Trotz des häufigen Vorkommens von gastrointestinalen unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) werden diese bei einer Reihe von Medikamenten spät oder gar nicht entdeckt. Dies führt dazu, dass das Risiko von gastrointestinalen UAW bei häufig eingesetzten Medikamenten, wie z.B. Metformin, einigen Antipsychotika oder Antidepressiva, vollkommen unterschätzt wird.

Mehrere Medikamente können, im Sinne einer unerwünschten Wirkung, zu verschiedenen gastrointestinalen Symptomen oder sogar zur Schädigung der Zellstruktur des intestinalen Gewebes führen (Philpott et al., 2014). Nun folgt die Darstellung eines klinischen Falles, bei dem ein Zusammenhang zwischen der eingenommenen Psychopharmaka und dem Vorkommen von Durchfall angenommen wird.

Kasuistik

Eine 56-jährige Patientin wurde aufgrund einer schweren depressiven Episode stationär in einer psychiatrischen Institution aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war die Patientin auf eine Kombinationstherapie mit Trazodon retard 150mg/Tag, Prothipendyl 80mg/Tag und Oxazepam 15mg/Tag eingestellt. Die Oxazepam-Medikation erhielt die Patientin wegen einer Entzugssymptomatik bei symptomatischem Alkoholkonsum. Zusätzlich war die Patientin auf Pantoprazol 40mg/Tag, Vitamin-B12-Tabletten und Magnesiumkapseln eingestellt. Im Rahmen des stationären Aufenthaltes wurde die Patientin auf eine Therapie mit Duloxetin eingestellt. Bei der Steigerung der Duloxetin-Dosierung von 30mg auf 60mg/Tag, sieben Tage nach Beginn der Duloxetin-Therapie, kam es bei der Patientin zu Durchfall.

Die Patientin berichtete selber, dass sie normalerweise eher zu Verstopfung neige. Im internistischen Konsilium wurde eine Infektion mit Clostridium difficile vermutet und das Abnehmen einer Stuhlkultur verordnet. Bei negativer Stuhlkultur und weiterer Intensivierung des Durchfalls wurden von dem betreuenden Ärzteteam die Vitamin-B-Tabletten und die Magnesiumkapseln abgesetzt. Duloxetin wurde für einen Tag pausiert, was jedoch zu keiner Veränderung der Symptomatik führte. Bei einer Intensivierung der Symptomatik mit wässrigem Stuhlgang bis 15-mal pro Tag erfolgte erneut ein internistisches Konsilium. Weitere Stuhlproben lieferten negative Ergebnisse bezüglich einer Infektion mit Campylobacter, Salmonellen, Shigellen oder Yersinien. Die Patientin erhielt eine Flüssigkeitssubstitution und wurde zusätzlich auf Loperamidhydrochlorid eingestellt.

Unter dieser Therapie verbesserte sich die Symptomatik, es kam aber zu keiner Remission. Durch die anschließende Umstellung von Loperamidhydrochlorid auf Lactobacillus casei var. rhamnosus erfolgte eine weitere Verbesserung der Symptomatik. Eine Rekto-Koloskopie wurde vom Durchführenden makroskopisch als unauffällig befundet. Die Histologie des entnommenen Gewebes wies aber eine entzündlich alterierte Colontransversum- Mucosa mit diskretem Umbau auf, welche gut mit einem M. Crohn oder einer Infekt-assoziierten Veränderung vereinbar wäre. Eine Re-Biopsie bei Fortbestehen der Symptomatik wurde in sechswöchigem Abstand empfohlen.

Die Patientin konnte bei einem deutlich gebesserten Zustand, aber weiterhin gelegentlich vorkommendem Durchfall mit einer Kombinationstherapie mit Duloxetin, Trazodon retard, Mianserin, Prothipendyl, Pantoprazol und Lactobacillus casei, vier Wochen nach der Aufnahme, entlassen werden. Durchfall als UAW wird in der Fachinformation (FI) von Duloxetin als „häufig“ berichtet. Bei der FI von Trazodon retard wird Durchfall als „selten“ angegeben, wobei bei Pantoprazol und Magnesiumkapseln als „gelegentlich“ vorkommend angegeben wird. Da trotz Absetzung von Magnesium die Durchfälle persistierten und aufgrund des Verdachtes auf eine M.-Crohn-Erstmanifestation, welche aber bis zum Zeitpunkt der Entlassung der Patientin nicht bestätigt wurde, wurde ein möglicher Zusammenhang der Durchfälle mit der Einnahme von Duloxetin, Trazodon retard und Pantoprazol angenommen.

Medikamentös induzierter Durchfall/Verstopfung

Nach der Einnahme einer Substanz ist die Dauer ihre Verdauung sowie Ausscheidung sehr stark variabel. Durchschnittlich dauert die Passage einer eingenommenen Substanz durch den Dünndarm zwei bis sechs Stunden und durch den Dickdarm zwölf bis 36 Stunden an (Philpott et al., 2014). Eine Verkürzung der Darmpassage liege bei Diarrhoe vor, während eine Verlängerung oder Blockade der Darmpassage bei einer Verstopfung vorliege. Kontrollierte randomisierte Studien zur Obstipation bzw. zum Durchfall, unter Einnahme von Medikation, existieren kaum. Als beobachtete UAW werden diese bei mehreren pharmakologischen Studien erwähnt. Es sind jedoch hauptsächlich publizierte Fallberichte bzw. Fallserien, welche zu der Verknüpfung einer bestimmten Medikation, mit Verstopfung oder Durchfall als mögliche UAW, beitragen.

