Diese Arbeit dient als Zusammenfassung unseres gegenwärtigen Verständnisses für die Grundlagen der Erkrankung sowie aktueller diagnostischer und therapeutischer Empfehlungen für die Klinik. Dazu werden neben medikamentösen Therapieverfahren, wie zum Beispiel vielversprechende medikamentöse Therapieansätze wie Ketamin, auch nicht medikamentöse biologische Therapieverfahren und Ansätze für die therapieresistente Depression besprochen.

Die unipolare Depression ist eine schwerwiegende Erkrankung, die mit Belastungen für den Patienten selbst sowie dessen soziales Umfeld und der Gesellschaft im Allgemeinen einhergeht. Über die letzten Jahre haben neurobiologische  Befunde  eine  Erweiterung  unseres  Verständnisses für die multifaktoriellen Variablen, welche die Pathogenese, Symptomatik, Therapie, und Prognose dieser Erkrankung beeinflussen, erbracht.

Für die Therapie der unipolaren Depression stehen einige vielversprechende  medikamentöse  und  nicht  medikamentöse  Behandlungsoptionen  bereit,  welche  bei  adäquater Therapieplanung und -adhärenz zu einer guten Prognose führen. Neuere Therapieansätze wie Ketamininfusionen haben bereits ihren Weg in die Klinik gefunden, um die therapieresistente Depression zu behandeln, und können dazu beitragen, die sozioökonomische Belastung, welche durch diese Erkrankung  ausgelöst wird, einzudämmen.

Epidemiologie

Sechs neuropsychiatrische Erkrankungen (unipolare Depression, bipolare Störungen, Schizophrenie, Alzheimer, u.a.) machen ein Drittel der Belastung durch einzelne Erkrankungen in Form von DALYs (Disability Adjusted Life Years) aus. Diese Maßzahl kombiniert die mit einer Behinderung gelebte und die durch den vorzeitigen Tod verlorene Lebenszeit. Sie erfasst somit die  Beeinträchtigung des  normalen,  beschwerdefreien  Lebens  durch  eine Krankheit und misst die Bedeutung der Krankheit in der Gesellschaft.

Laut WHO betrugen die DALYs 2012 für unipolare Depression 2,8 Prozent des Gesamtprozentsatzes (mentale und Verhaltensstörungen 7,3 Prozent). Im Vergleich dazu betrugen die DALYs für ischämische Herzerkrankungen sechs  Prozent, HIV/AIDS 3,3 Prozent und Alzheimer und anderen Demenzen 0,7 Prozent des Gesamtprozentsatzes. Angesichts der Years Lived with Disability (YLD) liegt die unipolare Depression auf Platz zwei   unter allen Gründen für die mit einer Krankheit gelebten Lebensjahre. Im Jahr 2030 wird die unipolare Depression voraussichtlich diese Liste anführen. Laut der „Global Burden of Disease“-Studie liegt die unipolare Depression an vierter Stelle der globalen Gesamtlast.

Die unipolare Depression hat eine Lebenszeitprävalenz von 16,1 Prozent, sie tritt häufiger bei Frauen als bei Männern auf (Verhältnis ca. 2:1). Mindestens zehn Prozent der Patienten, die sich in der Primärversorgung vorstellen, leiden unter einer Form der Depression. Unbehandelt dauert eine depressive Episode sechs Monate oder mehr, im Falle einer adäquaten Behandlung ist die Prognose gut, in 20 bis 30 Prozent der Fälle besteht eine inkomplette Remission mit anhaltenden Symptomen. Die Depression ist mit einer hohen Morbidität und Mortalität vergesellschaftet, nicht nur wegen der damit einhergehenden hohen Suizidrate (2,2 bis acht Prozent der Patienten mit einer affektiven Störung).

Patienten haben eine 40 bis 60 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, vorzeitig an unbehandelten,  vernachlässigten  Gesundheitsbeschwerden (wie Krebs,  kardiovaskuläre  Erkrankungen, Diabetes oder HIV-Infektion) zu versterben. Um die sozioökonomische Belastung zu reduzieren und  eine  adäquate  Behandlung  zu  ermöglichen, sind ein grundlegendes Verständnis der pathogenetischen Mechanismen der unipolaren Depression bzw. genaue Diagnosekriterien vonnöten. 

Neurobiologie/Pathophysiologie

Die Ätiologie der Depression ist bekanntermaßen multifaktoriell. In dieses bio-psycho-soziale  Modell  fließen sowohl eine neurobiologische Prädisposition als auch erworbene Faktoren sowie auslösende Lebensereignisse und chronische Belastung ein. Diese können sowohl den Anfang als auch den Verlauf der Erkrankung beeinflussen.  Genetische,  molekulare  und  Bildgebungsstudien tragen kontinuierlich zu einem besseren Verständnis der neurobiologischen Grundlagen der unipolaren Depression bei. Jahrzehnte von neurobiologischen Studien weisen darauf hin, dass die Pathogenese der Depression mit einem Monoaminmangel einhergeht.

