Das Internet bietet ein nahezu unendliches Angebot an Informationsvermittlung und ist auch im Kommunikationsbereich mit Mail und Social Networks ein immer wichtigeres Medium für immer mehr Menschen. Da viele Bedürfnisse im Internet scheinbar rasch und unkompliziert befriedigt werden können, entwickeln immer mehr Nutzer Abhängigkeitssymptome im Umgang mit diesem Medium.

Internetsucht beziehungsweise das pathologische Online-Sein bezeichnet jene nicht stoffgebundene Abhängigkeit, die sich durch Toleranzentwicklung (immer längere Zeit, die dem Medium gewidmet wird), Kontrollverlust (bleibt länger vor dem Medium als ursprünglich geplant), Entzugssymptome (Gereiztheit, Schlaflosigkeit, Aggression) und eine Fokussierung auf das Suchtmittel (in diesem Fall der PC) auszeichnet. Obwohl hier Suchtkriterien wie bei anderen, stoffgebundenen Süchten diagnostiziert werden können, wird die Internetabhängigkeit sowohl im DSM-IV (Saß et al., 2003) und DSM-5 (APA, 2013) als auch im ICD-10 (Dilling et al., 1991) nicht den Suchterkrankungen, sondern den Impulskontrollstörungen zugeordnet. Diese Einordnung scheint aus klinischer Sicht jedoch keinesfalls ausreichend, und ein Einbeziehen der suchtspezifischen Kriterien ist in Zukunft sicher notwendig.

Wahrscheinlich hat keine andere psychische Störung in ihrem Auftreten in den letzten Jahren so zugenommen wie die Internetsucht. Natürlich primär bedingt durch die rasante technische Entwicklung und die massiv wachsende Verbreitung des Mediums Internet. Die Internetnutzung der Östereicher ab 14 Jahren, die zumindest einmal wöchentlich das Medium nutzen, ist von neun Prozent im Jahr 1996 auf 73 Prozent im Jahr 2009 gestiegen ist (vgl. Integral. 2009). In naher Zukunft wird das Internet wahrscheinlich in jedem Haushalt zum technischen Standard gehören wie der Fernseher oder die Glühbirne. Jedoch bietet das Internet Besonderheiten wie ein nahezu unendliches Angebot an Informationen in allen Themenbereichen als auch die Möglichkeit, rasch und anonym über Chats, Social Networks oder Online-Spiele mit anderen Leuten in Kontakt zu kommen. Wie in diesem Artikel beschrieben, können diese Angebote jedoch auch exzessiven Konsum fördern oder auch eine Abhängigkeit vom Medium Internet verursachen. Eine relativ neue Studie zur Prävalenz der Internetsucht von Batthyany (2009) zeigt bei 14-jährigen Schülern bei 2,7 Prozent ein abhängiges und bei 9,6 Prozent ein gefährdetes Verhalten.

Internetsuchtentwicklung

Eine mögliche Suchtentwicklung verläuft in der Regel schleichend, ein angepasstes oder ein problematisches Verhalten lässt sich anfänglich auch vom nahen sozialen Umfeld nur schwer unterscheiden (vgl. Wölfling und Müller, 2008), zu sehr ist der Internetgebrauch in unseren Alltag integriert. Bei einer Entwicklung in Richtung Abhängigkeit rückt die Nutzung des Mediums immer mehr in das Zentrum des Interesses, andere Lebensbereiche wie Beziehungen, Hobbys oder auch Ausbildung und Beruf werden vernachlässigt oder sogar abgebrochen. Die Onlinewelt wird zur einzigen Lebenswelt, in welcher die Betroffenen kommunizieren, interagieren und positive Gefühle (wie z.B. Erfolgserlebnisse, Zugehörigkeit etc.) erleben. Auf der anderen Seite erleben sie das Leben außerhalb der virtuellen Welten oftmals als belastend und unbefriedigend. Dieses Wechselspiel der positiven Empfindungen in Zusammenhang mit den Onlineaktivitäten und den negativen Empfindungen in der realen Welt stellt sowohl einen relevanten Aspekt der Suchtentwicklung als auch der Aufrechterhaltung der Sucht dar.

