3. ÖGPB Newsletter 2022

Ao. Univ.-Prof. DDr. Gabriele Sachs

Ao. Univ.-Prof. DDr. Gabriele Sachs

Past-Präsidentin der ÖGPB

Für Ihre Teilnahme an der 24. ÖGPB-Tagung möchte ich mich sehr herzlich bedanken. Pandemiebedingt fand die ÖGPB-Tagung auch heuer wieder ausschließlich online statt. Um die Kontinuität aufrechtzuerhalten, haben wir uns entschlossen, die Tagung erneut virtuell abzuhalten.

Ich möchte mich auch bei den Sponsoren für die Unterstützung unserer Tagung bedanken. Mithilfe unseres Kooperationspartners, der Wiener

Medizinischen Akademie (WMA), ist es uns gelungen, diese virtuelle ÖGPB-Tagung wieder erfolgreich zu gestalten. Insgesamt nahmen mehr als 350 Personen teil. Vielen Dank an alle, die zu dem guten Gelingen beigetragen haben. Wir konnten hervorragenden Vorträgen folgen und bei spannenden Diskussionen dabei sein.

Ich möchte einige Programmpunkte der Tagung 2022 herausgreifen, die uns einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der psychiatrischen Erkrankungen gegeben haben – mit praxisnahen Erkenntnissen für die Prävention, Diagnostik und Therapie.

Es wurden neueste Entwicklungen auf den Gebieten der Belohnungsforschung, der Psychobiotika, der schnell wirksamen Antidepressiva und der transkraniellen Magnetstimulation vorgestellt.

Die Wagner-Jauregg-Medaille wurde dieses Jahr an Herrn Prof. Dr. Falkai verliehen. Mit der Wagner-Jauregg-Medaille ehrt die ÖGPB seine herausragende wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der biologischen Psychiatrie. In dem Vortrag „Die Bedeutung von Backtranslation für die Pathophysiologie psychischer Erkrankungen“ wird gezeigt, wie es, ausgehend von der Klinik, zu einem Modell für ein besseres pathophysiologisches Verständnis am Beispiel der Schizophrenie kommen kann, um eine wirkliche Innovation der Therapie bei psychischen Störungen zu erreichen. Schizophrenie wird als Störung der Konnektivität und der kognitiven Funktionen angesehen. In einer ersten klinischen Studie zeigte sich, dass es durch ein aerobes Training zu einer Verbesserung der Negativsymptomatik sowie des Kurzzeitgedächtnisses und einer Normalisierung des Hippocampus-Volumens kam. Auch eine Kombination von Bewegung und kognitiver Remediation wirkte sich positiv auf die globale Kognition aus. Mithilfe der Genotypisierung wurde festgestellt, dass die Volumenzunahme des Gehirns abhängig ist von einem polygenetischen Risikoscore in Bezug auf die Frühformen der Oligodendrozyten. Es wird vermutet, dass gestörte Myelinplastizität ein wichtiger Teil der Schizophrenie zugrunde liegenden Pathophysiologie ist. Diese Forschung, die Translation zurück, ist notwendig, um neues Wissen und innovative Therapien in Zukunft zu generieren.