Die für die Entstehung der Depression  relevanten  Monoamine  sind  primär  Serotonin,  Noradrenalin,  und  Dopamin.  Die  Relevanz  des Serotoninmangels in der Entstehung depressiver Symptomatik wird unter anderem durch die klinische Effektivität von SSRIs, welche den Serotonintransporter (SERT) blockieren und somit zu einem Anstieg des Serotoninspiegels im Gehirn führen, gezeigt. Die klinische Effektivität von serotonergen  Antidepressiva  lässt  in  einem  Umkehrschluss annehmen, dass der Serotoninmangel an der Pathogenese der Depression von großer Relevanz ist. Mittels Tryptophandepletionsstudien kann ein Serotoninmangel durch orale Zufuhr von Tryptophan-armen Aminosäurelösungen erzeugt werden.

Abb1

Nachdem solch ein pharmakologisch induzierter Serotoninmangel ebenfalls depressive Symptome auslöst, werden diese Studien als weiteres Indiz für die Serotoninmangelhypothese der Depression gesehen. Depletion von Katecholaminen führt ebenfalls zu depressiven Symptomen. Interessanterweise führt die Depletion von Katecholaminen im Vergleich zur Tryptophandepletion vermehrt zu Antriebslosigkeit, was die unterschiedli- che Relevanz der verschiedenen Neurotransmittersysteme für verschiedene Symptomgruppen der  Depression betont. Das dopaminerge System dürfte vor allem durch seine Rolle in der neuronalen  Verarbeitung von Belohnung für die Pathogenese der Depression von Relevanz sein. Weiters zeigt sich zunehmend die Relevanz des glutamatergen Systems für die Pathogenese der Depression, unterstrichen durch die Wirksamkeit glutamaterger Antidepressiva wie Ketamin.

Molekulare Bildgebungsstudien, zum Beispiel die Positronenemissiontomographie (PET), zeigen ebenfalls Veränderungen bei verschiedenen molekularen Komponenten dieser  Neurotransmittersysteme. Die eindeutigsten Ergebnisse wurden im serotonergen System gezeigt. In Bezug auf das Serotoninsystem wurden eine verminderte SERT-Expression  gezeigt.  Weiters  wurde  eine  erhöhte Dichte an Monoaminooxidase A (MAO-A), das für den Abbau von Serotonin hauptverantwortliche Enzym, mittels  PET  dargestellt.  Studien  zu anderen serotonergen Molekülen, wie zum Beispiel 5-HT1A, der wichtigste inhibitorische Serotoninrezeptor, der einen Teil des Wirkmechanismus der SSRIs darstellt, sind allerdings eher inkonsistent. Genetische Studienergebnisse unterstreichen die multifaktorielle  Pathogenese depressiver Störungsbilder.  

Bisher wurden nur wenige einzelne Gene als mögliche Ursachen mit größerer Effektstärke identifiziert. Das im Kontext der unipolaren Depression am besten untersuchte Gen ist der 5-HTTLPR, welcher für den SERT kodiert. Bei dem 5-HTTLPR sind drei Polymorphismen bekannt, LA und LG, die „langen“ Allele, und S, das „kurze“ Allel, die mit einem unterschiedlichen Risiko für depressive Störungsbilder einhergehen. Polymorphismen sind genetische Varianten, die von mindestens einem Prozent der Allgemeinbevölkerung getragen werden. Träger des S-Allels zeigen ein erhöhtes Risiko für Depression. Der 5-HTTLPR geht mit einer unterschiedlichen SERT-Expression einher.

Aufgrund der multifaktoriellen Genese der Depression und der damit einhergehenden klinischen und neurobiologischen Varianz zeigen Einzelgene wie dieses eine unzureichende Sensitivität und Spezifizität, um als Einzelvariable in der Diagnostik der Depression klinisch anwendbar zu sein. Neben Polymorphismen können auch epigenetische Veränderungen oder Mechanismen, welche die Transkription gewisser Gene beeinflussen, die Expression gewisser Proteine  modulieren. Nachdem epigenetische Regulationsmechanismen  von  Umwelteinflussfaktoren  modifiziert werden, stellen  epigenetische Veränderungen eine mögliche  Brücke  zwischen  äußerlichen  Faktoren  und Neurobiologie dar.

Mindestens drei Kategorien peripherer Hormon-ähnlicher Faktoren werden in der Literatur beschrieben, welche auf die  Pathophysiologie der Depression Einfluss nehmen. Dazu zählen  neurotrophe Faktoren und andere Wachstumsfaktoren, wie z.B. Brain Derived Neurotrophic Factor (BDNF), proinflammatorische Zytokine, wie z.B. Interleukin-6, und eine eingeschränkte Regulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse. Einige dieser Systeme, insbesondere neurotrophe Wachstumsfaktoren und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse sind in ihrem Einfluss auf die Pathogenese der Depression eng verbunden.

