Weniger als ein Drittel der mit der Diagnose Schlaganfall zugewiesenen Pflegeheimpatienten haben tatsächlich ein zerebrovaskuläres Ereignis, bei allen anderen handelt es sich um „Stroke Mimics“. Eine Sensibilisierung des medizinischen Personals in Pflegeheimen hinsichtlich typischer und einfach zu detektierender Schlaganfallprädiktoren wäre wünschenswert. (CliniCum neuropsy 6/18)

Der Schlaganfall ist die Hauptursache für eine bleibende Behinderung im Erwachsenenalter und eine der drei häufigsten Todesursachen weltweit. Durch Fortschritte in der Akutbehandlung ist es in den letzten Jahren gelungen, die Prognose von Schlaganfallpatienten zu verbessern. Vor allem durch die flächendeckende Etablierung von Schlaganfallakutstationen (Stroke Units) sowie die verbreitete Anwendung der intravenösen Thrombolyse und die Einführung der mechanischen Thrombektomie als anerkannte Rekanalisationstherapien akuter zerebraler Gefäßverschlüsse hat die Zahl jener Patienten zugenommen, die nach einem Schlaganfall funktionell unabhängig bleiben. Allerdings war insbesondere die intravenöse Thrombolyse lange Zeit nur für Patienten bis zum 80. Lebensjahr zugelassen und fand somit in höherem Alter nur in Einzelfällen (off-label use) Anwendung. Beachtlich ist, dass diese Bevölkerungsgruppe über 30 Prozent aller Schlaganfallpatienten ausmacht.

 Auch Patienten über 80 Jahre profitieren

Umso wichtiger erscheinen die Ergebnisse rezenter Studien, die den Nutzen der intravenösen Thrombolyse und mittlerweile auch der mechanischen Thrombektomie bei Patienten über dem 80. Lebensjahr dokumentiert haben. Zudem wird der akute Schlaganfall beim älteren Menschen oft nicht rechtzeitig erkannt bzw. wird bei schlaganfallverdächtigen Symptomen nicht rasch genug reagiert. Gleichzeitig können die bestehenden Komorbiditäten von geriatrischen Patienten auch einen Schlaganfall vortäuschen (Stroke Mimics) und so fälschlich zu einer Einweisung an eine Stroke Unit führen. Wir wollten das Ausmaß dieser Probleme bei Pflegeheimpatienten in Graz und Umgebung erfassen (Kneihsl et al., Cerebrovascular Diseases 2018).

Gleichzeitig hatten wir das Ziel, einfache Indikatoren für das tatsächliche Vorliegen eines Schlaganfalles zu finden, die bereits im präklinischen Bereich differenzialdiagnostisch hilfreich sein könnten. Für diese Studie wurden retrospektiv die Daten aller Patienten erhoben, die zwischen 2013 und 2015 aus einem Pflegeheim an die gemeinsame internistisch-neurologische Notaufnahme des LKH Universitätsklinikum Graz zugewiesen worden waren. Aus den Krankengeschichten der Patienten konnten die in der initialen fachärztlich-neurologischen Untersuchung dokumentierten Symptome erhoben und nach ihrer Charakteristik in fokal-neurologische Störungen (einseitige Lähmungserscheinung/ Gefühlsstörung, Sprach-/Sprechstörung, Gesichtsfeldausfall) und diffuse Symptome (u.a. Schwindel, Bewusstseinsveränderung, allgemeine Schwäche, unspezifische Gefühlsstörung) unterteilt werden. Zudem erfassten wir die bestehenden Vorerkrankungen und Vortherapien, rekonstruierten den Zeitverlauf von Symptombeginn bis zur Krankenhausvorstellung und nahmen in den weiteren Verlauf der diagnostischen Abklärung und in die klinische Entwicklung Einsicht.

Anhand der klinischen und bildgebenden Untersuchungen unterschieden wir zwei Subgruppen: jene Patienten mit einem diagnostizierten ischämischen oder hämorrhagischen Schlaganfall und jene mit einer Schlaganfall-imitierenden Erkrankung. Patienten mit transitorischischämischer Attacke schlossen wir aufgrund der nicht immer eindeutigen Abgrenzung zu einem Stroke Mimic aus. Von allen zugewiesenen Pflegeheimpatienten mit Schlaganfallverdacht (n=126) hatten lediglich 43 (=34%) tatsächlich ein zerebrovaskuläres Ereignis (ischämischer Hirninfarkt : n=34; intrakranielle Blutung: n=9). Bei zwei Drittel (n=83) der Patienten, die mit Verdacht auf Schlaganfall zugewiesen worden waren, handelte es sich um ein Stroke Mimic (Tabelle 1). Führend waren hierbei Infektionen (24%), ein epileptisches Anfallsgeschehen (20%), metabolische Erkrankungen (u.a. Elektrolytentgleisungen, Hypo-/Hyperglykämien; 12%) und klinische Verschlechterungen auf Basis einer bestehenden demenziellen Erkrankung (11%). Die detaillierte Auflistung der Differenzialdiagnosen findet sich in Tabelle 2.

