Migräne ist eine häufige, unterdiagnostizierte, untertherapierte und chronisch rezidivierende Krankheit, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen kann. Eine gezielte Diagnostik und effiziente individualisierte Therapie sind daher unabdingbar und eine zentrale Aufgabe in der allgemeinmedizinischen wie fachärztlich neurologischen Versorgung. (CliniCum neuropsy 4/18)

Im jüngsten Bericht der WHO zur globalen Belastung durch Krankheiten (Global Burden of Disease Study) rangiert die Migräne unter mehr als 300 Krankheiten an siebenter Stelle und bei den unter 50-Jährigen sogar an dritter Stelle. Neben der individuellen Belastung hat Migräne erhebliche volkswirtschaftliche Auswirkungen, die für Europa mit jährlich 50 Milliarden Euro berechnet wurden.

Genetik und Pathophysiologie

In Anbetracht der Tatsache, dass Migräne oft familiär gehäuft auftritt, wird ein ursächlicher oder jedenfalls begünstigender genetischer Faktor postuliert. Für die seltene familiäre hemiplegische Migräne sind bereits mehrere Genloci bekannt. Für die häufigen Migräneformen, die Migräne ohne Aura und die Migräne mit Aura, wird eine multifaktorielle Vererbung angenommen. Es liegen zahlreiche Linkage- Studien, Studien zu Kandidatengenen und genomweite Assoziationsstudien vor, die Auffälligkeiten auf neuronaler, vaskulärer und hormonaler Ebene aufzeigen. Die pathophysiologischen Grundlagen der Migräne sind zwar noch nicht restlos geklärt, allerdings sind bereits viele Bausteine bekannt.

Es ist unbestritten, dass Migräne eine neuronal mediierte Erkrankung ist, bei der der Hirnstamm und, einer neueren Studie zufolge, auch der Hypothalamus eine wichtige Rolle spielen dürften. Als pathophysiologisches Korrelat der Migräneaura gilt die im Tierversuch bereits 1944 nachgewiesene Spreading Depression. Weiters ist gesichert, dass sich über Aktivierung des trigeminovaskulären Systems eine neurogene Entzündung im Bereich der Duragefäße entwickelt. Über Afferenzen des N. trigeminus werden vegetative Zentren sowie der Kortex aktiviert. Die früher als zentral erachtete Vasodilatation dürfte hingegen keine wesentliche Rolle spielen. Neurophysiologisch zeichnet sich Migräne durch eine geänderte Reizverarbeitung aus, wobei einer mangelnden Habituation eine maßgebliche Rolle zukommt. Während bei Gesunden wiederholte Stimulation z.B. mit einer Abnahme der Amplitude visuell evozierter Potenziale einhergeht, zeigen Migränebetroffene gleich bleibend hohe Amplituden.

Klinisches Korrelat der beeinträchtigten Reizverarbeitung sind Photo-, Phono- und Osmophobie, die nicht nur den Migränekopfschmerz begleiten, sondern auch als Vorboten einer Attacke und in der Abklingphase vorhanden sein können. Zudem werden bestimmte sensorische Reize oft auch interiktal als unangenehm empfunden oder als Auslöser einer Attacke beschrieben. Auf Rezeptorebene kommen den 5-HT1B- und 5-HT1DRezeptoren sowie dem Calcitonin-Gene-Related Peptide (CGRP) die größte Bedeutung zu. Die Entwicklung der Triptane als 5-HT1B/1D-Agonisten war ein Quantensprung in der Migränebehandlung. Der vasokonstriktive Effekt der Triptane verbietet jedoch den Einsatz u.a. bei koronarer Herzkrankheit, zerebralen Ischämien und arterieller Verschlusskrankheit. Mit monoklonalen Antikörpern gegen CGRP wird erstmals eine spezifisch für Migräne entwickelte Prophylaxe zur Verfügung stehen.

Prävalenz

Migräne betrifft 10–15 Prozent der Erwachsenen und 3–10 Prozent der Kinder, kommt bei Frauen 2,5- bis dreimal häufiger vor als bei Männern und zeigt ihren Erkrankungsgipfel zwischen dem 25. und 55. Lebensjahr. Der Stellenwert der Migräne unter den neurologischen Erkrankungen wird offensichtlich, wenn man diese Zahlen mit der Prävalenz anderer wichtiger neurologischer Erkrankung vergleicht. Epilepsie betrifft weniger als ein Prozent der Bevölkerung, M. Parkinson und Multiple Sklerose 0,5 bzw. 0,1 Prozent. Lediglich die Prävalenz von Demenzerkrankungen bei über 65-Jährigen erreicht mit knapp zehn Prozent die Größenordnung der Migräne.