Einerseits zeigten bereits frühe Studien, dass depressive Patienten in Bezug auf das Kortisolsystem eine gesteigerte Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse  aufweisen.  Bei depressiven Patienten wurde mittels Dexamethason-Tests gezeigt, dass die endogene Kortisolproduktion durch Gabe von exogenen Glukokortikoiden nicht suffizient  supprimiert  wird.  Ähnlich  wurde  eine  verminderte ACTH (Adrenocorticotropic-Hormone)-Ausschüttung nach Stimulation  mit  CRH  (Corticotropin-releasing-Hormone) sowie erhöhte Kortisolund CRH-Spiegel gezeigt. Es wurde ebenfalls gezeigt, dass hohe Kortisolspiegel mit reduzierten Spiegeln von neuronalen Wachstumsfaktoren wie BDNF  einhergehen.  

Eine  verminderte BDNF-Expression dürfte Störungen der Neurogenese mit sich  tragen, was zum Beispiel durch verringerte hippocampale Volumina, so wie es bei depressiven Patienten vorkommt, gezeigt wird. Diese Befunde stellen ein weiteres Erklärungsmodell für  die  Verbindung  zwischen  Umwelteinflussfaktoren, Neurobiologie und depressiven Störungen dar. Immunologische Studien sprechen für eine vermehrte systemische Inflammation bei depressiven Patienten, welches sich in den Spiegeln verschiedener  proinflammatorischer Zytokine  und  laborchemischen   Entzündungszeichen  wie Interleukin-1β, Interleukin-6, Tumor-Nekrosefaktor (TNF) und C-reaktives Protein (CRP)  widerspiegelt.

Diese vermehrte systemische Inflammation wird  als biologisches Korrelat von chronischem Stress gesehen, ist jedoch ein sehr unspezifischer Befund.  Bildgebungsstudien zeigen dysfunktionale neuronale Systeme  in  Patienten  mit  unipolarer  Depression,  welche Funktionen wie Emotionsverarbeitung, Emotionsregulation und Belohnung beinhalten. Diese Erkenntnisse zeigen  ein  Aufmerksamkeitsungleichgewicht  in  Richtung negativer  emotionaler  Stimuli,  weg  von  positiven  und Belohnungs-bezogenen Eindrücken. Studien zeigen auch eine Reduktion in der grauen Substanz in diesen Regionen (inklusive der Amygdala) und Post-mortem-Neuronenund Gliazell-Pathologien in  präfrontalen kortikalen Regionen.

Studien, welche sich mit Emotionsverarbeitung beschäftigen,  legen  eine  unregelmäßig   erhöhte  Topdown-Regulation der Amygdala durch den medialen präfrontalen Kortex nahe. Dies unterstreicht die Tendenz der Aufmerksamkeitsverschiebung weg von positiven Stimuli. Die oben beschriebenen systemischen, molekularen und neuronalen Veränderungen stellen nicht getrennte, alternative pathophysiologische Mechanismen dar, sondern höchstwahrscheinlich miteinander verbundene Prozesse. 

Diagnostik

Neben einem grundlegenden Verständnis der Pathomechanismen ist für eine adäquate Therapie eine gezielte Diagnostik  unerlässlich. Diese besteht, wie bei anderen somatischen Erkrankungen aus einer umfassenden biopsycho-sozialen Anamnese, mit der Erhebung der (somatischen) Komorbiditäten, chirurgischen und somatischen Vorbehandlungen, der Medikamentenanamnese und einer spezifischen psychiatrischen Anamnese (inkl. eines psychopathologischen Befundes).  Des Weiteren werden Faktoren wie Suchtmittelkonsum, aktuelle berufliche und soziale Situation (Belastungsfaktoren) sowie die wichtigsten Aspekte der (psychiatrisch-psychotherapeutischen) Vorgeschichte erhoben.

Die ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases  and  Related  Health  Problems)  zählt  zu  den wichtigsten  international anerkannten Diagnoseklassifikationssystemen der Medizin. Psychische und Verhaltensstörungen werden im Kapitel V in F00 bis F99 klassifiziert. Formen der Depression fallen unter F30–39, affektive Störungen, bzw. F43.2, depressive  Anpassungsstörung. Die Kernsymptome  der  Depression  werden  unterteilt  in Hauptsymptome und andere häufige  Symptome. Unter Hauptsymptome fällt gedrückte Stimmung, Interessen- bzw. Freudlosigkeit und Antriebsstörung und Müdigkeit.

Andere häufige Symptome sind verminderte Konzentration und Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Hemmung und Unruhe, Selbstbeschädigung, Suizid, Schlafstörung und Appetitminderung. Es müssen zwei bis drei Hauptsymptome und zwei bis vier andere Symptome für mindestens zwei Wochen vorhanden sein, um als depressive Phase diagnostiziert zu werden. Abhängig von der Ausprägung der Symptomatik spricht man von einer leichten, mittelschweren oder schweren  depressiven Episode. Eine depressive  Episode  mit  psychotischen  Symptomen  kann auch vorkommen.

Häufig wird in der Psychiatrie und Psychotherapie auch das DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders),  herausgegeben von der American Psychiatric Association (APA), zur Diagnostik psychiatrischer Erkrankungen verwendet. Seit Mai 2013 gibt es die fünfte englische Auflage, die deutsche Übersetzung ist seit Dezember 2014 verfügbar.  Im  Unterschied zum DSM-IV gibt es in der überarbeiteten Ausgabe keine multiaxiale  Einteilung  der  psychiatrischen  Diagnosen  mehr.  Des Weiteren wurden dimensionale und störungsübergreifende Maße betont und neue Diagnosen eingeführt (z.B. prämenstruelle  dysphorische  Störung,  persistierende depressive Störung (Dysthymie und chronisch depressive Störung)).  

