schmale Planke querten, zeigten die meisten starke Angst- und Stressreaktionen (z.B. Zittern, Schwitzen, Schwindel).

Zahlreiche Studien konnten seither wiederholt demonstrieren, dass die behavioralen, emotionalen und physiologischen Reaktionen auf virtuelle Stimuli mit jenen Reaktionen vergleichbar sind, die bei Konfrontation mit demselben realen Stimulus evoziert werden (z.B. Kothgassner, Felnhofer et al., 2016). Hierbei spielen weniger die Bildqualität bzw. der Photorealismus der VR-Simulation eine Rolle als vielmehr der subjektive Eindruck, sich tatsächlich in der virtuellen Umgebung zu befinden, die sogenannte Präsenz (Felnhofer, Kothgassner et al., 2014). Diese wird in erster Linie durch die Interaktivität der Simulation hervorgerufen und durch eine kohärente Einbindung diverser Sinneskanäle (vorrangig visuell und auditiv, zunehmend jedoch auch taktil) verstärkt (siehe Abbildung).

Abb.: Beispiele virtueller Szenarien zur Behandlung von (a) Akrophobie, (b) Präsentationsangst und (c) sozialer Phobie

Abb.: Beispiele virtueller Szenarien zur Behandlung von (a) Akrophobie, (b) Präsentationsangst und (c) sozialer Phobie

Virtual Reality Exposure Therapy (VRET). Die oben beschriebene Kongruenz zwischen dem Erleben und Verhalten in virtuellen Realitäten und jenem in vergleichbaren Realsituationen kann nun in der klinisch-psychologischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung, und hier vor allem im Rahmen der CBT-basierten Expositionstherapie, nutzbar gemacht werden (Kothgassner, Utermöhlen & Felnhofer, 2017). Die sogenannte Virtual Reality Exposure Therapy (VRET) bedient sich dabei derselben Mechanismen, nämlich Habituation und Extinktion (vgl. Emotional Processing Theory, Foa & Kozak, 1986), wie die herkömmliche Exposition in vivo (mit einem realen Stimulus) oder in sensu (mit einem imaginierten Stimulus). Traditionell kommt VRET vor allem bei Angststörungen wie der Höhenangst (Akrophobie), Flugangst, Spinnenphobie, Panikstörung und Agoraphobie sowie auch der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) zum Einsatz; entsprechend existieren bereits zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit von VRET bei diesen Störungsbildern belegen (vgl. Krijn et al., 2004; Mühlberger & Pauli, 2011; Riva & Mantovani, 2012).

Ebenso werden VR aber auch vermehrt bei Zwangsstörungen im Sinne der Konfrontation mit Verunreinigungen oder mit spannungsinduzierenden Situationen (Wohnung verlassen) angewandt (vgl. Laforest et al., 2016). Bereits sehr früh wurde darüber hinaus VR auch in der Behandlung von Essstörungen eingesetzt (vgl. Riva et al., 1999): Dabei werden die Patienten einerseits mit kritischen Situationen (z.B. Schwimmbad, Supermarkt, Restaurant) konfrontiert oder arbeiten am Körperschema, indem ein dem VR-Erlebnis inhären tes Phänomen, das sogenannte Embodiment, nutzbar gemacht wird (z.B. indem der Körperumfang des eigenen Avatars dynamisch verändert wird). Mit einer zunehmend verbesserten Grafik von VR-Simulationen rückt des Weiteren auch eine neue Form der VRbasierten Therapie verstärkt in den Vordergrund: die Avatar-Therapie. Der primäre Vorteil des Einsatzes von Avataren stellt deren standardisierte Vorgabe dar. So kann die Konfrontation mit schwierigen sozialen Situationen bzw. das Einüben sozialer Skills in diversen Interaktionssequenzen zu einer maßgeblichen Verbesserung der sozialen Kompetenzen von Personen mit sozialer Phobie führen (vgl. Kampmann et al., 2016).

Neuerdings werden virtuelle Charaktere auch gezielt in der Behandlung von Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, Autismus- Spektrum-Störung (ASS) und Schizophrenie eingesetzt (vgl. Kandalaft et al., 2013; Nuñez & Rosenthal-von der Pütten, 2018). Erwähnenswert sind an dieser Stelle vor allem zwei rezente Studien mit Schizophreniepatienten: Sohn und Kollegen (2016) entwickelten ein achtwöchiges VR-Berufstraining für erwachsene Patienten mit Schizophrenie, im Rahmen dessen in einem virtuellen Supermarkt diverse Aufgaben (z.B. Waren kassieren, Geld herausgeben) und schwierige Situationen (z.B. mit betrunkenen Kunden umgehen) gemeistert werden müssen. Die Evaluation des Trainings zeigte, dass die virtuelle Umsetzung von CBT-Elementen und sozialen Skills- Trainingsbausteinen bei den Patienten zu einer Verbesserung psychosozialer Funktionen und des Gedächtnisses wie auch zu einem zufriedenstellenden Transfer der gelernten Fähigkeiten in den Alltag führte.