Diagnose und Differenzialdiagnosen

Angesichts der großen Zahl von Patienten mit Migräne und anderen primären sowie nicht akut bedrohlichen sekundären Kopfschmerzen ist es wichtig, potenziell bedrohliche Kopfschmerzursachen rasch und adäquat abzuklären sowie spezifisch zu therapieren. Die Regel, dass eine sorgfältig erhobene Anamnese die Grundvoraussetzung für die Erstellung einer korrekten Diagnose ist, gilt für Kopfschmerz und Migräne in ganz besonderem Maß. Bei etwa 95 Prozent der Patienten mit dem Leitsymptom Kopfschmerz kann alleine mit Hilfe der Anamnese eine diagnostische Zuordnung getroffen werden. Ein Algorithmus zum Erkennen potenziell bedrohlicher Kopfschmerzen ist in Tabelle 1 dargestellt.

Migräne wird auf Basis der Anamnese und der klinischneurologischen Untersuchung diagnostiziert und bedarf keiner „routinemäßigen“ Zusatzdiagnostik. Zum Ausschluss einer zugrunde liegenden Erkrankung kann bei manchen Patienten eine kraniale CT- oder MRT-Untersuchung erforderlich sein. Es ist jedoch auch zu bedenken, dass eine Reihe von Ursachen migräneähnlicher Kopfschmerzen einer Routine-CT- oder Routine-MRT-Untersuchung entgehen können, wie zum Beispiel ein halbseitiger Kopfschmerz im Rahmen einer Dissektion der Arteria carotis interna oder der Arteria vertrebralis, Kopfschmerzen begleitet von Sehstörungen bei der idiopathischen intrakraniellen Drucksteigerung („Pseudotumor cerebri“) oder bei einer Arteriitis temporalis und Kopfschmerzen als Folge einer Sinusvenenthrombose. Bei typischer Migräne ist eine weiterführende apparative Diagnostik üblicherweise nicht erforderlich.

Die im Alltag wichtigste Differenzialdiagnose der Migräne ist der Kopfschmerz vom Spannungstyp (Tabelle 2). Gerade wenn Patienten prominente Nackenschmerzen oder eine Verspannung der Nackenmuskulatur beschreiben, wenn beidseitige Kopfschmerzen bestehen oder Übelkeit und Erbrechen verneint werden, besteht die Gefahr, dass die Fehldiagnose eines Spannungskopfschmerzes gestellt wird, obwohl eine Migräne vorliegt. Auch bei wiederkehrenden Kopfschmerzen, die wie ein Spannungskopfschmerz imponieren, aber auf Analgetika und nicht steroidale Antirheumatika nicht ausreichend ansprechen, sollte u.a. eine Migräne erwogen werden. Die Differenzialdiagnose zwischen Migräne und Spannungskopfschmerz kann auch dadurch erschwert werden, dass Kopfschmerzen entlang eines Kontinuums auftreten, an dessen einem Ende nicht beeinträchtigende Schmerzen ohne jegliche Begleiterscheinungen und an dessen anderem Ende schwerste Migräneattacken mit ausgeprägten Begleitsymptomen stehen.

Diese Unschärfe einer klaren Trennung von Migräne und Spannungskopfschmerz spiegelt sich auch in der Klassifikation der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft wider: Diese umfasst neben den definitiven Diagnosen „Migräne ohne Aura“ und „Migräne mit Aura“ auch die Diagnose „wahrscheinliche Migräne“, bei der eines der diagnostischen Kriterien nicht erfüllt ist. Vice versa gibt es neben dem definitiven auch einen wahrscheinlichen Spannungskopfschmerz. Zur besseren Zuordnung leistet ein diagnostisches Kopfschmerztagebuch unschätzbare Dienste. Die Fehldiagnose Spannungskopfschmerz hat für die Patientinnen und Patienten mit migräneartigen Kopfschmerzen die Konsequenz, dass potenziell wirksame migränespezifische Therapien unterbleiben. Eine weitere wesentliche Differenzialdiagnose der Migräne stellt sich durch übermäßigen Medikamentengebrauch dar, der sich bei der Mehrzahl der Patienten auf Basis einer Migräne entwickelt (Tabelle 3).