Die unipolare Depression erhielt die Zusatzkodierungen  „mit  gemischten  Merkmalen“  (with mixed features) und „mit Angst“ (with anxious distress); die Trauerreaktion (bereavement) wurde als Ausschlusskriterium aufgehoben. Es wurden auch  zahlreiche Zusatzkodierungen eingeführt, wie z.B. der Schweregrad der Erkrankung und Vollbzw. Teilremission. Weder die Kernkriterien der Symptomatik noch die Dauer von zwei Wochen wurden geändert. Kriterium A ist unverändert, ein klinisch signifikanter Stressor oder eine Beeinträchtigung  im  sozialen,  beruflichen  oder  einem  anderen wichtigen Lebensbereich wird nun im Kriterium B statt Kriterium C gelistet. Trotz dieser konstant überarbeiteten Kriterien, welche die Diagnostik einer Depression erleichtern sollten, zeigen Studien aus  England und Neuseeland, dass depressive und  Angstsymptome  immer  noch  unterdiagnostiziert werden.

Neben der Tatsache, dass psychiatrische Erkrankungen immer noch mit einer gewissen Stigmatisierung einhergehen, werden Symptome  einer Depression oder Angststörung in 30 Prozent der Fälle nicht durch den behandelnden Allgemeinarzt erkannt. Als Folge davon erhält nur eine Minderheit der Patienten (24 Prozent), welche Hilfe in der Primärversorgung sucht, eine Therapie (14 Prozent medikamentöse, fünf Prozent psychotherapeutische Hilfe und fünf Prozent beides). Je länger die Episode ohne spezifische Intervention anhält, desto schlechter ist die Prognose.

Maßnahmen, welche die Resilienz für zukünftige Episoden  steigern, sind wichtig als sekundäre Prävention. Ein Versuch, die Detektionsrate in der Primärversorgung zu erhöhen und eine adäquate Behandlung zu etablieren, stellt der WHO-Fragebogen zum Wohlbefinden dar. Eine Abklärung einer depressiven Symptomatik sollte eine somatische Untersuchung beinhalten, um mögliche internistische  oder  spezifisch  neurologische  Ursachen  der Symptomatik zu erkennen, sodass diese gegebenenfalls zeitgerecht und adäquat behandelt werden kann.

So wird neben einer neuronalen Bildgebung, am besten eine Magnetresonanztomographie (MRT) oder, bei MRT-Kontraindikationen oder fehlender Verfügbarkeit, eine Computertomographie,   eine   laborchemische   Untersuchung empfohlen, um neurologische, metabolische, infektiologische oder endokrinologische Ursachen einer depressiven Symptomatik auszuschließen. Neuropsychologische Skalen sind eine weitere hilfreiche Methode, um das Ausmaß der depressiven Symptomatik einzuschätzen.  Hier sind die Hamilton Rating Scale for Depression  (HAM-D),  das  Beck-Depressions-Inventar (BDI) und die  Montgomery–Åsberg Depression Rating Scale  (MADRS)  von  Bedeutung.  

Der  HAM-D  ist  eine Fremdbeurteilungsskala mit  einer Sensitivität von 86,4 Prozent und einer Spezifität von 92,2 Prozent und beinhaltet 17 Fragen (erweiterte Versionen enthalten 21 bzw. 24 Fragen). Durch die verschiedenen Versionen ist eine Angabe der verwendeten Version für die Auswertung vonnöten. Es gibt keinen normierten Cut-off-Wert, bei dem aus 17 Fragen bestehenden HAM-D wird ab 24 Punkten meist von einer schweren Depression gesprochen.

Therapie

Die Therapie einer unipolaren Depression benötigt eine Konzeptualisierung in eine akute, eine Erhaltungs- und eine   prophylaktische   (Langzeit-)Behandlung.   Dieses Schema ist in Übereinstimmung mit den Richtlinien der World  Federation  of  Societies  of  Biological  Psychiatry (WFSBP) und der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie   und   Biologische   Psychiatrie (ÖGPB). Vor der Behandlung sollte ein Therapieplan erstellt werden, basierend auf der Klinik des Patienten (psychotisch, ängstlich, agitiert, atypische Symptome), der Schwere der Erkrankung und der Suizidalität.

Abb2

Dies beinhaltet auch die Entscheidung zwischen einer ambulanten und einer stationären Behandlung. Milde depressive Phasen können, in enger Absprache mit dem Patienten, auch mittels Psychoedukation und Psychotherapie behandelt, und im Sinne einer „Watch  and wait“-Behandlung, mit regelmäßigen Kontrollterminen beim niedergelassenen Psychiater, weiterverfolgt werden. Wenn  möglich sollte auch die Medikamentenanamnese bzw. -historie in die Therapieentscheidung einfließen.

