Objektive Biomarker könnten Diagnostik und Versorgung von Depression, Schizophrenie und Demenz verbessern, so Univ.-Prof. Dr. Shigeto Yamawaki, Präsident von CINP. In seiner Heimat, ergänzt der Japaner im Expertengespräch, gebe es einen rapiden Anstieg von psychiatrischen Erkrankungen als Reaktion auf einen zunehmend beschleunigten Alltag.
Univ.-Prof. Dr. Shigeto Yamawaki ist Vorstand der Abteilung für Psychiatrie und Neurowissenschaften an der Universität Hiroshima, Japan, Gründungspräsident des AsCNP (Asian College of Neuropsychopharmacology). Als aktueller Präsident von CINP (Collegium Internationale Neuro-Psychopharmacologicum) stand Yamawaki für ein Expertengespräch* zur Verfügung.
CliniCum neuropsy: Welche Bedeutung hat CINP in der Neuropsychiatrie?
Yamawaki: Die global tätige Organisation mit Schwerpunkt Psychopharmakologie widmet sich seit über 60 Jahren den Bedürfnissen der modernen Psychiatrie. CINP wurde 1957 in Zürich gegründet, um internationale Forschung, Lehre und Anwendung auf dem Gebiet der Neuropsychopharmakologie zu fördern. Um diese Bemühungen zu unterstützen, geben wir „The International Journal of Neuropsychopharmacology“ (IJNP) heraus. Mein aktueller zweijähriger Turnus als CINP-Präsident dauert noch bis 2016 an. Es freut mich ganz besonders, dass mir während meiner Amtszeit o. Univ.- Prof. DDr. Siegfried Kasper von der Medizinischen Universität Wien als CINP-Generalsekretär zur Seite steht.
Was sind Ihre Schwerpunkte als CINP-Präsident?
Mein Fokus liegt sicherlich auf den sogenannten „unmet needs“, also den aktuellen Lücken vor allem in der medikamentösen Versorgung unserer Patienten. Wir stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen, vor allem hinsichtlich objektiver Biomarker für Depression, Schizophrenie und Demenz, und wir brauchen diese objektiven Indikatoren dringend für die Diagnostik und die klinische Einschätzung unserer Patienten. Wie wir alle wissen, kam es zudem in den letzten zehn Jahren bei der Entwicklung neuer psychotroper Substanzen zu einer Stagnation.
Und wie engagiert sich CINP diesbezüglich?
Um diese Krise in der Neuropsychopharmakologie zu überwinden, hat CINP vorgeschlagen, die Zusammenarbeit zwischen klinisch tätigen Psychiatern, Grundlagenforschern, der forschenden pharmazeutischen Industrie sowie den Zulassungsbehörden zu fördern und zu intensivieren. Solche „Private Public Partnerships“ (PPPs) sind in den letzten Jahren bereits in einigen Ländern implementiert worden. Um die Idee der PPPs weiter auszubauen und bisherige Ergebnisse zu evaluieren, hielten wir im April 2015 einen Gipfel in Tokio ab.
Ihre eigenen wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Depression, Psychopharmakologie und bildgebende Verfahren. Könnten Sie den Status quo hinsichtlich aktueller Versorgungslücken und Innovationen in näherer Zukunft zusammenfassen?
Beginnen wir mit Depression: Meiner Ansicht nach benötigen wir objektive Biomarker und andere Indikatoren für die Diagnostik. Da die diagnostischen Kriterien gemäß DSM und ICD auf subjektiven klinischen Symptomen und Episoden basieren, ist die derzeitige Population mit der Diagnose Depression sehr heterogen. In den letzten Jahren wurde die monoamine Hypothese erweitert und ergänzt mit Erkenntnissen zur Bedeutung von neurotropen Faktoren (wie z.B. BDNF) und glutamaterger Veränderungen. Epigenetischen Studien zufolge scheinen diese Faktoren eine größere Rolle zu spielen als die genetische Prädisposition.
Welche Entwicklungen gibt es in der Psychopharmakologie?
Meiner Meinung nach müssen wir die Entwicklung von geeigneten psychotropen Substanzen vorantreiben, die ursächlich in die primäre Pathologie von psychiatrischen Erkrankungen eingreifen. Daher wird CINP auch in Zukunft eine führende Rolle spielen, um mithilfe von PPPs die Entwicklung von innovativen psychotropen Substanzen zu fördern. Zudem hat die ECNP (European College of Neuropsychopharmacology) in Zusammenarbeit mit CINP, ACNP (American College of Neuropsychopharmacology) und AsCNP ein Projekt initiiert, um die aktuelle Nomenklatur zu optimieren.
Was sind die aktuellen Themen bei bildgebenden Verfahren, insbesondere bei der funktionellen Bildgebung?
Wir erlangen zunehmende Kenntnisse über jene pathologisch veränderten neuronalen Schaltkreise, die den einzelnen psychiatrischen Erkrankungen zugrunde liegen. Daher müssen wir unseren Schwerpunkt auf die Entwicklung von Neuroimaging-Verfahren legen, die wir zu diagnostischen Zwecken routinemäßig einsetzen können. Denn viele der neuen Erkenntnisse basieren auf sehr komplexen bildgebenden Verfahren, die für den klinischen Alltag zu aufwändig sind.
Prof. Yamawaki, würden Sie uns abschließend einen kurzen Einblick in die Situation in Japan geben: Vor welchen Herausforderungen steht die Psychiatrie in Ihrer Heimat?
In Japan erleben wir derzeit einen rapiden Anstieg von psychiatrischen Krankheiten, insbesondere Depression und Suizid, mit allen sozialen Folgen. Diese Entwicklung basiert zweifelsohne auf den stark gestiegenen Belastungen und dem zunehmenden Stress im Berufsleben, die auch auf die rasche Globalisierung und die Einführung immer schnellerer IT-Systeme zurückzuführen sind. Viele meiner Landsleute haben große Probleme, dieses enorme Tempo mitzugehen. Zudem steigt in Japan die Lebenserwartung nach wie vor an, sodass die Zahl der Demenz-Patienten deutlich zunimmt. Die Versorgung dieser Patienten setzt das japanische Gesundheitssystem finanziell sehr unter Druck.
Vielen Dank für das Gespräch!
* Das Interview führte Dr. Uli Kiesswetter; die deutsche Übersetzung wurde von o. Univ.-Prof. Dr. h.c. mult. Dr. Siegfried Kasper, Wien, vidiert.