In dem Plenarvortrag „Dementia praecox – aus der Mode gekommen oder hochaktuell?“ wurde Kraepelins Konzept der Dementia praecox aufgegriffen. Das Verständnis der Entstehung von Psychosen wurde erneut in den Fokus gestellt. In einer Studie unter Anwendung der strukturellen Kernspintomografie wiesen Patienten mit Schizophrenie das neuroanatomische Muster der frontotemporalen Demenz stärker auf (41 %) als das der Alzheimer-Krankheit (17 %). Bereits in klinischen Hochrisikostadien für Psychosen war die stärkere Ausprägung des hirnstrukturellen Musters der frontotemporalen Demenz mit ungünstigen Verläufen und erhöhtem polygenem Risiko für Schizophrenie und Demenz verbunden. Bei den Patienten, die sich im Laufe der Zeit nicht erholten, konnte eine weitere Progression des Musters nachgewiesen werden. Die Ergebnisse deuten auf eine gemeinsame pathophysiologische Dimension von schweren Psychosen und frontotemporalen Demenzen hin. Aufgrund dieser Befunde stellt sich erneut die Frage, ob neben einer neuronalen Entwicklungsstörung bei einer Subgruppe von Patienten ein neurodegenerativer Prozess zum chronischen Verlauf der Erkrankung beiträgt. Bei der Schizophrenie werden ein Defizit der synaptischen Aktivität und eine Verminderung der Oligodendrozyten als pathophysiologische Faktoren angesehen, wodurch Konnektivitätsstörungen von Neuronen hervorrufen werden können. Untersuchungen zur Neurobiologie eines progressiven Krankheitsverlaufes zeigen einen fortschreitenden Volumenverlust sowie Störungen in neuronalen Netzwerken des Gehirns, die klinisch mit Negativsymptomatik und einer Abnahme der kognitiven und psychosozialen Funktionsfähigkeit einhergehen.

In der Behandlung der Schizophrenie rücken derzeit die Verbesserung der Funktionalität und Lebensqualität sowie die Suche nach neuen Wirkmechanismen zur Behandlung von Negativsymptomen und kognitiver Dysfunktion immer mehr in den Vordergrund. Die Behandlung von Negativsymptomen in der Schizophrenie ist nach wie vor eine Herausforderung im klini­schen Alltag. Bisherige Behandlungsmethoden haben oft eine nur unzureichende Wirksamkeit.

In dem Satellitensymposium „Wieder über Leben sprechen! Cariprazin: Neue Perspektive in der medikamentösen Behandlung psychotischer Störungen“ wurde die klinisch-pharmakologische Besonderheit von Cariprazin dargestellt. Cariprazin ist ein neues, innovatives Antipsychotikum. Das Rezeptorprofil ist unter anderem durch eine Kombination von partieller Agonistenaktivität bei Dopamin-D3, -D2- und Serotonin-5-HT1A-Rezeptoren charakterisiert. Im Vergleich zu den bisher klinisch verfügbaren Antipsychotika, die als partielle Agonisten an Dopamin-D2-Rezeptoren wirksam sind, unterscheidet sich Cariprazin hinsichtlich seiner Bindung an D3-Rezeptoren. Cariprazin bindet mit deutlich höherer Affinität an D3- als an D2-Rezeptoren. Dies wird mit der Wirksamkeit von Cariprazin bei der Negativsymptomatik in Verbindung gebracht. Die gezeigte Wirkung auf Negativsymptomatik und die mögliche Besserung der kognitiven Störungen bei Schizophrenie haben positive Auswirkungen auf die psychosoziale Funktionsfähigkeit. Cariprazin zeigt klinisch relevante und anhaltende Therapieeffekte in allen Symptomclustern einschließlich der Positivsymptomatik und hat damit für die Praxis eine besondere Bedeutung. In Österreich ist Cariprazin seit 1. November 2022 aus der grünen Box verschreibbar.

In Plenarvorträgen wurde die Wichtigkeit des Einsatzes von lang anhaltenden injizierbaren Antipsychotika aufgezeigt (LAI). Die Therapieadhärenz stellt einen wichtigen prognostischen Faktor in der Therapie der Schizophrenie dar. Um Rezidive zu verhindern, haben sich lang anhaltende injizierbare Antipsychotika gegenüber oralen Antipsychotika als vorteilhaft erwiesen. Dies konnte in einer Reihe von Studien, wie randomisierten Studien und Metaanalysen, nachgewiesen werden. Es ist gut dokumentiert, dass die Zahl der Rückfälle und Rehospitalisierungen durch die Gabe von LAI abnimmt und die psychosoziale Funktionsfähigkeit zunimmt. Vor allem LAIs der zweiten Generation sind umfassend untersucht worden und stellen eine gute Option in der klinischen Praxis dar. In Bezug auf Wirkung und unerwünschte Arzneimittelwirkung unterscheiden sich LAI, sodass mit einem individualisierten Zugang unter Berücksichtigung von Vorerfahrungen in der Behandlung mit Antipsychotika der Langzeitverlauf der Therapie und die Adhärenz verbessert werden können.

