Die Chance, mithilfe der Reproduktionsmedizin ein Kind zu bekommen, birgt für werdende Eltern auch das Risiko für hohe seelische Belastungen.

Vor 33 Jahren kam Österreichs erstes „Retortenbaby“ – gezeugt durch In-vitro-Fertilisation – zur Welt. Die seither erfolgte Weiterentwicklung der Reproduktionsmedizin sorgt nicht nur für gesellschaftspolitischen Gesprächsstoff, sondern auch einen verstärkten Fokus auf die psychischen Auswirkungen. Dr. Dipl.-Psych. Christoph Joseph Ahlers, Sexualpsychologe an der Berliner Charité, warnt etwa in seinem kürzlich erschienenen Buch „Himmel auf Erden & Hölle im Kopf“ (Goldmann) davor, dass die Reproduktionsmedizin die Erfüllung des Kinderwunsches von Liebe, Partnerschaft und Sexualität entkoppelt und mit hohen emotionalen Kosten einhergeht.

Frauen würden Beschwerden infolge der Hormonbehandlung abhängig von der Vehemenz des Kinderwunsches „mal besser, mal schlechter“ tolerieren; für Männer wiederum bedeute die Reduktion auf die Rolle als „Samenspender“ eine deutliche Belastung, wie Ahlers in seiner Praxis erfährt. Betroffene mit dringendem Kinderwunsch verhielten sich allerdings „tendenziell irrationell“, schreibt Ahlers. Aufklärungsgespräche über Erfolgswahrscheinlichkeiten der Behandlung oder Risiken dringen zu den Paaren oft nicht durch, die zum Zeitpunkt der Beratung in großer Anspannung und Bedürftigkeit sind. „Informationen über Risiken, Statistiken und Schwierigkeiten gehen rechts rein und links wieder raus“, so Ahlers.

IVF-Versuche

Auch die Leiterin der Psychosomatischen Frauenambulanz (Konsiliar-Liaison-Ambulanz der Uniklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie an der Universitäts-Frauenklinik), Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Katharina Leithner-Dziubas, berichtete kürzlich in einem wissenschaftlichen Seminar an der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie über die psychischen Folgen der Kinderwunsch-Behandlung.

Leithner-Dziubas: „Es macht einen Unterschied, ob die psychologische Beratung als fixer Bestandteil der Behandlung gesehen wird oder ob es heißt: Schauen S' halt einmal hin.

Leithner-Dziubas: „Es macht einen Unterschied, ob die psychologische Beratung als fixer Bestandteil der Behandlung gesehen wird oder ob es heißt: Schauen S' halt einmal hin.

Der medizinische Umgang rund um die Reproduktionsmedizin verlagert sich aus Sicht der Psychiaterin zunehmend auf eine Handlungsebene und lasse nur wenig Raum für die Bearbeitung psychischer Fragen: „Vor 20 Jahren sind noch sehr viele Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch in die Psychosomatische Frauenambulanz gekommen. Heute kommen die Frauen sehr viel später, vielleicht erst nach dem vierten oder fünften erfolglosen Versuch einer IVF, weil sie mit der Entscheidung überfordert sind, ob sie mit der Behandlung weitermachen sollen oder nicht“, schildert Leithner-Dziubas.

Schwierige Entscheidungsfragen werfen auch neuere Entwicklungen im Bereich der Pränataldiagnostik auf, ebenso wie Mehrlingsschwangerschaften. „Selbst wenn den Frauen bei der Behandlung nur zwei Eizellen eingesetzt werden, sind dennoch Drillingsschwangerschaften möglich. Frauen, die nach einer langen Behandlung endlich schwanger sind, sind dann mit dem Risiko und der Entscheidung für oder gegen eine Reduktion der Drillingsschwangerschaft konfrontiert.“

„Reduktion“ oder Drillinge?

Multiple Pregnancy Reduction lautet der Fachbegriff dafür und bedeutet den Fetozid eines oder mehrerer Embryonen in der Frühschwangerschaft „Schon die Bezeichnung des Fetozids als „Reduktion“ weist auf die schwierige psychische Verarbeitung hin und lässt anmuten, dass es sich dabei um einen Teil der Reproduktionsmedizin handelt.“ Angesichts des Risikos für Frühgeburten bei Mehrlingsschwangerschaften gilt es im Einzelfall, eine Nutzen-Risiko-Abwägung für Mutter und Kinder zu treffen.