Im Gegensatz dazu nützten Craig et al. (2018) Avatare, um Patienten die Konfrontation mit ihren auditiven Halluzinationen zu ermöglichen. Die inneren Stimmen wurden zusammen mit den Patienten mittels der digitalen Technik visualisiert bzw. wurde ihnen ein Avatar-Gesicht verliehen, sodass die Teilnehmer mit den auditiven Halluzinationen in ein Zwiegespräch treten konnten. Im Zuge dessen kam es – von den Therapeuten stets eng begleitet – zu einer graduellen Abnahme der Bedrohlichkeit dieser Stimmen sowie auch zu einer Veränderung der subjektiven Wahrnehmung, von den Stimmen kontrolliert zu werden. Eine randomisierte Kontrolluntersuchung mit insgesamt 150 Schizophreniepatienten zeigte eine deutliche Verbesserung der Symptomatik bereits nach zwölf Wochen (Craig et al., 2018).

Spielbasierte Technologien

Computerspiele, die therapeutische Elemente beinhalten und folglich neben dem Ziel des Spielerlebens auch ein designiertes Behandlungsziel verfolgen, werden Serious Games genannt (Kothgassner, Utermöhlen & Felnhofer, 2017). Die Anwendungsbereiche sind vielfältig und schließen sowohl kognitive Trainings bei neuropsychologischen Funktionsstörungen wie auch bspw. spielerisch unterstützte Entspannungstrainings mit ein. Ebenso sind diesen Methoden hinsichtlich der Zielgruppen keinerlei Grenzen gesetzt, da sie bei allen Altersgruppen die Motivation und somit auch die Compliance bzw. Adhärenz erhöhen können. Beispielhaft sei hier das therapeutische Fantasy-Rollenspiel SPARX (Smart, Positive, Active, Realistic, X-factor-thoughts; Fleming, Dixon, Frampton & Merry, 2012) genannt, welches speziell für Jugendliche mit depressiven Störungen entwickelt wurde.

Im Rahmen des mehrwöchigen Spiels kreieren die Spieler zunächst ihren eigenen Avatar, mit dem sie anschließend diverse Aufgaben absolvieren, welche Inhalte der kognitiven Verhaltenstherapie umfassen (z.B. Psychoedukation, kognitive Umstrukturierung, Skills-Training, Mindfulness-Übungen). Eine Challenge ist bspw. die Bekämpfung von personifizierten „bösen negativen automatischen Gedanken“ (engl. GNATs, Gloomy Negative Automatic Thoughts), dabei werden die Spieler stets von einem Coach begleitet, der korrigierend eingreift und Feedback gibt. In mehreren Wirksamkeitsstudien (z.B. Fleming et al., 2012; Merry et al., 2012) zeigte SPARX ähnlich gute Ergebnisse wie die Behandlung mit einer herkömmlichen CBT.

Konklusion und Ausblick

Das Fortschreiten der technologischen Möglichkeiten wie auch die zusehends bessere Verfügbarkeit leistbarer Hardware und Software wird die klinisch-psychologische Behandlung und Psychotherapie in den nächsten Jahren zweifelsohne weiterentwickeln. Zugleich ist zu erwarten, dass vermehrt randomisiert kontrollierte Wirksamkeitsstudien durchgeführt werden und folglich weiter zur Qualitätssicherung beitragen. Es ist dabei jedoch anzumerken, dass neue Medien bestehende Behandlungsformen durchwegs gut ergänzen bzw. komplettieren können, diese jedoch nicht ersetzen wollen. Eine fundierte Weiterentwicklung und verstärkte Einbindung neuer Medien in den Behandlungsalltag ist vor allem hinsichtlich deren zahlreicher Vorteile für die Behandler und Patienten wünschenswert.

Dazu zählt nebst der Niederschwelligkeit des Zugangs und Ökonomie der Anwendung zweifelsohne der hohe Aufforderungscharakter, welcher einerseits durch die Einbindung therapeutischer Elemente in ein holistisches, spielerisches Narrativ erreicht wird und andererseits auf der subjektiv wahrgenommenen Kontrollierbarkeit der Situation (z.B. im Rahmen der VRET) basiert. Eine große Herausforderung stellen fraglos die rechtlichen Regelungen dar, welche eine reine online-basierte Behandlung bzw. Therapie in Österreich und Deutschland untersagen (vgl. Lunzer, 2018; Rautschka-Rücker, 2018). Zugleich ist jedoch zu erwarten, dass auch hier die nächsten Jahre eine Anpassung mit sich bringen werden, die den Zugang zu den entsprechenden Interventionen für Behandler und Patienten weiter erleichtert.

Literatur bei den Verfassern

Mag. Dr. Anna Felnhofer
Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Universitätsassistentin an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik, Medizinische Universität Wien E-Mail: anna.felnhofer@meduniwien.ac.at

Mag. Dr. Oswald D. Kothgassner
Klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe und Universitätslektor, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Medizinische Universität Wien; Abteilung für Klinische Psychologie, Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien (AKH) E-Mail : oswald.kothgassner@akhwien.at oder oswald.kothgassner@meduniwien.ac.at