Der fortgeschrittene Rückzug aus allen anderen Lebensbereichen wird dann in weiterer Folge vom sozialen Umfeld der Betroffenen als Erstes wahrgenommen und entsprechend rückgemeldet. Die Krankheitseinsicht bei den Betroffenen selbst erfolgt in der Regel meistens zu einem viel späteren Zeitpunkt, wodurch sie in Diskussionen mit ihrem Umfeld in eine Abwehrposition gedrängt werden, welche durch Bagatellisierungen, Verleugnungen und Rückzug zum Ausdruck kommt. Ein spiralenförmiger Kreislauf entsteht, der von Betroffenen und auch deren sozialen Umfeld immer schwieriger durchbrochen werden kann. Erklärungsmodelle zur Suchtentwicklung gehen zu einem Großteil von einem sogenannten multifaktoriellen Suchtdreieck aus. Zum einen sind gewisse Vulnerabilitätsfaktoren (geringes Leistungsmotiv, Neurotizismus, Introversion) innerhalb der Person ausschlaggebend (Wölfling und Müller, 2009).

Weiter sind Wirksamkeit, Verfügbarkeit und gesellschaftliche Akzeptanz sowie der Einfluss des sozialen Umfelds von großer Bedeutung für die Entwicklung dieser Suchterkrankung (Bastine, 1999; Paar et al., 1999). Ob ein ambulantes oder stationäres Setting zur Behandlung geeignet ist, hängt vom Schweregrad der Störung und der Motivation des Patienten ab. Wichtig ist, dass in diesem speziellen Fall der Abhängigkeit nicht mit vollkommener Abstinenz gearbeitet werden kann, da es gesellschaftlich so gut wie unmöglich ist, vollständig auf das Medium Computer zu verzichten. Vielmehr geht es um das Erlernen eines adäquaten Umgangs mit dem Suchtmittel sowie der Vermittlung sinnvoller Alternativen zur Verbesserung der Lebensqualität.

Nutzungsbereiche

Da, wie eingangs erwähnt, das Internet nahezu alle Bedürfnisbereiche der Nutzer abdeckt, ist prinzipiell eine Suchtentwicklung in allen Gebieten möglich. Die meisten Personen, die Abhängigkeitskriterien entwickeln, finden wir beim Online-Gaming sowie im Kommunikationsbereich. Gemeint ist hier der zentrale Punkt der Kontaktaufnahme, Kommunikation und Interaktion, verbunden mit den Vorteilen, die das Medium Internet mit sich bringt, nämlich der Anonymität und der überall jederzeit möglichen Verfügbarkeit. Gefördert wird dies noch mit dem rasant wachsenden Angebot mobiler Internetverbindung durch Smart Phones. Somit kann heute jeder jederzeit und an jedem Ort (soweit er nicht gerade im Flugzeug sitzt, und selbst dort wird gerade die Möglichkeit, Internet zu nutzen, ausgebaut), seinen Online-Interessen nachkommen.

In der Informationssuche, einem Hauptnutzungsgebiet des Internets, finden wir jedoch kaum Personen, die hier eine Abhängigkeit („Informations-Junkies“) entwickeln. Eine Besonderheit, weil eine relativ neue Entwicklung, stellen hier die Personen dar, die im Internet nach Krankheitssymptomen und deren möglicher Behandlung suchen. Diese Suche kann, bei bestimmten Voraussetzungen, jedoch relativ rasch zu psychischen Problemen führen, da Verunsicherung und Krankheitsängste durch die Recherche erst recht angefacht werden können. In den nachfolgenden Ausführungen möchten wir speziell auf die Themen „Cyberchondrie“ sowie auf die „Bedeutung von sozialen Netzwerken im Internet“ eingehen.

