Epilepsie erhöht nicht grundsätzlich die Sterblichkeit der Betroffenen. Doch gibt es bei Epilepsiepatienten spezifische Faktoren, die zusammengenommen zu einer verkürzten Lebenserwartung führen. Eine Vortragsreihe beim diesjährigen Europäischen Epilepsie-Kongress der ILAE in Wien widmete sich den möglichen Maßnahmen zur Reduktion der Mortalität. (CliniCum neuropsy 5/18)
Epilepsiepatienten haben im Durchschnitt eine verkürzte Lebenserwartung im Vergleich zur Normalbevölkerung: bei einer symptomatischen (strukturellen/metabolischen) Epilepsie um etwa zehn Jahre, bei idiopathischen (genetischen) oder kryptogenen Epilepsien um zwei Jahre. Bei symptomatischen Epilepsien, oft durch Hirntumore oder zerebrale Fehlbildungen verursacht, kann ein ungünstiger Verlauf der Grunderkrankung zu einem vorzeitigen Tod führen. Die erhöhte Mortalität auch von Patienten mit genetischer Epilepsie erklärt sich dagegen im Wesentlichen durch drei Elemente: plötzlicher Tod ohne erkennbare Ursache (SUDEP), erhöhte Suizidrate sowie Unfälle und Verletzungen. Auch schwerwiegende Nebenwirkungen der antiepileptischen Medikamente sind zu berücksichtigen.
SUDEP: „Sudden unexpected death in epilepsy patients“
SUDEP ist der plötzliche, unerwartete Tod von Epilepsiepatienten, der nicht durch ein Trauma, eine Vergiftung, Ertrinken oder Status epilepticus verursacht wird und bei dem post mortem keine offensichtliche Todesursache festzustellen ist. Etwa 90 Prozent der SUDEP-Fälle stehen im Zusammenhang mit einem epileptischen Anfall, bei dem es während oder nach dem Anfall zu tödlicher kardiorespiratorischer oder zerebraler Dysfunktion kommt. Die restlichen interiktalen Fälle erklären sich durch kardiorespiratorisches Versagen oder Herztod durch ventrikuläre Tachyarrhythmie. Der wichtigste Risikofaktor für SUDEP sind generalisierte tonisch-klonische Anfälle (GTCS).
Wie Priv.-Doz. Dr. Rainer Surges, Universität Aachen, ausführte, kann es nach einem GTCS zu allgemeiner Suppression der Hirnaktivität kommen, darunter auch der Funktionen des Hirnstamms und damit zu zentraler Apnoe und in der Folge zu Hypoxämie und Herzstillstand. Die Inzidenz von SUDEP bei Epilepsien insgesamt beträgt bei Kindern 0,2 pro 1.000 Patientenjahre, steigt aber bei Erwachsenen um das Sechsfache; das kumulative Risiko, während des Lebens SUDEP zu erleiden, beträgt damit bis zu acht Prozent. Bei refraktärer (medikamentös schwer behandelbarer) Epilepsie ist die Inzidenz mit sieben Fällen auf 1.000 Patienten pro Jahr deutlich höher. Ganz offensichtlich ist deshalb die wichtigste präventive Maßnahme gegen SUDEP, die epileptischen Anfälle des Patienten erfolgreich und dauerhaft zu kontrollieren; sowohl effektive Pharmakotherapie als auch Epilepsiechirurgie reduzieren die SUDEP-Inzidenz signifikant. Patienten sollten zeitgerecht über das SUDEP-Risiko aufgeklärt werden.
Zirka 90 Prozent der SUDEP-Fälle ereignen sich während des Nachtschlafs. Dies legt eine weitere wichtige präventive Maßnahme nahe: Überwachung von Patienten während der Nacht. Eine neue Studie verglich zwei Epilepsiezentren mit hoher und geringer nächtlicher Überwachungsdichte über 25 Jahre: Die Zahl der SUDEP-Fälle war ohne enge Kontrollen dreimal höher. Wenn kein Zimmergenosse zugegen ist, kann ein – z.B. am Handgelenk tragbares – Gerät zur Anfallsdetektion bei Patienten empfohlen werden. Ein derartiges Überwachungsgerät wurde bereits kürzlich von der FDA zugelassen. Solche Geräte lösen einen Alarm aus, um Hilfe für lebensrettende Maßnahmen zu holen, insbesondere für die kardiopulmonale Reanimation, die früh nach dem Abklingen des Anfalls einsetzen sollte. Wichtig ist hier offensichtlich auch ein regelmäßiges Training von Angehörigen und Pflegepersonal.
Erhöhte Suizidrate bei Epilepsiepatienten
Psychiatrische Störungen sind bei der Epilepsie häufiger als in der generellen Bevölkerung, darunter auch das Auftreten von Suizidgedanken. Die Suizidrate bei Epileptikern wird als bis zu fünf- bis zehnfach höher angegeben, und ist für bis zu zwölf Prozent der Todesfälle bei diesen Patienten verantwortlich. Dr. Marco Mula, Universität London, wies darauf hin, dass es gemeinsame pathogene Mechanismen für Epilepsie und Suizidalität gibt ; z.B. sind Serotonin-Rezeptoren (5-HT1A) und Glutamat-Transporterproteine (SLC3A2/3) im temporalen und/oder präfrontalen Cortex bei Patienten mit Temporallappenepilepsie und bei Suizidopfern reduziert. Psychologische Faktoren, die bei Epilepsiepatienten eine besondere Rolle spielen, sind das Gefühl der Stigmatisierung durch die Krankheit und die Empfindung, anderen zur Last zu fallen. Bezüglich der Prävention von Selbsttötungen forderte Mula, dass ein Screening von Epilepsiepatienten auf Depressionen durch den behandelnden Arzt, einschließlich der Frage nach Suizidgedanken, zur Routine gehören sollte. Er betonte, es sei eine irrige Annahme, dass solche Nachfragen Suizidgedanken verstärken oder gar induzieren könnten.