Die Behandlung der akuten Phase gilt dann als abgeschlossen, wenn der Patient asymptomatisch ist, also die Diagnosekriterien nicht mehr erfüllt sind und eine Wiedereingliederung in das psychosoziale bzw. berufliche Umfeld möglich ist. Eine Erhaltungstherapie hat den Sinn, eine Remission aufrechtzuerhalten und diese zu stabilisieren. Mit der prophylaktischen Behandlung soll ein Rezidiv verhindert und eine anhaltende soziale und berufliche Funktionsfähigkeit erreicht werden. 

Akute Behandlung

Die  Datenlage  für  die  Therapie  der  moderaten  und schweren Depression spricht klar für eine medikamentöse Behandlung, zum Beispiel mit SSRIs als First-line-Therapie. Mirtazapin, SNRIs und Tetrazyklika, Bupropion, Tianeptin und Agomelatin kommen hierfür ebenfalls infrage. Vortioxetin, welches neben einer Serotoninwiederaufnahmehemmung verschiedene serotonerge Rezeptoren  inklusive  5-HT1A und  5-HT3-Rezeptoren  beeinflusst, wurde vor Kurzem ebenfalls für die antidepressive Indikation zugelassen und auf den Markt gebracht. Trizyklische  Antidepressiva  (TCAs)  stellen  eher  die   Second-line-Therapie  dar.  

Weniger  Übereinstimmung  besteht  für  MAO-Inhibitoren.  Moclobemid,  ein reversibler MAO-Inhibitor, wird oft als First-line-Therapie gehandhabt, während andere – irreversible – MAO-Hemmer als Secondoder Third-line-Optionen bzw. als Optionen für  therapieresistente Depressionen verwendet werden. Diese Einstufung irreversibler MAO-Hemmer basiert weitgehend auf  deren Verträglichkeit, nachdem eine spezielle Tyrosin-arme Diät verlangt wird, um ein Serotoninsyndrom zu verhindern. SSRIs werden generell besser toleriert als TCAs und zeigen eine niedrigere Rate an Therapieabbrüchen. In Patienten mit psychotischer Symptomatik empfiehlt es sich, ein Antidepressivum mit einem Antipsychotikum zu kombinieren, anstatt lediglich eine Monotherapie mit nur einem der beiden durchzuführen.

Akut-suizidale Patienten bedürfen einer besonderen und gegebenenfalls stationären Behandlung. Mögliche alarmierende  Faktoren können dabei schlechte Impulskontrolle, Hoffnungslosigkeit, männliches Geschlecht zwischen 20 und 30 bzw. über 50 und vorherige Suizidversuche unter anderem sein. Es gibt keine schnell wirksame „antisuizidale“ Behandlung, außer die noch in der klinischen Untersuchung befindliche Ketamingabe. Benzodiazepine  können additiv zur antidepressiven Therapie einen kurzzeitigen Effekt haben, um die Suizidalität einzuschränken.

Evaluation des Therapieerfolges

Wie bereits erwähnt, sollten zur Therapieevaluation Skalen wie der HAM-D oder die MADRS hinzugezogen werden. Ein Ansprechen wird typischerweise als eine HAMD-Reduktion von 50 Prozent und eine Response als ≤7 Punkten auf der HAM-D-Skala definiert. Bevor jedoch eine Therapieänderung in Erwägung gezogen werden kann, sollten zuvor die Diagnose, die Behandlungsadhärenz bzw. die Plasmaspiegel der Medikation und die Pharmakokinetik bzw. Pharmakogenetik überprüft werden.

Eine therapeutische Arzneimittelkontrolle (therapeutic drug monitoring, TDM) kann Aufschlüsse  über  die  Behandlungscompliance  bzw.  den Metabolisierungs-„Typus“ des Patienten geben. Niedrige Plasmalevel können somit für ein Nichteinnehmen oder eine  schnelle  Verstoffwechselung  der  Medikamente sprechen. Die meisten antidepressiven und antipsychotischen Medikamente  werden  über  das  polymorphe  CytochromP450-System (CYP450) metabolisiert, eine große Gruppe an Isoenzymen in der Leber. CYP1A2, CYP2C19, CYP2D6 und CYP3A4 sind die wichtigsten für die Biotransformation psychotroper Medikamente.

CYP2D6 ist das Isoenzym, welches mehr als 30 in der Klinik verwendete Medikamente katalysiert, einschließlich der trizyklischen Antidepressiva, Opiate, Antiarrhythmika und  die meisten SSRIs. „Slow“-Metabolizer besitzen aufgrund eines genetischen Polymorphismus eine geringe bzw. keine Aktivität eines CYP450-Isoenzyms. Patienten mit diesem Genotyp sind anfällig, ungewünschte Arzneimittelwirkungen auf  empfohlene Dosierungen von z.B. TCAs zu entwickeln. Im Vergleich dazu benötigen „Ultra-rapid“-Metabolizer höhere Dosierungen eines Medikaments für eine adäquate  Therapie.  Diese  Phänotypen  könnten  somit auch übermäßige  Nebenwirkungen bzw. fehlende Verbesserung der Symptomatik erklären.