„Wenn ein Fetozid nötig ist, dann ist es im Hinblick auf die psychische Verarbeitung enorm wichtig, die Eltern psychologisch zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit des Abschiednehmens zu geben“, betont Leithner-Dziubas. Im Rahmen eines Forschungsprojektes am AKH Wien wurden von einem Team rund um Leithner-Dziubas die Eltern nach Drillingsschwangerschaften unter anderem in qualitativen Interviews retrospektiv über ihre Entscheidungsfindung befragt; durchschnittlich zehn Drillingsschwangerschaften werden pro Jahr an der Wiener Universitäts-Frauenklinik betreut.

Zwar entschied sich nur ein kleiner Teil der Paare (zwölf Prozent) für eine Reduktion, wobei 80 Prozent davon einen Hochschulabschluss haben: „Das bedeutet, dass Bildung und vermutlich auch die Einschätzung der Gefahren einer Drillingsschwangerschaft eine Rolle bei der Entscheidungsfindung spielt. Frauen, die sich für eine Reduktion entschieden haben, waren im Vorfeld an der Kinderwunschklinik zudem ausführlich darüber informiert worden“, führt Leithner-Dziubas aus.

Richtige Entscheidung?

Entschieden sich Eltern für eine Reduktion der Drillingsschwangerschaft, so wurden meist Befürchtungen um die Gesundheit der Kinder und die dadurch entstehenden Belastungen als Grund angegeben. Gegen die Reduktion sprachen meist Schuldgefühle oder die empfundene Unfähigkeit, ein Kind auswählen zu müssen. Die Folgeuntersuchungen ergaben, dass bei Drillingen der Geburtstermin signifikant früher war als nach einer Reduktion (durchschnittlich 31. vs. 37. Schwangerschaftswoche), auch mussten 93 Prozent der Drillinge gegenüber 30 Prozent der Zwillinge neonatologisch behandelt werden.

Leithner-Dziubas: „Die meisten Paare erlebten die Zeit in der Neonatologie als besonders belastend; zudem sind ein Jahr nach der Geburt Drillingsmütter in einem schlechteren körperlichen Zustand als Einlingsoder Zwillingsmütter. Beide Gruppen sagen allerdings im Nachhinein, sie hätten zu 100 Prozent die richtige Entscheidung getroffen.“

Psychologische Beratung

„Interessanterweise wurde eine psychologische Betreuung vor allem jenen Paaren angeboten, die sich für die Reduktion entschieden hatten. Dabei ist auch die Belastung durch eine Drillingsschwangerschaft nicht so ohne Weiteres zu bewältigen“, meint Leithner- Dziubas. Paare, die eine psychologische Beratung in Anspruch genommen haben, beurteilten sie in jedem Fall als äußerst hilfreich.

Eine psychologische Beratung bereits an der Kinderwunschklinik sollte laut Leithner-Dziubas daher „genauso selbstverständlich sein wie der Ultraschall“. Entscheidend für die Akzeptanz der Beratung sei zudem die Einstellung der Reproduktionsmediziner dazu. „Es macht einen Unterschied, ob die psychologische Beratung als fixer Bestandteil der Behandlung gesehen wird oder ob es heißt: Schauen S‘ halt einmal hin.“

Ähnlich wie der deutsche Sexualpsychologe Ahlers verweist Leithner-Dziubas zudem auf die psychischen Folgen der seit Kurzem in Österreich erlaubten Eizellspende: Sie reichen von den Auswirkungen auf die Partnerschaft – „das Kind einer anderen Frau mit dem eigenen Mann?“ – bis zu den Auswirkungen auf die Spenderin, die sich einer Hormonstimulation unterziehen muss. Auch Eizellspenden innerhalb der Familie – etwa unter Schwestern – seien aus psychischer Sicht als hochproblematisch anzusehen.

Vortrag im Rahmen des wissenschaftlichen Seminares an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, MedUni Wien, 11.6.2015

Autor: Mag. Christina Lechner