„Cyberchondrie“

Der Begriff Cyberchondrie wurde 2007 vom amerikanischen Psychiater Brian Fellon kreiert und bezeichnet einen pathologischen Zustand beim Menschen, bei dem hypochondrische Tendenzen durch Informationen aus dem Internet ausgelöst oder verstärkt werden. In seinen Studien zeigte sich, dass 90 Prozent der hypochondrisch veranlagten Menschen im Internet zu „Cyberchondern“ werden. Gefährdet ist hier, wer über mehrere Monate nicht von der Idee loskommt, krank zu sein, und täglich im Internet mehrere Stunden nach Erklärungen für Symptome sucht. Deutsche Studien zeigen, dass mehr als die Hälfte der Deutschen über ihre Krankheitssymptome im Internet nachforschen, bevor sie zum Arzt gehen. Beim, dann meist verspäteten, persönlichen Arztbesuch muss der Arzt oft mühsam das häufig falsche Vorwissen korrigieren, und so kann wertvolle Behandlungszeit verloren gehen.

Das Besondere am Internet ist, dass sich hier große Mengen an medizinischen Informationen finden; dass jedoch Angaben zu seltenen, aber oft bedrohlicheren Erkrankungen viel häufiger zu finden sind, als es ihrem Auftreten eigentlich entsprechen würde. Informationen sind auch oft ambivalent, so finden sich beruhigende und beängstigende Informationen auf unterschiedlichen Seiten. Dies löst schließlich, durch steigende Besorgnis, bei Suchenden weitere Recherchen aus, um wahrscheinlichere Erklärungen zu finden. In einer relativ rezenten amerikanischen Studie (White und Horvitz, 2010) wurde das Internetverhalten von 515 Personen untersucht, wobei sich zeigte, dass acht von zehn Amerikanern bereits im Web nach medizinischen Informationen gesucht haben und dass 75 Prozent diese Informationen nicht nach Glaubhaftigkeit der Quelle oder Aktualität überprüft haben.

Die Bedeutung sozialer Netzwerke im Internet

Online Social Networks erfreuen sich immer größerer Beliebtheit wie die rasant steigenden Wachstumsraten von Netzwerken wie Facebook oder Twitter beweisen (vgl. Computerwoche 4.11.2009). Dadurch wird die Frage evident, inwieweit sich die Nutzung dieser Angebote auf reale soziale Netzwerke auswirkt beziehungsweise ob und wie sich Kommunikationsformen dadurch verändern. Wirken sich virtuelle soziale Netzwerke positiv auf Beziehungspflege und Kontaktaufbau aus oder hemmen sie diese eher? Vermindert sich Face-to-Face-Kommunikation durch die unterschiedlichen Formen der computerunterstützten Kommunikation? (Kneidinger, 2010). Vorab ist hier zu erwähnen, dass es zwei Ansätze gibt, warum wir soziale Kontakte pflegen, erstens aufgrund von „Social needs“, zweitens aufgrund sogenannter „Social compensation“. Der Ansatz der „Social needs“ geht davon aus, dass Menschen Kontakte pflegen, um ihren Bedürfnissen nach Intimität, Selbstwertschätzung und Gesellschaft gerecht zu werden (Buhrmeister, 1996; Wolak et al., 2003).

Die „Social compensation“ geht von einem geringen Naheverhältnis zu Familienangehörigen aus, weshalb hier eher Kontakte gesucht werden, die außerhalb der Kontrolle von Angehörigen liegen (Mesch und Talmud, 2006). Beide Ansätze verdeutlichen die Relevanz von Online-Social-Networks zur Kontaktaufnahme und zum Beziehungsaufbau. Verschiedene Querschnittuntersuchungen konnten nicht klären, ob Menschen mit großem sozialem Netzwerk das Internet stärker nutzen oder ob das Internet zu einem größeren sozialen Netzwerk führt. Eindeutig wurde aber bewiesen, dass Internetnutzer grundsätzlich keineswegs sozial isoliert sind, sondern eine relativ aktive soziale Gruppe darstellen (Franzen, 2000). Auch scheint es so, dass soziale Netzwerke vor allem bei der Aufrechterhaltung und Pflege alter Kontakte von bedeutender Relevanz sind (Steinfield et al., 2008). Weiter ist es denkbar, dass über Online- Social-Networks Hilfeleistungen oder Trost von Personen gespendet werden kann, die im realen Leben nicht oder nur selten greifbar sind. Online-Social-Networks zeichnen sich vor allem durch bequeme Kommunikationsmöglichkeiten (z.B. Chat oder Statusmeldungen) aus. Es können persönliche Vorlieben und Aktivitäten schnell und einfach mit anderen geteilt werden (Fotos, Links, …), was den Kommunikationsfluss enorm erleichtert. Kontakte im virtuellen Bereich fördern auch die Kontaktaufnahme im realen Leben (bereitstellen von Telefonnummer, E-Mail, …) (Kneidinger, 2010).