Im Allgemeinen ist der genaue pathophysiologische Wirkmechanismus unbekannt, obwohl bei einigen Medikamenten, aufgrund ihres pharmakologischen Profils, die Veränderung der Darmpassagezeit erklärt werden kann. Bei den Psychopharmaka werden anticholinerge, antihistaminerge oder serotonerge Effekte als Ursache angenommen (Philpott et al., 2014). Fosnes et al. (2011) untersuchten die Häufigkeit von Durchfall bzw. Obstipation in Verbindung mit einer medikamentösen Therapie bei einem norwegischen Kollektiv, bestehend aus 4.622 Personen der Allgemeinbevölkerung. 640 Personen (13,8 Prozent) berichteten über Verstopfung und 407 Personen (8,8 Prozent) über Durchfall.

Die Einnahme von Medikamenten erhöhte die Inzidenz für Durchfall bzw. Verstopfung beim Befragten, wobei eine Assoziation mit Polypharmazie nur für Durchfall gefunden wurde. Die Autoren vermuteten, dass dies daran lag, dass mehrere Medikamente Durchfall verursachen können und somit die gleichzeitige Einnahme von mehreren Medikamenten, welche eventuell Durchfall als UAW verursachen können, gleichzeitig ein höheres Risiko für Durchfall bedeuten würde. Mit einer Verstopfung wurden in ihrer Studie folgende Substanzen in Verbindung gebracht: Furosemid, Levothyroxin und Ibuprofen. Mit Durchfall fand sich eine höhere Assoziation bei Einnahme von Carbamazepin oder Lithium vor.

Prävalenz

DeHert et al. (2011) untersuchten in einem retrospektiven Studiendesign die Prävalenz von Verstopfung unter Antipsychotika-Behandlung. Ihr Patientenkollektiv bestand aus 273 schizophrenen Patienten, welche zwischen 2007 und 2009 in einer Universitätsklinik behandelt wurden. Sie fanden heraus, dass bei 36,3 Prozent (99 Patienten) dieser Population eine Verschreibung von mindestens einem Medikament gegen Verstopfung erfolgte. Durchschnittlich erhielten die Patienten eine Medikation gegen Verstopfung für 273 Tage. Als mögliche Ursachen für die höhere Rate von Verstopfung bei dem schizophrenen Patientenkollektiv vermuteten die Autoren folgende Faktoren: andere Ernährungsgewohnheiten, mangelnde Bewegung sowie die Einnahme von anticholinergisch wirksamen Substanzen.

In einer anderen Studie berichteten DeHert et al., 2011, über das Vorkommen von Verstopfung bei 20 Prozent ihres untersuchten Kollektivs, bestehend aus schizophrenen Patienten, welche mit Antipsychotika der zweiten Generation behandelt wurden. Außer Antipsychotika gibt es bezüglich des Vorkommens von Obstipation auch mehrere Berichte unter trizyklischen Antidepressiva. Winstead und Winstead (2008) empfahlen einen Fünf-Schritte-Algorhithmus zur Behandlung von vorkommender Verstopfung bei psychiatrischen Patienten. Im ersten Schritt wird die Erhöhung der körperlichen Aktivität oder des täglichen Gehens sowie eine Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr angeraten, wobei im fünften Schritt die Verschreibung von Laxantien empfohlen wird. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind eher mit Übelkeit oder Durchfall als Verstopfung assoziiert, wobei diese Phänomene meistens nur passager auftreten (Philpott et al., 2014).

Chial et al. (2003) fanden im Vergleich zu Plazebo keine Veränderung bezüglich der Dauer der Dickdarmpassage für Paroxetin, Venlafaxin oder Buspiron. Andererseits stellten sie aber eine schnellere Passage im oberen gastrointestinalen Bereich für Paroxetin, im Vergleich zu den anderen Substanzen und Plazebo, sowie eine vermehrte Ausschüttung von Magensekret unter Venlafaxin fest. Eine spätere Untersuchung zur Verwendung von Venlafaxin als Therapie für Dyspepsie zeigte aber keine Veränderung bezüglich der sezernierten Magenflüssigkeit. Unter den phasenprophylaktischen Medikamenten ist besonders unter Carbamazepin und Lithium eine höhere Inzidenz für Diarrhoe bekannt (Fosnes et al., 2011).

Empfehlungen für die Praxis

Durchfall und Verstopfung sind häufige Symptome, welche auch eine mögliche UAW darstellen können. Obwohl der genaue Pathomechanismus nicht bekannt ist, ist die Einnahme von Psychopharmaka häufig mit dem Vorkommen von gastrointestinalen Symptomen verbunden. Während Antipsychotika eher mit Verstopfung assoziiert sind, sind Carbamazepin, Lithium sowie SSRIs mit Durchfall assoziiert. Bei Polypharmazie soll besonders auf einen möglichen medikamentös induzierten Durchfall geachtet werden. Da die Folgen von Verstopfung/Durchfall auch lebensgefährlich sein können, ist ein aktives Erfragen des Patienten bezüglich der Verdauung anzuraten.

Foto: Privat

Dr. Anastasios Konstantinidis
Klinische Abteilung für Biologische Psychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Wien und Zentrum für Seelische Gesundheit Muldenstraße, BBRZMed, Linz E-Mail: anastasios.konstantinidis@meduniwien.ac.at