Therapeutisches Drug Monitoring in der Kinder- und Jugendpsychiatrie leistet einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Pharmakovigilanz im Sinne der Qualitätssicherung der Pharmakotherapie durch die Etablierung alters- sowie indikationsspezifischer, therapeutischer Blutspiegelbereiche. Nachfolgend gehen wir auf die medizinischen, rechtlichen und ethischen Probleme der medikamentösen Therapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ein. Weiters werden die an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie laufenden Studien kurz vorgestellt.

Es liegt bereits mehr als ein Jahrhundert zurück, dass Abraham Jacobi, der Begründer der Kinderheilkunde in den USA, die Wichtigkeit einer altersentsprechenden Pharmakotherapie erkannte. Der Urvater des ersten Kinderkrankenhauses in Nordamerika brachte bereits damals die Problematik, vor der wir heute, mehr als 100 Jahre später, immer noch stehen, auf den Punkt, als er bekräftigte, dass Pädiater nicht kleine Männer und Frauen in kleineren Körpern mit der gleichen Erkrankung mit reduzierter Dosis behandeln können, sondern dass Kinder unabhängig von bei Erwachsenen gültigen Richtlinien medikamentös therapiert werden müssen (Mehler-Wex et al., 2009)
Altersabhängig unterliegen Absorption, Verteilung, Metabolismus und Exkretion jeder oral verabreichten psychotropen Substanz entwicklungsbedingten physiologischen Veränderungen, die damit zu Veränderungen der Pharmakokinetik (Einwirkung des Organismus auf ein Arzneimittel) führen. Dies beeinflusst, abhängig von der verabreichten Substanz, die Konzentration an den Zielstrukturen im Zentralnervensystem und damit auch die Wirkung und Effizienz der Therapie sowie die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Nebenwirkungen (Mehler-Wex et al., 2009).
Auch die Pharmakodynamik (Wirkung des Arzneimittels auf den Organismus) betreffend zeigen Kinder und Jugendliche entwicklungsbedingte und damit altersspezifische Unterschiede in Bezug auf die Plastizität des Gehirns. Synaptogenese (Bildung neuer Synapsen) und Synapsenelimination variieren hier ebenso wie die Neurotransmitter-Rezeptor-Dichte, die die Zielstruktur der meisten, im Kindes- und Jugendalter eingesetzten Psychopharmaka ist. Dies unterstreicht die Notwendigkeit altersspezifischer und damit der Entwicklung der kinder- und jugendpsychiatrischen Patienten angepassten Dosierungen von Psychopharmaka.
Auch das häufig unvorhersehbare Auftreten von UAWs (unerwünschte Arzneimittelwirkungen) bei Kindern und Jugendlichen sowie die schwierige Vorhersage der Dosis-Wirkungs-Beziehung sind auf die Tatsache zurückzuführen, dass Unterschiede im Vergleich zu Erwachsenen in Bezug auf anatomische, physiologische, psychologische und pathologische Besonderheiten bei dieser Patientengruppe bestehen (Gerlach et al., 2006).

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Rechtliche Grundlagen

Abgesehen von den bereits geschilderten Problemen in der Behandlung minderjähriger, nicht „erwachsener“ Patienten, stehen Kinder- und Jugendpsychiater nicht nur vor medizinischen, sondern auch vor ethischen und rechtlichen Problemen. Off-Label- Verschreibungen sind häufig die einzige ethisch vertretbare Möglichkeit, die besonders schützenswerte Gruppe minderjähriger, psychiatrisch erkrankter Patienten zufriedenstellend medikamentös zu therapieren (Kölch et al., 2009). Die Alternative dazu wäre oftmals, wie in den Leitlinien zum „Off-Label-Use“ von Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter beschrieben wird, gar nicht zu behandeln. Eine „Nichtbehandlung“ ist unethisch und gilt als Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht. Off-Label-Use bedeutet, dass Arzneimittel außerhalb ihrer Zulassung, das heißt, außerhalb der festgelegten Indikation, Darreichungsform, Dosierung oder Altersgruppe verabreicht werden. Diese „Zulassungsüberschreitung“ ist nach §49 Abs 1 ÄrzteG geboten, wenn sie medizinisch indiziert und therapeutisch notwendig ist. Besonders wichtig sind hierbei die umfassende Aufklärung, die lückenlose, schriftliche Dokumentation dieser Aufklärung und die Zustimmung der Patienten und dessen Obsorgeberechtigten zur Off-Label-Behandlung. Es besteht eine erhöhte Aufklärungspflicht, die sich aus einem erhöhten Informationsbedarf der Patienten ergibt. Die Aufklärung muss neben der Information über den Einsatz der Medikation außerhalb der Zulassung auch Information über zugelassene Alternativen, deren Vorund Nachteile und den Risiken geben. Außerdem muss eine patientengerechte Aufklärung über Nebenwirkungen, Wirksamkeit und Risiken des Medikaments sowie über die eingeschränkte Haftung des Herstellers erfolgen (ÖGKJP-Evaluierungskommission; Vesely, 2013).
Bei einer sehr geringen Auswahl an in Österreich für Minderjährige zugelassenen Antidepressiva und der überschaubaren Liste antipsychotisch wirksamer Substanzen (Tabelle 1, 2) stellt sich heute meist nicht mehr die Frage, ob off-label verschrieben wird, sondern vielmehr, welches der nicht für das Kindes- und Jugendalter zugelassenen Präparate die beste Wahl für das jeweilige Alter beziehungsweise das bestehende Krankheitsbild ist.