Was zeichnet nun aber virtuelle Gemeinschaften aus?
„Virtuelle Gemeinschaften sind soziale Zusammenschlüsse, die im Netz entstehen, wenn genug Leute diese öffentlichen Diskussionen lange genug führen und dabei ihre Gefühle einbringen, sodass im Cyberspace ein Geflecht persönlicher Beziehungen entsteht“ (Rheingold, 1994). „Virtual communities sind hoch dynamische Gebilde, die binnen kürzester Zeit Konventionen ausbilden, reproduzieren, herausfordern und transformieren“ (Deterding, 2009). Im Vergleich zu realen Gemeinschaften, die eine relativ stabile Einheit mit vielen eher kurzen überlappenden Kommunikationspunkten darstellt, präsentiert sich die virtuelle Gemeinschaft eher als loser Zusammenschluss von verschiedenen Menschen, die sich jederzeit wieder auflösen kann (van Dijk, 1999). Online-Social-Networks sind aber nicht klassische virtuelle Gemeinschaften, sondern befinden sich eher zwischen realen sozialen Netzwerken und online geknüpften Kontakten (Kneidinger, 2010).

Welche Netzwerke gibt es im virtuellen Raum?
Im virtuellen Raum lassen sich sogenannte „Personal Communities“, in denen das Individuum im Mittelpunkt steht und die meist durch bilaterale Beziehungen gekennzeichnet sind, von sogenannten „Group Communities“ unterscheiden, in denen sich ein ursprünglich gemeinsames Sachinteresse zu einem gegenseitigen Personeninteresse entwickelt. Weiter lassen sich noch „virtuelle Gemeinschaften“, deren Kennzeichen multilaterale, regelmäßige, zeitlich stabile Kommunikationsformen (vgl. Fremuth und Tasch, 2002) sind, von „virtuellen Gruppen“ differenzieren, die sich durch feste Mitgliedsregeln und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit (vgl. Thiedeke, 2003; Wellmann, 1996) auszeichnen.

Online-Social-Networks beinhalten mehrere Funktionalitätsgruppen:
Das Identitätsmanagement gibt die Möglichkeit zur Selbstdarstellung, während die Expertensuche eher auf Wissenssuche und Nutzung des Mediums ausgerichtet ist. Die „Kontextawareness“ dient dem Herstellen eines gemeinsamen Kontexts und Vertrauensaufbaus, wohingegen das Kontaktmanagement der Pflege sozialer Kontakte dient. Schlussendlich ist die „Netzwerkawareness“ anzuführen, deren Zweck es ist, Information über Aktivitäten im Netzwerk zu sammeln; der gemeinsame Austausch über E-Mail, Chat oder Pinnwand steht hier im Vordergrund (Richter und Koch, 2008). Es gibt „Produzenten“, die Inhalte präsentieren und ihre Werke verbreiten wollen, im Vergleich mit den „Selbstdarstellern“, denen es primär um die Darstellung der eigenen Person geht. Den „spezifisch Interessierten“ geht es in erster Linie um die Kommunikation mit Gleichgesinnten, während die „Netzwerker“ an Austausch und Kontaktaufbau interessiert sind. „Profilierte Nutzer“ hingegen nutzen das Medium zur Selbstdarstellung, zum Kontakt mit anderen sowie um bestimmte Inhalte zu veröffentlichen; indes es bei „Kommunikatoren“ um einen rein kommunikativen Austausch über bestimmte Themen geht. Zu guter Letzt sind die „Infosucher“ rein an einem betrachtenden Aspekt interessiert und die „Unterhaltungssucher“ an Unterhaltungsaspekten im Internet (Gerhards, 2008).