Therapieanpassung

Unabhängig von der Wahl des Antidepressivums sprechen 30 Prozent der depressiven Patienten auf die initiale Medikation  unzureichend an. Spricht ein Patient nicht auf die erste Therapie ausreichend an, wird von einem unzureichenden Ansprechen (inadequate response) gesprochen. Die Therapieresistenz (treatment resistant depression) wird als unzureichendes Ansprechen auf zwei Therapien definiert, während die therapierefraktäre Depression (treatment refractory depression) als ein ungenügendes Ansprechen auf mehrere Therapieoptionen, inklusive der Elektrokonvulsionstherapie, definiert wird.

Reicht eine Depression über mehr als zwei Jahre, wird von einer chronischen Depression gesprochen. Die chronische Depression wird je nach Ausprägung und Verlauf in die  Dysthymie (milde bis mittelschwere Symptomatik über >2 Jahren), die Double Depression (Dysthymie mit phasenweise zusätzlichen schweren depressiven Symptomen) und die rezidivierende depressive Störung ohne ausreichende Symptomverbesserung zwischen den Phasen unterteilt. Bisherige Therapieschemata empfehlen eine Anpassung der antidepressiven Therapie meist erst nach zwei bis vier Wochen. Rezente Studien weisen jedoch darauf hin, dass ein Nichtansprechen bereits nach zwei Wochen einen hohen negativ prädiktiven  Wert aufweist und eine Anpassung der antidepressiven Therapie bereits nach zwei Wochen erfolgen sollte.

Erst sollte eine Optimierung der bestehenden  Therapie  erfolgen,  durch  Maßnahmen  wie Dosissteigerung, Spiegelkontrolle und, wie oben beschrieben,  pharmakogenetische  Untersuchungen,  um  einen unzureichenden Medikamentenspiegel als Ursache der ungenügenden Wirkung auszuschließen. Als nächster Schritt wird eine Kombination zweier Medikamente, auch „Add-on-Therapie“ genannt, empfohlen. Bei der Add-on-Therapie kann einerseits eine Kombination zweier Antidepressiva oder eine Augmentation mit atypischen Antipsychotika (z.B. Quetiapin, Olanzapin, Aripiprazol), Lithium oder Schilddrüsenhormonen, erfolgen. Der höchste  Evidenzgrad besteht derzeit in einer Augmentation  mit  Quetiapin.  

Während  in  Österreich  nur Quetiapin unter den  atypischen Antipsychotika für die antidepressive Augmentation zugelassen ist, sind in den USA weiters Aripiprazol und Olanzapin in dieser Indikation zugelassen. Bei der Add-on-Therapie sollten die pharmakodynamischen  Eigenschaften  der  Substanzen  berücksichtigt werden (z.B. Rezeptoroder Transporterbindung), um eine komplementäre Wirkung zu ermöglichen und eine Potenzierung von Nebenwirkungen zu vermeiden. Eine Kombination der antidepressiven Medikation mit Psychotherapie bzw. mit nicht pharmakologischen biologisch fundierten Maßnahmen kann zu jedem Zeitpunkt erwogen werden. Ein Wechsel auf ein anderes Antidepressivum kann durch Faktoren wie Absetzphänomene zu einer initialen Symptomverschlechterung und zu einer Verzögerung des Therapieansprechens führen.

Allerdings wird ein Wechsel auf ein Antidepressivum einer anderen Klasse bei Auftreten von intolerablen Nebenwirkungen empfohlen. Die Ketamintherapie hat sich in den letzten Jahren als OffLabel-Therapie bei antidepressiver Therapieresistenz etabliert, mit Ansprechraten von bis zu 70 Prozent und einer antisuizidalen Wirkung. Die Wirkung hält allerdings nur wenige Tage an. Ketamin ist in den meisten Krankenhäusern durch den Gebrauch als Anästhetikum gut verfügbar, in der Anästhesie wird es in weitaus höheren Dosen gegeben als bei der Therapie der Depression.

Im Vergleich zu invasiveren Behandlungsmethoden wie der EKT erholen sich die Patienten innerhalb kürzester Zeit von den Nebenwirkungen. Ein Drittel der Patienten zeigt hämodynamische  Veränderungen  (Schwindel,  Schläfrigkeit,  verschwommenes Sehen), eine anästhetische Supervision ist nicht notwendig. Das initiale Ansprechen scheint das zukünftige Ansprechen vorherzusagen.  Langzeitdaten zur Verwendung als Antidepressivum zur Krisenintervention bzw. Behandlung der therapieresistenten Depression existieren noch nicht.

Bis jetzt gibt es noch keine etablierten Methoden, den antidepressiven Effekt von Ketamin zu verlängern. Die „Ketamin-Revolution“ hat die Entwicklung einiger anderer Behandlungsstrategien vorangetrieben, neue  Applikationsformen (intranasale, sublinguale oder orale Gaben) bzw. neue Medikamente, welche auf das glutamaterge  Neurotransmittersystem wirken, werden bereits in der Klinik auf ihre Wirksamkeit getestet. 