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Besonderheiten und Gründe

In der Pharmakotherapie psychisch erkrankter Erwachsener wird seit Langem Therapeutisches Drug Monitoring (TDM), das heißt Blutspiegelgeleitete Pharmakotherapie, zur individuellen Therapieoptimierung und damit individualisierten Psychopharmakotherapien genutzt (Hiemke und Saria, 2012). Weitere Gründe für TDM in der Erwachsenenpsychiatrie sind vor allem die „Dosisfindung“ bei verschiedenen Substanzen. Allen voran steht Lithium, welches mit seiner sehr engen therapeutischen Breite eine unbedingte Indikation zum Therapeutischen Drug Monitoring darstellt. Andere wichtige Indikationen für TDM (Tabelle 3), wie von der TDMGruppe der AGNP (Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie), sind in den Konsensus-Leitlinien von 2011 zusammengefasst. Hier wird auch die Notwendigkeit des Therapeutischen Drug Monitoring in der Kinder- und Jugendpsychiatrie betont (Hiemke et al., 2011). Vor allem die Tatsache, dass Off-Label-Verschreibungen, wie bereits erwähnt, unumgänglich sind und somit die Verabreichung von nicht für das Kindes- und Jugendalter oder für die entsprechende Erkrankung zugelassene Medikation verabreicht wird, unterstreichen die Wichtigkeit von TDM in diesem Fachgebiet. Die Studienlage ist diesbezüglich bislang für die meisten Substanzen sehr wenig konklusiv. Dosisfindungsstudien für Minderjährige sind kaum vorhanden, was erklärt, warum Daten über die altersentsprechende Dosierungen nicht zur Verfügung stehen (Bachinger et al., 2008).
Da die entsprechenden Studien im Kindes- und Jugendalter fehlen, ist TDM ein valides Werkzeug, um medikamentöse Therapien zu optimieren und eine individualisierte Psychopharmakotherapie zu gewährleisten. Adäquate Dosierungen sind nur möglich, wenn, wie bereits erwähnt, pharmakokinetische Parameter und die Entwicklung des Zentralnervensystems nicht außer Acht gelassen werden. Dosierungsempfehlungen für Erwachsene können nicht uneingeschränkt auf die Gruppe der Minderjährigen übertragen werden (Karwautz et al, 2011).

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Definition von TDM

Unter Therapeutischem Drug Monitoring versteht man die Dosierung eines Arzneimittels unter Beobachtung der klinischen Effekte sowie gleichzeitiger Messung und Kontrolle der Konzentrationen im Serum (Egberts et al., 2014). Therapeutische Bereiche sind für das Erwachsenenalter bereits für viele Psychopharmaka definiert worden, für das Kindes- und Jugendalter fehlen solche Daten für die meisten Substanzen. Informationen über Konzentrationen der Wirkstoffe im Blut, bei denen bei ausreichender Wirkung die Wahrscheinlichkeit für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAWs) gering sind, sind nur unzureichend vorhanden. Routinemäßig müssen dazu einige klinisch relevante Parameter erfasst werden (Tabelle 4).
Standardisierte, prospektive Studien für das Kindes- und Jugendalter fehlen weitgehend. Für einige wenige, wie zum Beispiel Quetiapin bei der Behandlung von psychotischen Kindern und Jugendlichen (Gerlach et al., 2007) oder für Risperidon in der Behandlung von impulsiv-aggressivem Verhalten (Klampfl et al., 2010), gibt es erste Werte. Für Sertralin wurden erste Ansätze für individuelle Dosierungen gefunden (Taurines et al., 2013). Hohe interindividuelle Unterschiede der Serumkonzentration bei gleicher Dosierung konnten für Fluoxetin nachgewiesen werden (Kölch et al., 2012). Auch der Einsatz von Clozapin bei Kindern und Jugendlichen wurde im Hinblick auf Zusammenhänge zwischen Plasmaspiegel, Dosierung, Alter, Geschlecht, Körpergewicht und das Verhältnis von Wirkstoff und Metabolit sowie den Einfluss von Rauchen untersucht (Couchman et al., 2013).