Stärkster Prädiktor: einseitige Lähmungserscheinungen

Patienten mit nachgewiesenem Schlaganfall zeigten gegenüber den Patienten mit Stroke Mimics in der neurologischen Erstuntersuchung häufiger fokal-neurologische Symptome (93 vs. 54%, p<0,001). Das Vorhandensein einseitiger Lähmungserscheinungen war in der multivariaten Analyse mit einer 16-fach erhöhten Wahrscheinlichkeit der stärkste Prädiktor für das Vorliegen eines Schlaganfalls. Auch ein (vor-)bestehendes Vorhofflimmern (OR 3,9) und ein vorausgehender Schlaganfall (OR 3,2) konnten als relevante prädiktive Faktoren für die Diagnose Schlaganfall identifiziert werden. Andererseits war das Auftreten eines Schlaganfalles ohne eindeutige fokal-neurologische Zeichen äußerst unwahrscheinlich (3/43; =7%).

Von den 34 Patienten mit ischämischem Hirninfarkt wurde lediglich ein Patient (Alter: 82 Jahre) mit einer akuten vaskulären Rekanalisationstherapie (Thrombolyse gefolgt von mechanischer Thrombektomie) behandelt. Dabei kamen nur ca. 50 Prozent der Patienten aufgrund der Begleiterkrankungen oder der Vormedikation nicht für eine rekanalisierende Therapie infrage. Die andere Hälfte der Patienten wurde jedoch außerhalb des therapeutischen Zeitfensters in die Notaufnahme eingeliefert. Die hohe Fehlzuweisungsrate in unserer Kohorte legt nahe, dass in Pflegeheimen bei medizinischer Verschlechterung rasch an die Möglichkeit eines Schlaganfalles gedacht wird, die Differenzierung der Symptome jedoch Schwierigkeiten bereitet.

Eine höhere Rate an Fehlzuweisungen bei älteren Patienten ist durchaus bekannt und wurde in früheren Studien mit 13 bis 29 Prozent beschrieben. Unser deutlich höherer Anteil (67%) an unbestätigtem Schlaganfallverdacht könnte möglicherweise durch die ausgeprägten Komorbiditäten der untersuchten Pflegeheimpatienten begründet sein. Insbesondere das hohe Patientenalter (demenzielles Syndrom) mit der hohen Prävalenz an Begleiterkrankungen und Polypharmazie (80 Prozent nahmen mehr als fünf Medikamente ein) wie auch die engen Lebensverhältnisse in Pflegeheimen (Neigung zu Infekten) könnten zu dieser großen Häufigkeit Schlaganfall-imitierender Ereignisse geführt haben. Unabhängig davon erscheint eine Sensibilisierung des medizinischen Personals in Pflegeheimen hinsichtlich typischer und einfach zu detektierender Schlaganfallprädiktoren (insbesondere einseitige Lähmungserscheinung) als eine wichtige aus unseren Daten abzuleitende Notwendigkeit.

Späte Vorstellung in der Notaufnahme

Andererseits kamen die zugewiesenen Patienten im Schnitt erst über sechs Stunden nach Symptombeginn in unsere Notaufnahme. Dies schloss ungefähr 50 Prozent aller ischämischen Schlaganfallpatienten von einer akuten Rekanalisationstherapie aus, obwohl keine anderen Kontraindikationen für die Durchführung einer systemischen Thrombolysetherapie (Abbildung) oder einer mechanischen Thrombektomie bestanden. Anhand unserer Studienergebnisse ist es daher wichtig, darauf hinzuweisen, dass auch bei Pflegeheimpatienten mit typischen Symptomen eines akuten Schlaganfalles der unverzügliche Transport an eine neurologische Fachabteilung in die Wege zu leiten ist. Einschränkend muss erwähnt werden, dass wir aufgrund des retrospektiven Studiendesigns nicht im Detail eruieren konnten, wer die Zuweisung an unsere Notaufnahme veranlasst hatte. Anzunehmen ist, dass der Rettungstransport zumeist durch das pflegerische Personal der Pflegeheime in die Wege geleitet wurde, wobei auch eine (zumeist telefonische) Beratung der betreuenden Hausärzte wahrscheinlich ist.

Gerade in diesem Kontext ist es interessant, dass sehr einfache Features wie eine fokal-neurologische Symptomatik, bekanntes Vorhofflimmern und ein vorheriger Schlaganfall starke unabhängige Prädiktoren für das Vorliegen eines neuerlichen Schlaganfalles waren, die auch für Pflegepersonen zu erheben sein sollten. Auf Basis unserer Arbeit lässt sich schlussfolgern, dass in Pflegeheimen vermehrt auf das Erkennen vorgenannter typischer Schlaganfallsymptome und -indikatoren geachtet und dann rasch reagiert werden sollte, da heute die Akutschlaganfalltherapie auch in gehobenem Alter eine möglicherweise sinnvolle und wirksame Maßnahme darstellt. Auf der anderen Seite sollte bei Patienten, die keine klaren Zeichen für das Vorliegen eines Schlaganfalles haben, an andere potenzielle Symptomursachen gedacht werden (siehe Tabelle 2), um so zu einer zielgerichteteren und patientenschonenden Diagnostik/Therapie beizutragen.

Literatur bei Dr. Markus Kneihsl

Von Dr. Markus Kneihsl, Cand. med. Lisa Müller, Priv.-Doz. DDr. Thomas Gattringer und Univ.-Prof. Dr. Franz Fazekas