Wie wirken sich virtuelle Gemeinschaften nun auf reale Netzwerke aus?
Es gibt keine klare Trennung zwischen realen und virtuellen Netzwerken, sondern es zeichnet sich eher eine Überlagerung beziehungsweise eine Verschmelzung ab. Neue Kommunikationsund Interaktionsformen gehören selbstverständlich zu unserer Kommunikation und ergänzen reale Kontakte eher (Wellman et al., 2006). „Für eine Analyse des Verhältnisses von sozialen Beziehungen im Netz und in der realen Welt ist festzuhalten, dass soziale Beziehungen im Netz eine neuartige Option für zusätzliche und hoch selektive – individuell spezifiziert adressierte – Kommunikation darstellen und darüber hinaus viele virtuell geknüpften und gepflegten Netzbeziehungen in bestehende soziale Netze von Nachbarschaften, Freunden, Vereinsmitgliedern, usw. eingebunden sind“ (Kardoff, 2006).

Park und Floyds (1996) fanden heraus, dass zwei Drittel der Nutzer persönliche Kontakte über das Internet knüpften. Außerdem gehen Frauen signifikant häufiger Bekanntschaften ein. Alter oder Beziehungsstatut waren unerheblich. Dauer und Häufigkeit von Onlinekontakten sind die besten Prädiktoren für die Entstehung von Bindungen über das Internet. Der Vorteil von sozialen Kontakten im Internet liegt laut Studien an dem Umstand, dass Menschen oft schneller und leichter bereit sind, persönliche Informationen zu offenbaren und damit zu einer stärkeren Nähe der Onlinekontakte führen (Mesch und Talmud, 2006). Kneidinger (2010) betont, dass Facebook eher von extrovertierten Menschen genutzt wird, die offen für neue Erfahrung und verträglich im Umgang mit anderen sind.

Im Gegensatz zur verbreiteten Meinung, dass Social Networks reale Kommunikation negativ beeinflusst, scheint es eher so, dass enge soziale Kontakte weiterhin real gepflegt werden, während sich die Pflege entfernter Bekanntschaften eher in die Social Networks verschiebt. Wenn allerdings Freundschaften sehr früh hauptsächlich online „gelebt“ werden, kann dies eine offene Kontaktaufnahme im realen Leben erschweren. Junge Menschen, die viele „Online-Freunde“ haben, haben wenig reale Freunde, dies im Gegensatz zu Erwachsenen, wenn sie viele „Online-Freundschaften“ haben, dies auch im realen Leben vorfinden. Bei der Internetsucht finden wir auch häufig komorbide Störungen, wie Drogenkonsum (38 Prozent), Affektstörungen (33 Prozent), Ängstlichkeit (19 Prozent) oder psychotische Störungen (14 Prozent). Über die Hälfte der befragten Personen erfüllen die Kriterien einer Persönlichkeitsstörung (52 Prozent), darunter am häufigsten die Borderline- Störung (24 Prozent) (Black et al., 1999; Shapira et al., 2000).

Therapie

Ein bedeutender Unterschied zu Therapiezielen bei anderen Suchterkrankungen ist, dass „Internetabstinenz“ nicht das Ziel einer Behandlung sein kann, da das Internet für ein soziales und auch berufliches Leben in unserer Gesellschaft in aller Regel nicht mehr wegzudenken ist. Hier muss der Betroffene einen kompetenten, verantwortungsbewussten Umgang mit dem Medium Internet erlernen. Besondere Bedeutung in der Behandlung Internetsüchtiger haben das Thematisieren und Anbieten alternativer Freizeitgestaltung, das Pflegen realer sozialer Kontakte sowie ein Erleben angenehmer Aspekte des „real life“. Übermäßig häufig ist bei den Betroffenen ein Defizit an Selbstwert und Selbstachtung zu finden, weshalb sie sich immer mehr in die virtuelle Welt flüchten, wo sie durch Kreationen sogenannter Avatare („second life character“) oder besonderes Engagement das Spielziel betreffend positive Bestätigung durch das virtuelle Netzwerk erhalten.