Modulierende Faktoren und Triggerfaktoren

Prinzipiell kann sich bei jedem Menschen eine Migräneattacke manifestieren. Das rezidivierende Auftreten von Attacken wird mit genetischer Disposition, modulierenden Faktoren und Triggerfaktoren in Zusammenhang gebracht. Modulierende Faktoren können endogen und exogen wirken. Unter den endogenen Faktoren kommt den weiblichen Geschlechtshormonen die größte Bedeutung zu (Tabelle 4). In den zwei Tagen vor der Menstruation sowie während der Menstruation ist das Migränerisiko beträchtlich erhöht. Als Ursache wird der physiologische Abfall des Östrogenspiegels vor Einsetzen der Menstruation angenommen. Unter den exogenen Faktoren werden besonders häufig meteorologische Einflüsse genannt, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass in kontrollierten Studien die Auswirkungen des Wetters auf die Migräne gering sind, große individuelle Unterschiede zeigen und nicht nur ungünstig, sondern auch günstig sein können. Triggerfaktoren, im engeren Sinne, führen definitionsgemäß durch Exposition oder „Entzug“ in engem zeitlichem Zusammenhang zu einer Attacke.

Die Liste potenzieller, in der Literatur erwähnter Migränetrigger ist unüberschaubar groß und erlaubt den Patienten kein adäquates Handeln. Lebensstilfragen wie einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr, regelmäßigen Mahlzeiten, Schlaf und Stress kommt auch aufgrund ihrer Beeinflussbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Unter den Nahrungs- und Genussmitteln sind Alkoholkonsum und Koffeinentzug als Kopfschmerztrigger am besten belegt. Andere Unverträglichkeiten sollten im Zweifelsfall kritisch überprüft werden. Kein Triggerfaktor löst obligatorisch bei allen Migränepatienten eine Attacke aus. Auch beim individuellen Patienten kann der Einfluss eines bestimmten Triggerfaktors erheblich variieren. Die verlässlichste Methode, Triggerfaktoren zu erfassen, ist die individuelle statistische Analyse prospektiver, in ein elektronisches Tagebuch eingetragener Daten.

Attackenfrequenz

Die Frequenz der Migräneattacken ist sehr variabel. Bei manchen Patienten ereignen sich nur wenige Anfälle pro Jahr, bei anderen mehrere Anfälle pro Monat. Treten Kopfschmerzen über mindestens drei Monate hinweg an mehr als 14 Tagen pro Monat auf und sind die Kopfschmerzen an mindestens acht Tagen migräneartig, liegt definitionsgemäß eine chronische Migräne vor, die häufig mit einem übermäßigen Gebrauch von Analgetika oder Triptanen assoziiert ist.

Vorbotensymptome

Bei bis zu 60 Prozent der Patienten treten in den Stunden oder Tagen vor einer Migräneattacke Vorboten auf, die den bald einsetzenden Migräneanfall ankündigen. Meistens handelt es sich dabei um psychovegetative Funktionsstörungen wie innere Unruhe, Getriebenheit, erhöhte Reizbarkeit, Müdigkeit, Gähnen, Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen, depressive Verstimmung, Verspannung der Nackenmuskulatur oder Heißhunger.

Migräne ohne Aura

Die Migräne ohne Aura (Tabelle 5) ist die bei Weitem häufigste Manifestationsform einer Migräne. Meistens (aber keineswegs immer) werden einseitige oder einseitig betonte Schmerzen wahrgenommen. Das Schmerzmaximum liegt oft fronto-temporal und orbital, es können aber auch okzipito-nuchale Schmerzen vorkommen. Die Schmerzintensität ist mäßiggradig bis stark. Besonders hervorzuheben sind der pochende, klopfende bzw. pulsierende Charakter wie auch die Zunahme der Schmerzen im Zusammenhang mit körperlichen Routineaktivitäten. Begleitet werden die Kopfschmerzen stets von weiteren Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Überempfindlichkeit gegenüber Licht, Lärm und Gerüchen sowie fakultativ auch zahlreichen anderen Beschwerden, wie Ruhebedürfnis, Schläfrigkeit, Konzentrationsstörungen, Flüssigkeitsretention, Polyurie, Obstipation, Frösteln, Schwitzen, Augenrötung, Augentränen oder eine verstopfte Nase, die in unterschiedlicher Ausprägung vorkommen können.

