Derzeit empfehlen die Leitlinien der ILAE (International League against Epilepsy) nur dann die sofortige medikamentöse Behandlung eines ersten Epilepsieanfalls, wenn das Risiko für einen weiteren Anfall in den nächsten zehn Jahren bei mindestens 60 Prozent liegt. In der vorliegenden Studie verglichen die Autoren in einer Simulierung die erwarteten qualitätsangepassten Lebensjahre (QALYs) nach einem ersten unprovozierten Anfall mit entweder sofortiger oder verzögerter medikamentöser Behandlung.
Methoden. Analysiert wurden drei typische Patientenfälle: 1) 30-jähriger Mann mit niedrigem Rezidivrisiko, 2) 30-jährige Frau mit hohem Rezidivrisiko und 3) 60-jährige Frau mit einem Rezidivrisiko von 66 Prozent, die aufgrund von Komorbiditäten im Rollstuhl sitzt und daher nicht sturzgefährdet ist. Auch Lebensqualität (QOL), Alter, Lebenssituation sowie Effektivität und Nebenwirkungen der Antiepileptika wurden berücksichtigt.
Ergebnisse. Fall 1: Bei sofortiger medikamentöser Therapie hätte der Patient 19,04 QALY, vs. 18,65 QALY bei einer Behandlung erst nach einem zweiten Anfall. Fall 2: Die sofortige Therapie erlaubt 15,23 QALY vs. 14,75 QALY unter verzögerter Behandlung. Fall 3: ein sehr geringer Nachteil bei sofortiger vs. verzögerter Therapie (10,79 vs. 10,89), obwohl eine sofortige Therapie nach ILAE-Kriterien empfohlen wäre. Eine verzögerte Behandlung sollte erst bei einer Zehn-Jahres-Rezidivate von ≤38 Prozent erwogen werden.
Fazit. Das Simulationsmodell zeigt, dass bei erwachsenen Patienten mit einem ersten unprovozierten Anfall in vielen, klinisch unterschiedlichen Fällen die sofortige Behandlung besser ist als die verzögerte Behandlung. Die Schwelle des Rezidivrisikos, ab der eine sofortige Behandlung von Nutzen ist, lag in dieser Studie mit 38 Prozent deutlich unter der empfohlenen Schwelle von 60 Prozent.
Bao EL et al.: Antiepileptic drug treatment after an unprovoked first seizure: A decision analysis. Neurology 2018; 91(15):e1429–e1439
erschienen in: 06/2018, CliniCum neuropsy