Den Suchtkranken neue Strategien positiven Selbstmanagements beziehungsweise Selbstwerterhöhung zu vermitteln spielt deshalb in der Therapie eine signifikante Rolle. Nicht zu unterschätzen ist auch der enorme soziale Druck, unter dem die großteils Jugendlichen stehen, der von anderen Mitgliedern der virtuellen Communities ausgeübt wird. Ein wichtiger Bestandteil therapeutischen Vorgehens ist daher, ihnen Strategien zu vermitteln, eigene Bedürfnisse adäquat auszudrücken und Grenzen zu setzen. Weiter besteht bei vielen Erkrankten eine Entwicklungsverzögerung, wodurch ein therapeutisch unterstützter Nachreifungsprozess unumgänglich scheint. Neben therapeutischen Gesprächen im Einzelsetting, um die Grundstörung zu behandeln, haben sich Gruppensettings als sehr nützlich erwiesen, da die Betroffenen ein Gefühl der Universalität bekommen und auch von den Erfahrungen der anderen profitieren können.

Unumgänglich ist es, auch etwaige komorbide Störungen möglichst früh zu diagnostizieren und zu behandeln, weil ohne Mitbehandlung die Gefahr eines Rückfalls um ein Vielfaches größer ist, da sich diese psychischen Erkrankungen gegenseitig verstärken können. Im Sinne eines mehrdimensionalen ressourcenorientierten Behandlungsmodells, das im Anton-Proksch-Institut vor allem im sogenannten „Orpheusmodell“ zum Tragen kommt, werden in einem ersten diagnostischen Schritt Stärken und Schwächen der Betroffenen ermittelt. Danach wird ein individueller Behandlungsplan erstellt, der sowohl physische (Physiotherapie, sportliche Aktivitäten wie Lauftraining, Nordic Walking oder auch Fitnesstraining), als auch psychische (gesprächsorientierte Kleingruppen, allgemeine Informationsgruppen, Entspannungstrainings, Genussgruppe, Kreativwerkstätte oder auch Mal- und Gestaltungstherapien sowie verschiedene Musiktherapieangebote) enthält. Weiters können auch Angebote wie philosophische Seminare sowie Kinotherapie besucht werden. Um eine möglichst langfristige Stabilisierung der erreichten Ziele auch nach dem stationären Aufenthalt zu gewährleisten, wird schon während der stationären Behandlung mit den Patienten ein umfassendes Weiterbetreuungskonzept erarbeitet (Poltrum et al., 2011).

Zusammenfassung

Die rasante Entwicklung und Verbreitung des Internets bietet immer mehr Nutzungsmöglichkeiten, die durchaus für die Gesellschaft positiv und unterstützend sein können. Allerdings kann dieses Angebot, bei bestimmten Personen, auch verführerisch wirksam werden und so ein Entgleiten in ein unkontrolliertes und schließlich abhängiges Verhalten auslösen. Im Gegensatz zu anderen Suchtformen kann die Abstinenz hier nicht ein therapeutisches Ziel sein, sondern es bedarf in der Zukunft über klassische Abstinenz-orientierte Therapieangebote hinausreichende Behandlungsmodelle, die dem Betroffenen einen mäßigen und auch kompetenten Umgang mit dem Suchtmedium Internet erlauben.

Durch die vielfältigen Behandlungsangebote, die durch die Etablierung des Orpheusmodells eingeführt wurden, geht unser Behandlungskonzept weg von einer defizit- hin zu einer ressourcenorientierten Sicht des Menschen als Individuum, das in seiner Gesamtheit mit viel Wertschätzung und Respekt den gesamten Weg von der ersten Kontaktaufnahme bis hin zur ambulanten Weiterbetreuung begleitet wird (Musalek, 2011).

Literatur bei den Autoren

Mag. Andrea Hofstätter, Prim. Dr. Roland Mader, Mag. Michael Peter und Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek
Anton-Proksch-Institut, Wien