Als Ausdruck einer zentralen Sensibilisierung kann sich während einer Migräneattacke eine Allodynie entwickeln, sodass eine Berührung im Kopfbereich oder das Kämmen der Haare als schmerzhaft empfunden wird. Die Dauer der Kopfschmerzen variiert zwischen einigen Stunden und drei Tagen. Bei einem Teil der Patientinnen ist die Migräneattacke mit dem Abklingen der Kopfschmerzen allerdings noch nicht beendet, da in einer meistens stundenlang anhaltenden Abklingphase noch Erschöpfung, Abgeschlagenheit, Müdigkeit oder der Wunsch nach Rückzug bestehen.

Migräne mit Aura

Etwa 15 bis 20 Prozent aller Patienten mit Migräne leiden an einer Migräne mit Aura, die dadurch gekennzeichnet ist, dass es – in zeitlichem Zusammenhang mit Kopfschmerzen – zu passageren fokalen zerebralen Funktionsstörungen kommt, die im Kortex des Großhirns oder Hirnstamm lokalisiert werden können. Meistens entwickelt sich die neurologische Herdsymptomatik innerhalb eines Zeitraumes von 5 bis 20 Minuten, innerhalb von höchstens 60 Minuten kommt es zu einer spontanen Remission. Falls es zur Manifestation mehrerer Herdsymptome kommt, treten diese üblicherweise nicht gleichzeitig, sondern zeitlich versetzt auf. Am häufigsten sind homonyme visuelle Aurasymptome (z.B. Gesichtsfeldeinschränkungen). Zweithäufigstes Aurasymptom sind einseitige Sensibilitätsstörungen, die oft den Arm und/oder Anteile des Gesichts (Lippen, Zunge, Gaumen, Wange) betreffen. Falls die dominante Hemisphäre betroffen ist, kann es zu einer (expressiven) Sprachstörung kommen. Die Kopfschmerzen setzen während oder innerhalb von 60 Minuten nach Remission der Aurasymptome ein und können migräneartig oder nicht migräneartig sein. Zudem kann eine Migräneaura isoliert, ohne nachfolgende Kopfschmerzen auftreten, meist bei Patienten die auch eine typische Migräne mit Aura haben.

Therapie

Bei der Migränebehandlung unterscheidet man grundsätzlich zwischen der Therapie der akuten Attacke und der Prophylaxe, wobei jeweils medikamentöse und nicht medikamentöse Maßnahmen zur Verfügung stehen. Unabdingbar ist es, die Patienten über ihre Erkrankung und deren Therapie aufzuklären und ausführlich zu beraten. Dazu gehören auch das frühzeitige Erkennen einer drohenden Attacke und das Herausfinden von Vorboten und Auslösern. Die Therapie muss individuell erfolgen und den spezifischen Bedürfnissen des Patienten gerecht werden. Nicht zuletzt sind Komorbiditäten zu erfassen, um Synergieeffekte zu nützen und Kontraindikationen entsprechend zu beachten. Regelmäßige Kontrollen und das Führen eines Kopfschmerz- Tagebuches sind unerlässlich.

Akuttherapie. Unterstützende nicht medikamentöse Maßnahmen sind Reizabschirmung (z.B. Rückzug in ein ruhiges, dunkles Zimmer), Schlaf (sofern möglich), die Applikation eines Kryogelkissens oder das Aufbringen von kalten Umschlägen auf Stirn und/oder Nacken; im Einzelfall hilft auch eine Tasse Kaffee oder Tee. Behandlungsziel der medikamentösen Therapie ist eine Rückkehr zur üblichen Aktivität innerhalb von zwei Stunden. Ärztliche Empfehlungen zur Akuttherapie erfordern eine genaue Analyse der bisherigen Erfahrungen des Patienten. Die Therapie sollte zum optimalen Zeitpunkt erfolgen, üblicherweise sobald der Patient erkennt, dass sich eine Migräneatacke entwickelt. Die Dosis muss ausreichend hoch sein, die Verabreichungsform den individuellen Bedürfnissen entsprechen.