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Pharmakovigilanz

Im Jahr 2006/2007 kam es zur Einführung der „Paediatric Regulation“ für den Einsatz von Medizinprodukten bei Minderjährigen durch die EMA (Europäische Arzneimittelagentur), mit dem Ziel, Fördergelder für die Erforschung und Entwicklung sicherer und besserer Arzneimittel für Kinder und Jugendliche zur Verfügung zu stellen (Egberts et al., 2014). Vor allem in der täglichen Praxis, aber auch in klinischen Studien scheinen besonders aufgrund des Mangels einer ausreichenden Introspektionsfähigkeit bei Patienten mit Intelligenzminderung oder bei sehr jungen Kindern Berichte über UAWs nicht ausreichend und verlässlich genug zu sein, sodass TDM maßgeblich zur Verbesserung der Pharmakovigilanz beitragen kann.

Aktuelle Studien

Ein vom Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) in Deutschland gefördertes, multizentrisches epidemiologisches Forschungsprojekt zur Pharmakovigilanz bei Patienten im Kindes- und Jugendalter (Egberts et al., 2014), an dem neben Zentren in Deutschland und der Schweiz auch Zentren in Österreich teilnehmen, sammelt mithilfe einer Online-Datenbank schwerwiegende UAWs beim Off-Label-Einsatz von Antidepressiva sowie Neuroleptika bei Kindern und Jugendlichen. Zudem werden in ausgewählten Studienzentren (Universitäten Ulm und Würzburg, Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wien) auch UAWs dokumentiert, die bei der Therapie von ADHD mit Atomoxetin und Psychostimulanzien erhoben werden können. Ziel der observationalen, nicht interventionellen Studienprojekte, deren Grundlage das im Jahr 2007 unter maßgeblicher Beteiligung der Universitäten Ulm, Würzburg und Freiburg gegründete „Kompetenznetz Therapeutisches Drug Monitoring Kinder- und Jugendpsychiatrie“ (Kompetenznetz TDMKJP) ist, ist es, nicht nur alle auftretenden UAWs zu erfassen, sondern zusätzlich Risiken und Wirkungen des Off-Label-Einsatzes der genannten Substanzgruppen der Psychopharmaka zu dokumentieren. Dies ist wesentlich, um gesundheitliche Langzeitfolgen wie Invalidität oder sogar Todesfälle durch UAWs sowie die dadurch entstehenden verlängerten Behandlungen zu verhindern.
Alters- und entwicklungsabhängige therapeutische Breiten der Blutspiegel für Psychopharmaka unterstützen nicht nur bei der Findung der individuellen Dosierung sondern verbessern darüber hinaus die Effizienz jeder medikamentösen Therapie und minimieren dabei auch noch die Risiken für das Auftreten von UAWs (Mehler-Wex et al., 2009).

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Zusammenfassung & Ausblick

Die Universitätsklinik für Kinderund Jugendpsychiatrie in Wien hat in engem Kontakt mit dem Kompetenznetz TDM-KJP eine internationale Verbundstudie, „TDM-Vigil“ implementiert. Die Qualitätssicherung der individualisierten Behandlung aller minderjährigen, kinder- und jugendpsychiatrischen Patienten, sowie die Generierung einer umfassenden, multizentrischen Datenbank, die Erarbeitung von indikations- und altersspezifischen Dosierungsrichtlinien sowie die Etablierung von therapeutisch sinnvollen Blutspiegelbereichen sind die vorrangigen Ziele.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir in Anbetracht der nach wie vor schwierigen Situation der psychopharmakologischen Therapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie durch die intensive Mitarbeit im „Kompetenznetz TDM-KJP“ einen wichtigen Beitrag zur die Verbesserung der Pharmakovigilanz leisten konnten. Zudem hat die Evaluierungs- und Qualitätssicherungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie die hier geschilderte Problematik erkannt und mit der Erarbeitung und Veröffentlichung der „Leitline zum ,Off-Label-Use‘ von Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter“ einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der schwierigen Situation in Österreich geleistet.

Interessenkonflikte: Die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wien ist seit 2008 Mitglied des Kompetenznetzes TDMKJP. Univ.-Prof. Dr. Andreas Karwautz ist seit 2012 der 2. Vorsitzende des Vereins Kompetenznetz TDM-KJP. Ass.-Prof. Dr. Julia Huemer ist stellvertretende Leiterin der Studie TDMVIGIL in der KJP am AKH Wien.

Literatur bei den Autoren

Autoren: Dr. Michaela Mitterer-Asadi, Ass.-Prof. Dr. Julia Huemer, Dr. Nancy Gerges, Univ.-Prof. Dr. Andreas Karwautz
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Wien
E-Mail: michaela.mitterer-asadi@meduniwien.ac.at, andreas.karwautz@meduniwien.ac.at