Nicht medikamentöse, biologische Maßnahmen

Zu den nicht pharmakologischen biologisch fundierten Maßnahmen zählen Elektrokonvulsionstherapie (EKT), Schlafentzugstherapie, Lichttherapie, Tiefe-Hirn-Stimulation und die Vagus-Nerv-Stimulation.  Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) beinhaltet einen elektrischen Stimulus, um einen therapeutischen GrandMal-Anfall auszulösen. Ihre Wirksamkeit bei depressiven Störungen ist mehrfach in klinischen Studien bewiesen worden. Sie zeigt eine 60bis 80-prozentige Remissionsrate, mit einem maximalen Ansprechen nach zwei bis vier Wochen.

Für Patienten, welche auf eine medikamentöse antidepressive Therapie nicht ansprachen, stellt die EKT eine Therapiealternative dar. Weiters kann die EKT bei Patienten mit schwerer depressiver Symptomatik mit psychotischen Symptomen oder ausgeprägter psychomotorischer  Verlangsamung  als  First-line-Therapie  erwogen werden. Die Rezidivrate ohne kontinuierliche ErhaltungsEKTs wird auf 40 Prozent geschätzt. Die Nebenwirkungen einer  EKT-Behandlung  sind  postiktale  Verwirrungszustände und eine retrograde bzw. anterograde Periode der Amnesie, welche sich nach einer kurzen Zeit legt. Obwohl die Therapie typischerweise im stationären Setting durchgeführt wird, steigt die Anzahl an ambulant durchgeführten Behandlungen aufgrund der vermehrten Anwendung von Erhaltungs-EKTs.  

Die Lichttherapie wird durch die WFSBP-Richtlinien als Option für die „seasonal affective disorder“ (SAD) empfohlen, welche in Österreich etwa drei Prozent der Allgemeinbevölkerung betreffen kann. Die Lampe sollte im besten Fall eine Stärke von mindestens 3.000 Lux haben und abhängig von der Lichtintensität für 30 bis 120min pro Tag, am besten morgens, verwendet werden. Lampen mit geringeren Stärken  können  auch  angewendet werden, hier ändert sich jedoch die empfohlene Dauer der Anwendung, zum Beispiel sollte eine Lampe mit einer Stärke von 2.500 Lux zwei Stunden täglich angewendet werden. Die Methode zeigt keine absolute Kontraindikationen.  

Die Schlafentzugstherapie (SET) ist, mit der Ketamintherapie die einzige Behandlung, die in ca. 60 Prozent der Fälle eine rasche Verbesserung der depressiven Symptomatik zeigt. Der Schlafentzug wird in Patienten verwendet, welche keine medikamentöse Behandlung erhalten, bzw. um ein Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie zu beschleunigen. Sie kann auch verwendet werden, um eine laufende  medikamentöse Therapie zu potenzieren. Das Ansprechen  ist  bei  Patienten  mit  tageszeitabhängigen Stimmungsschwankungen am höchsten. Diese Methode ist nicht invasiv, kostengünstig und wird von der Mehrzahl der Patienten gut toleriert.

Die meisten Patienten erleben ein Rezidiv nach einer Nacht, der antidepressive Effekt kann jedoch durch erneutes Durchführen repliziert werden. Eine Lichttherapie scheint den Effekt der (partiellen) Schlafentzugstherapie zu stabilisieren.  Mittels einer transkraniellen Magnetstimulation lassen sich kortikale Neurone nicht invasiv erregen. Für die transkraniellen Magnetstimulation konnte eine höhere antidepressive Effektivität gegenüber Placebo gezeigt werden.  

Die Vagusnervstimulation stimuliert das Gehirn direkt über den Nervus vagus. In der Theorie könnte eine Stimulation des Vagus-Nervs die Stimmung durch seine aszendierenden Projektionen zur Amygdala bzw. anderen limbischen Strukturen verbessern, welche bekanntermaßen Emotionen bzw. Stimmung beeinflussen. Die Vagusnervstimulation konnte nach einem Jahr bei ca. 20 bis 40 Prozent depressiver Patienten eine 50-prozentige Reduktion von depressiven Symptomen auslösen.  

Erhaltungstherapie und Langzeittherapie

Die Erhaltungstherapie sollte sofort nach der vollständigen Remission erfolgen und mindestens sechs Monate betragen. Prinzipiell sollte die Medikation in der Kombination und Dosierung, so wie sie zur Remission geführt hat, fortgeführt werden. Der Grundgedanke einer Langzeittherapie besteht in einer Wahrscheinlichkeitsreduktion eines Rückfalls nach symptomatischer Remission.

Bei Patienten mit mindestens drei Phasen in fünf Jahren oder Patienten mit mindestens zwei Phasen in fünf Jahren und zusätzlichen Risikofaktoren (zum Beispiel besonders schwerer Symptomatik inklusive Suizidalität, schlechtere Behandelbarkeit in der  Erhaltungstherapie,  kurzes  Intervall  zwischen  den Phasen, rasche Symptomentwicklung,  verminderte Arbeitsfähigkeit, Komorbiditäten  wie  Angsterkrankungen oder Substanzabhängigkeit, Double-Depression,  positiver Familienanamnese oder frühes (<40 Lebensjahr) oder spätes (>60 Lebensjahr) Erkrankungsalter), sollte die Erhaltungstherapie im Sinne einer Langzeittherapie fortgeführt werden.