Orale Medikation wird bevorzugt bei Attacken, die sich langsam entwickeln. Bei Attacken, im Rahmen derer sich rasch heftige Kopfschmerzen entwickeln oder die Patienten aus dem Nachtschlaf geweckt werden, kann z.B. die Verwendung eines Nasensprays zweckmäßiger sein. Leicht- bis mittelgradige Kopfschmerzattacken werden primär mit Analgetika oder nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) behandelt. Medikamente der ersten Wahl sind Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Diclofenac. Als Mittel der zweiten Wahl gelten Ketoprofen, Metamizol und Paracetamol, als Mittel der dritten Wahl Mefenaminsäure, Naproxen und Piroxicam (Tabelle 6). Prinzipiell besteht bei allen Mitteln zur Akuttherapie der Migräne das Risiko eines Kopfschmerzes durch übermäßigen Medikamentengebrauch. Deshalb ist zu beachten, dass die Medikation zur Kupierung der Attacken an weniger als zehn Tagen pro Monat eingenommen wird. Falls mit den oben angeführten Maßnahmen keine ausreichende Attackenkontrolle erreicht wird oder die mangelnde Wirksamkeit schon bekannt ist, werden Triptane eingesetzt.

Triptane sind selektive Agonisten an den Serotonin- 1B- und -1D-Rezeptoren (5-HT1B/1D-Agonisten). In Österreich sind folgende Triptane in der Grünen Box erhältlich: Eletriptan, Frovatriptan, Sumatriptan, Zolmitriptan. Zudem sind Naratriptan und Rizatriptan zugelassen (Tabelle 7). Auch Triptane sollten so früh als möglich im Verlauf der Migräneattacke eingesetzt werden. Ein relativ häufig beobachtbares Phänomen ist das Wiederauftreten einer zunächst erfolgreich behandelten Attacke innerhalb von 24 Stunden. Mögliche therapeutische Strategien sind die Umstellung auf ein Triptan mit längerer Halbwertszeit, die additive Gabe eines nicht steroidalen Antirheumatikums mit längerer Halbwertszeit, wie z.B. Naproxen oder – unter Beachtung der Kumulativgrenzen – eine zusätzliche Triptan-Dosis. Über mögliche Nebenwirkungen der Triptane (insbesondere über ein Hitze-, Spannungs- oder Druckgefühl im Nacken, im Kopf oder in der Brust) sollten die Patienten aufgeklärt werden. Die Kontraindikationen (koronare Herzkrankheit, unklarer Thoraxschmerz, Schlaganfall, arterielle Verschlusskrankheit, M. Raynaud, unkontrollierte arterielle Hypertonie und gehäufte vaskuläre Risikofaktoren) sind strikt zu beachten.

Sprechen Übelkeit und Erbrechen auf NSAR oder Triptane nicht ausreichend an, können zusätzlich Antiemetika verordnet werden. Erweisen sich Metoclopramid und Domperidon als unwirksam, kann Ondansetron zum Einsatz kommen, das in der Indikation Migräne allerdings nicht zugelassen ist. Bei prolongierten Attacken bzw. einem Status migraenosus ist üblicherweise eine parenterale Medikamentengabe erforderlich, wobei 6mg Sumatriptan subcutan, 1g Acetylsalicylsäure, 1–2,5g Metamizol oder NSAR per infusionem verabreicht werden können, gegebenenfalls kombiniert mit einem Antiemetikum. In Einzelfällen kann die zusätzliche Gabe eines Tranquilizers (z.B. Diazepam) zweckmäßig sein.

Prophylaxe. Das Erkennen und der richtige Umgang mit Triggerfaktoren stehen an erster Stelle der vorbeugenden Maßnahmen. Bei der Erfassung von modulierenden und auslösenden Faktoren ist ein individueller Zugang erforderlich, wobei hormonellen Einflüssen, v.a. der Menstruation, die größte Bedeutung zukommt. Die Strategien, die im Umgang mit Triggerfaktoren zur Verfügung stehen, umfassen Lebensstilmodifikation, Entspannunsgtechniken, gezielte Vermeidung von Triggern, gegebenenfalls aber auch bewusste Exposition und pharmakologische Maßnahmen, z.B. bei menstrueller Migräne oder Schlafstörungen. Die Vermeidung bestimmter Nahrungs- und Genussmittel (z.B. Alkohol oder Käse) ist nur sinnvoll, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang mit Migräneattacken nachweisbar ist.