Unfälle und Verletzungen bei Epilepsiepatienten
Die Inzidenz von häuslichen, Arbeitsund Verkehrsunfällen bei Epilepsiepatienten ist erhöht. Es handelt sich dabei um Unfälle und Verletzungen, die mit und ohne Zusammenhang mit einem Anfall stehen können. Letztere sind möglicherweise durch eine kognitive Einschränkung durch interiktale Entladungen zu erklären; auch an Nebenwirkungen von antiepileptischen Medikamenten ist zu denken. Es handelt sich bei den Unfällen vor allem um Verbrennungen (z.B. beim Kochen, Bügeln etc.), Brüche (z.B. durch Stürze bei einem Anfall), Gehirnerschütterung sowie Ertrinken. Zur Prävention ist an erster Stelle die Anfallskontrolle zu nennen. Prim. Priv.-Doz. Dr. Tim von Oertzen, Universitätsklinikum Linz, vertritt die Meinung, dass die Möglichkeit einer Epilepsiechirurgie generell schon früh geprüft werden sollte, um dem möglichen Versagen der Pharmakotherapie vorzubeugen. Auch sollte versucht werden, die Last der Nebenwirkungen durch Antiepileptika zu reduzieren. Komorbiditäten, wie die Depression, müssen adäquat behandelt werden. Den Patienten sollte geraten werden, nur unter Aufsicht zu schwimmen, häusliche Quellen für Verbrennungen zu meiden und ein regelmäßiges Training zur Erhaltung der Knochenmasse zu befolgen. Weiters müssen die gesetzlichen Bestimmungen bezüglich Fahrerlaubnis im Straßenverkehr mit den Patienten besprochen werden.
Prävention von schweren Nebenwirkungen antiepileptischer Medikamente
Mit der Erweiterung der therapeutischen Möglichkeiten durch neue Antiepileptika in den letzten 20 Jahren geht auch eine Zunahme von berichteten Nebenwirkungen einher. Cecilie Johannessen Landmark, MSc Pharm, PhD, Universitätshospital Oslo, diskutierte eine Reihe von Maßnahmen, um schwere Nebenwirkungen von Antiepileptika besser zu kontrollieren. Ein erster naheliegender Punkt ist, dass der Arzt den Patienten nach unerwünschten Effekten befragt, vor allem beim Einsatz neuer Medikamente oder von Kombinationen. Nebenwirkungen unterliegen in Österreich der Berichtspflicht als Beitrag zur Pharmakovigilanz. Zum anderen sollten vermehrt die Serumkonzentrationen der Wirkstoffe bestimmt werden („therapeutic drug monitoring, TDM“).
Der Grund hierfür ist, dass es große interindividuelle Variabilität bezüglich Absorption und Elimination von Wirkstoffen geben kann; ein Beispiel ist Clobazam mit seinem aktiven Metaboliten Desmethylclobazam, deren Konzentrationsverhältnis bei Kindern um bis zum 200-Fachen variieren kann. Solche Variabilität kann offensichtlich große Unterschiede in Wirkung und Nebenwirkung eines Medikaments bedingen. Insbesondere bei gleichzeitiger Gabe mehrerer Antiepileptika können durch Arzneimittelwechselwirkungen die individuellen Serumkonzentrationen und ihre klinische Auswirkung schwer vorhersagbar werden. Besondere Aufmerksamkeit verdient das bekanntermaßen teratogene Valproat, dessen freie Serumkonzentrationen bei Schwangeren gemessen werden sollten.
In Österreich ist eine Therapie mit Valproat streng geregelt : Bei Frauen im gebärfähigen Alter darf Valproat nur verschrieben werden, wenn Alternativtherapien unwirksam oder nicht verträglich sind. Außerdem muss, laut Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, für die Behandlung mit Valproat „eine wirksame Empfängnisverhütung sichergestellt sein“. Individualisierte Therapie („precision medicine“) wird immer mehr auch für die Behandlung der Epilepsien angestrebt. Voraussetzung dafür ist die Genotypisierung der Patienten, um das geeignete Medikament auszuwählen, aber auch TDM um individuelle Dosisanpassung und Optimierung des therapeutischen Fensters zu ermöglichen. Auch pharmakogenetische Untersuchungen können von Wichtigkeit sein, vor allem eine CYP-Genotypsierung, z.B. im Falle von Phenytoin und Clobazam (siehe oben). Pharmakogenetische Tests können auch zur Prävention von Nebenwirkungen beitragen; ein Beispiel ist das lebensbedrohliche Stevens-Johnson-Syndrom, das bei Patienten mit HLA-B*1502-Mutation durch eine allergische Reaktion gegen verschiedene Medikamente auftritt, darunter auch das Antikonvulsivum Carbamazepin. Ein anderes Beispiel sind seltene Mutationen im POLG-Gen, die das Risiko für eine von Valproat induzierte Lebertoxizität bestimmen.
„Prevention strategies to reduce mortality in epilepsy”; 13th European Congress on Epileptology (ICE) of the International League Against Epilepsy (ILAE), Wien, 27.8.18
Von Dr. Andreas Billich