Zusätzlich können als Stimmungsstabilisierer auch atypische Antipsychotika, worunter Quetiapin als besonders effektiv hervorzuheben ist, eingesetzt werden. In einer randomisierten Studie zeigte sich eine 66-prozentige Rückfallreduktion durch Quetiapin im Vergleich zu Placebo. Bei dieser Medikamentengruppe sollte der negative Effekt auf den  Metabolismus  (Gewichtszunahme)  bei  einer  Langzeittherapie beachtet werden. Eine kombinierte Antidepressivum-Lithium-Langzeittherapie scheint ebenfalls besser geeignet zu sein als eine Kombination aus Antidepressivum und Placebo.

Bei der Lithium-Langzeittherapie ist eine kontinuierliche vierteljährliche Kontrolle der Serumspiegel bzw. bei  Therapiebeginn oder bei älteren Patienten der Laborwerte (Schilddrüsenparameter, Nierenfunktion)  empfohlen.  Dadurch  sollen  vor  allem  zu niedrige bzw. zu hohe Serumspiegel früh erkannt werden, um Rückfälle bzw. unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden. Eine Erhaltungs-EKT wird für Patienten empfohlen, welche in der akuten Phase gut darauf angesprochen haben  und ansonsten einen therapieresistenten Verlauf zeigen.

Äußerste Vorsicht ist geboten bei der Reduktion bzw. dem Absetzen des Antidepressivums. Dies sollte nur in Rücksprache mit einem Facharzt und nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Eine kontrollierte fünfjährige Studie zeigte, dass  Patienten, welche für fünf Jahre eine Langzeittherapie erhielten, von dieser am meisten profitierten. Ungeachtet der Gründe für eine Beendigung der Therapie sollte der Patient über die Risiken eines Rückfalls bzw. die Warnsignale adäquat aufgeklärt werden. Um Absetzsymptome zu vermeiden, sollte die Langzeittherapie langsam (über vier bis sechs Monate) ausgeschlichen werden. Während dieser Zeit sollte der Patient engmaschig beobachtet werden. Die Beendigung einer antidepressiven Langzeittherapie hat bisher wenig wissenschaftliche Beachtung gefunden und beruht großteils auf Expertenmeinungen. 

Biomarker in der Psychiatrie

So wie in anderen Bereichen der Medizin werden auch in der Psychiatrie und bei der Depression Biomarker, also biologisch fundierte Korrelate für klinische Phänomene, gesucht. Derzeit steht kein Biomarker bei der Depression zur Verfügung, der eine  ausreichende Sensitivität und Spezifizität zeigt, um klinisch eine Anwendung zu finden. Allerdings stellen Auswertungsverfahren, die auf Mustererkennung basieren, zum Beispiel von Bildgebungsdaten, eine zukunftsträchtige Möglichkeit dar.

Ein weiterer, vielversprechender Ansatz bietet das Kombinieren von verschiedenen klinischen und neurobiologischen Faktoren, zum Beispiel genetischer Befunde. Es konnte außerdem gezeigt werden, dass verschiedene genetische Befunde die Neigung zu Nebenwirkungen beeinflussen. Zum Beispiel konnte eine Metaanalyse Assoziationen zwischen dem langen Allel des 5-HTTLPR-Gens und einem erhöhten Ansprechen auf SSRIs bzw. weniger Nebenwirkungen auf SSRIs und des Weiteren eine  Assoziation zwischen dem kurzen Allel des 5-HTTLPR-Gens und mehr Paroxetin-induzierte bzw. weniger  Mirtazapin-induzierte Nebenwirkungen aufzeigen. 

Zusammenfassung

Die unipolare Depression stellt weltweit eine große sozioökonomische Belastung dar. Nationale und internationale Gesundheitsorganisationen wie die WHO beschäftigen sich schon seit Längerem damit, diesem steigenden Bedarf an adäquater Versorgung im Sinne einer angemessenen  Diagnostik  und  Therapie  nachzukommen.  Neben den bereits etablierten antidepressiven medikamentösen und nicht medikamentösen Therapien, wie SSRIs, SNRIs, TCAs bzw. EKT und Schlafentzug, widmen sich zahlreiche Forschungsgruppen der Entwicklung und Prüfung neuartiger Behandlungsmethoden, wie der tiefen Gehirnstimulation bzw. Ketamin- und NMDA-Rezeptor-Modifikatoren, um die Bandbreite der antidepressiven Therapie zu erweitern.      

Lecture Board: Prim. Dr. Christa Radoš, Prim. Dr. Elmar Windhager

Ärztlicher Fortbildungsanbieter: Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Wien 

Fotos: Privat (3), MedUni Wien/Matern

Dr. Jakob Unterholzner, Dr. Marie Spies, Assoc.-Prof. Dr. Rupert Lanzenberger, o. Univ.-Prof. Dr. h.c. mult. Dr. Siegfried Kasper
Klinische Abteilung für Biologische Psychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Wien