In dem Plenarvortrag „Lang wirksame Schizophrenie-Behandlung ansprechen – aber wie?“ wurden evidenzbasierte Tools für geeignete Kommunikationsstrategien dargestellt. Faktoren wie Psychoedukation, stabiles therapeutisches Bündnis, Anwendung von „shared decision making“ und „motivational interviewing“ sollen eine langfristige stabile Medikation etablieren. Weiters wurden der GAIN-Ansatz (Goal setting, Action planning, Initiate treatment, Nurturing change) sowie die Kognitionen zur Medikation diskutiert.

Eine weitere innovative Behandlung, der das Satellitensymposium „Depression 2.0“ gewidmet war, ist die Therapie mit intranasalem Esketamin. Forschungsergebnisse zur Pathophysiologie der Depression zeigten, dass die Depression als eine Erkrankung der synaptischen Plastizität angesehen werden kann. Durch die Behandlung mit glutamatergen Substanzen wie Ketamin konnte diese wiederhergestellt werden. Erste Anwendungen von Ketamin erfolgten intravenös, in der Folge wurde die intranasale Anwendung von Esketamin entwickelt. In dem Symposium wurden die Studien und das praktische Procedere im klinischen Alltag bei intranasaler Anwendung von Esketamin präsentiert. Die intranasale Anwendung von Esketamin weist eine rasche antidepressive und auch antisuizidale Wirkung auf. Der Esketamin-Nasenspray wird aufgrund der vorliegenden Forschungsergebnisse als Zusatzmedikation zu einer bestehenden medikamentösen antidepressiven Therapie verwendet.

Praktische, relevante Einblicke in die Arzneimittelsicherheit (Interaktionen, Cytochrom-Metabolisierungsstatus) zeigten auf, wie wichtig die umsichtige Anwendung pharmakologischer Strategien im Alltag ist.

Die dargestellten Themen der Tagung machen deutlich, dass in unserem Fach grundsätzlich Fortschritte erzielt und überprüft werden.

Auch die Einreichungen für die Preise waren beeindruckend. Die Preise für Klinische Psychiatrie der ÖGPB wurden für folgende wissenschaftliche Arbeiten vergeben: „Pharmakokinetische und pharmakogenetische Ansätze zur Verbesserung der Lithiumbehandlung“ und „Substanzabhängigkeit während der COVID-19-Pandemie: Longitudinaler Verlauf von Substanzkonsum, psychischer Belastung und Einsamkeit in einer transnationalen Stichprobe mit Substanzkonsumstörungen aus Tirol“.

Die Arbeiten, die mit den Preisen für Schizophrenie – gestiftet von der Firma Janssen-Cilag – ausgezeichnet wurden, sind: „Ketamin als mögliche Behandlung von negativen und depressiven Symptomen bei Schizophrenie“ und „Agranulozytose, SARS-CoV-2-Infektion und Lungenentzündung während einer Clozapintherapie bei einer Patientin mit paranoider Schizophrenie“.

Sollten Sie noch nicht Mitglied unserer Gesellschaft sein, so lade ich Sie hiermit freundlich ein, unsere Ziele zu unterstützen und Mitglied zu werden. Informationen finden Sie auf unserer Website. Sie können uns auch ein E-Mail an die Adresse office@oegpb.at senden.

Ich möchte Ihnen für die kommende Weihnachtszeit alles Gute wünschen sowie ein gesundes erfolgreiches neues Jahr 2023.

Mit besten Grüßen verbleibe ich

Ihre
Univ.-Prof. DDr. Gabriele Sachs
Past-Präsidentin der ÖGPB