Eine medikamentöse Prophylaxe ist indiziert, wenn die Durchschnittsfrequenz der Migräneattacken drei pro Monat überschreitet oder die Attacken auf die Akutmedikation ungenügend ansprechen. Ziel ist es, die Attackenfrequenz um mindestens 50 Prozent zu reduzieren. Auch zur Evaluation der Effizienz der Prophylaxe ist das Führen eines Kopfschmerz-Kalenders unerlässlich. Die medikamentöse Prophylaxe sollte in ausreichender Dosierung über mindestens sechs Monate fortgeführt werden, sofern keine limitierenden Nebenwirkungen auftreten. Gemeinsam ist allen etablierten Substanzen, dass der Wirkungseintritt erst nach drei bis sechs Wochen zu erwarten ist und somit der allfällige Effekt erst nach dieser Zeit abschätzbar wird. Eine genaue Information der Patienten über den zu erwartenden Erfolg sowie mögliche Nebenwirkungen ist unabdingbar.

Mittel der ersten Wahl zur medikamentösen Prophylaxe sind die Betablocker Propranolol und Metoprolol, der Kalziumkanalblocker Flunarizin sowie die Antiepileptika Topiramat und mit Einschränkung Valproinsäure (Tabelle 8). Bei allen Präparaten ist auf eine langsame Dosissteigerung zu achten, um das Nebenwirkungsrisiko zu minimieren. Zudem müssen begleitende Erkrankungen im Hinblick auf potenzielle Nebenwirkungen wie auch Synergieeffekte erfasst werden. So sind beispielsweise Betablocker bei Patienten mit arterieller Hypertonie oder tachykarder Herzrhythmusstörung besonders geeignet, bei Vorliegen eines Asthma bronchiale oder bei Leistungssportlern hingegen kontraindiziert. Unter den Prophylaktika der zweiten Wahl ist Amitriptylin hervorzuheben (initial 10–25mg zwei Stunden vor dem Zu-Bett-Gehen, Zieldosis 25–75 (150)mg), das sich insbesondere bei Komorbidität von Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp bzw. Schlafstörung und Depression bewährt.

T8

In der Behandlung der chronischen Migräne erwiesen sich Topiramat und Onabotulinumtoxin A in randomisierten kontrollierten Studien als wirksam. Bei der menstruationsgebundenen Migräne besteht die Möglichkeit einer Kurzzeit-Prophylaxe über etwa sechs Tage, wenn die Attackentherapie aufgrund heftiger oder lange anhaltender Kopfschmerzen nicht ausreichend ist. Aufgrund ihrer langen Halbwertszeit sind Naproxen und Frovatriptan am besten geeignet. Weiters können in Zusammenarbeit mit dem Gynäkologen hormonelle Therapieoptionen (z.B. Östrogen-hältige Pflaster) überlegt werden. Für Patienten, die eine tägliche Medikamenteneinnahme nicht wünschen, stehen Mutterkraut, Riboflavin (400mg pro Tag), Coenzym Q 10 (300mg pro Tag) und Magnesium (600mg pro Tag) zur Verfügung.

Unter den nicht medikamentösen prophylaktischen Maßnahmen haben Ausdauersport, Akupunktur, Entspannungstraining, Biofeedback und Verhaltenstherapie die größte Bedeutung. Eine maßgebliche Erweiterung der medikamentösen Migräneprophylaxe ist mit der Einführung von monoklonalen Antikörpern gegen CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) zu erwarten. Als erstes Präparat ist in Österreich seit 1. September 2018 Erenumab zur Prophylaxe der Migräne bei Erwachsenen mit vier oder mehr Migränetagen pro Monat erhältlich und primär für den Einsatz bei Patienten vorgesehen, die auf etablierte Medikamente nicht ansprechen. Drei weitere CGRP-Antikörper, nämlich Fremanezumab, Galcanezumab, Eptinezumab, werden derzeit in randomisierten kontrollierten Studien untersucht.

Update aus CliniCum neuropsy 2014; 2:30–35

Lecture Board: Dr. Anita Lechner, OÄ Dr. Gabriele Sixt

Ärztlicher Fortbildungsanbieter: Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Graz

Literatur beim Autor

Univ.-Prof. Dr. Christian Wöber
Leiter des Spezialbereiches Kopfschmerz, Universitätsklinik für Neurologie, Wien,
E-Mail: christian.woeber@meduniwien.ac.at