2. ÖGPB Newsletter 2024
Ao. Univ.-Prof. DDr. Gabriele Sachs
Past-Präsidentin der ÖGPB
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Medizinische Universität Wien
Kongressbericht 35th CINP World Congress of Neuropsychopharmacology 2024
Es ist mir eine große Freude, Ihnen vom 35th CINP World Congress zu berichten, der dieses Jahr vom 23. bis 26. Mai in Tokio, Japan, stattgefunden hat (https://cinp2024.org).
Der CINP-Weltkongress für Neuropsychopharmakologie gilt weltweit als einer der wichtigsten und bedeutendsten jährlichen Kongresse für Neuropharmakologie, Psychiatrie und Neurowissenschaften. Diese internationale Plattform bietet die Möglichkeit, mit einem breiten internationalen Publikum zu kommunizieren, zu kooperieren und sich zu vernetzen.
Seit der Gründung des CINP in den 1950er-Jahren hat die Behandlung psychischer Störungen große Fortschritte gemacht. Die Fortschritte in den Neurowissenschaften, den molekularen Neurowissenschaften, der künstlichen Intelligenz und der modernen Arzneimittelforschung sollten klinisch genutzt werden. Durch eine starke translationale Ausrichtung unserer Tagungen und Netzwerkgruppen und durch die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Grundlagenforschern und Klinikern könnten diese stärker in die klinische Anwendung integriert werden.
Im Rahmen des 35th CINP World Congress of Neuropsychopharmacology wurden die neuesten Forschungsfortschritte und neue Behandlungsmethoden vorgestellt.
Mehr als 2.600 Experten aus über 50 Ländern nahmen an der diesjährigen Veranstaltung teil. Der Kongress umfasste Plenarvorträge, ausgewählte Symposien und Spotlight-Sitzungen, in denen führende Experten über die Gegenwart und Zukunft der Neuropsychopharmakologie diskutierten. Es war eine lebhafte und dynamische Veranstaltung mit über 700 Vorträgen und Postern von Forschern aus der ganzen Welt.
In der Folge werde ich Ihnen eine Auswahl von interessanten und innovativen Präsentationen vorstellen.
Aktuelle Herausforderungen und Möglichkeiten in der Forschung zur psychischen Gesundheit
Joshua A. Gordon, Direktor des National Institute of Mental Health
(NIMH), gab einen Überblick über die aktuellen Herausforderungen und Möglichkeiten in der Forschung zur psychischen Gesundheit. Das National Institute of Mental Health (NIMH) ist die führende US-Bundesbehörde für die Erforschung psychischer Störungen und hat den Auftrag, das Verständnis und die Behandlung psychischer Erkrankungen durch Grundlagen- und klinische Forschung zu verbessern und den Weg für Prävention, Genesung und Heilung zu ebnen.
Zukünftige Forschungsarbeiten werden sich laut Gordon auf die Bedeutung der Erstellung von Genprofilen mit hohem Risiko für psychische Erkrankungen, auf ein besseres Verständnis der Gehirnmechanismen, die psychischen Erkrankungen zugrunde liegen, und auf die Forschung im Bereich der Präzisionspsychiatrie konzentrieren.
Neue innovative Behandlungsmöglichkeiten für Schizophrenie
Die derzeit zugelassenen Medikamente zur Behandlung der Schizophrenie haben sich als wirksam erwiesen, dennoch besteht weiterhin ein medizinischer Bedarf für diese Patientengruppe. Mögliche neue Wirkmechanismen, die sich als innovativ und vielversprechend erweisen, wurden vorgestellt.
Gezielte Beeinflussung von Muskarinrezeptoren bei Schizophrenie
Dieser Ansatz konzentriert sich auf muskarinische Acetylcholin-Rezeptoren im Gehirn. In einer Phase-III-Studie konnte der Muskarinrezeptor-Agonist Xanomelin-Trospium sowohl Positiv- als auch Negativsymptome deutlich lindern. Dieser Rezeptor beeinflusst nicht die Dopaminrezeptoren. Vielmehr wirkt er agonistisch an den muskarinergen Acetylcholinrezeptoren M1 und M4. Diese Rezeptoren werden in spezifischen Hirnregionen exprimiert und scheinen bei Psychosen und kognitiven Störungen eine Rolle zu spielen. Daten zur langfristigen Sicherheit, Verträglichkeit und metabolischen Wirkung von Xanomelin-Trosium bei Schizophrenie über 52 Wochen zeigten günstige Ergebnisse.
Kognitive Störungen sind ein zentrales Merkmal der Schizophrenie
Ein weiteres Symposium befasste sich mit kognitiven Störungen bei Schizophrenie.
Kognitive Beeinträchtigungen sind ein zentrales Merkmal der Schizophrenie, das in der klinischen Praxis nicht ausreichend erkannt und mit den derzeit zugelassenen Medikamenten nicht ausreichend behandelt wird. Die Identifizierung und Messung kognitiver Beeinträchtigungen sind entscheidend in Hinblick auf das funktionelle Ergebnis. Valide, in mehrere Sprachen übersetzte und praxistaugliche Kurztestinstrumente, wie das Brief Assessment of Cognition in Schizophrenia (BACS), wurden vorgestellt. Neu ist die Anwendung digitaler Ansätze zur Erfassung von Verhaltensdaten in Echtzeit. Zur Messung der psychosozialen Funktionsfähigkeit wurde das Virtual Reality Functional Capacity Assessment Tool (VRFCAT) als Maß der Funktionsfähigkeit in Therapiestudien vorgestellt.
Das Wissen über die Pathophysiologie kognitiver Beeinträchtigungen bei Schizophrenie erstreckt sich über mehrere Erklärungsebenen, von Veränderungen in Neurotransmittersystemen bis hin zu Veränderungen der Netzwerkfunktionen des Gehirns und der synaptischen Plastizität.
Das Symposium gab einen Überblick über die Rolle der dopaminergen und glutamatergen Signalübertragung. Eine Hypofunktion von NMDA-Rezeptoren (NMDAR) ist an kognitiven Symptomen beteiligt und kann durch eine Erhöhung der synaptischen Glycinkonzentration verbessert werden.
Ein mögliches therapeutisches Ziel ist die Glycin-vermittelte NMDAR-Hypofunktion.
Im Rahmen des Symposiums wurde auch die aktuelle klinische Situation in Japan diskutiert. Obwohl es bisher keine zugelassenen pharmakologischen Behandlungen für kognitive Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit Schizophrenie gibt, hat die kognitive Therapie in Kombination mit anderen Rehabilitationsprogrammen moderate Auswirkungen auf die kognitiven und auch sozialen Funktionen gezeigt. In Japan werden verschiedene Arten der kognitiven Rehabilitation nach einem forschungsbasierten Ansatz durchgeführt, einschließlich der computergestützten Variante, die auf dem Modell „Thinking Skills for Work“ und dem „Neuropsychological Educational Approach to Remediation“ (NEAR) basiert.
Zur Neurokognition bei „major depressive disorder“ (MDD)
Die Auswirkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit auf die klinische Praxis wurden auch im Zusammenhang mit depressiven Störungen diskutiert. Es wurde die Notwendigkeit eines präzisionsmedizinischen Ansatzes für MDD mit Fokus auf die kognitive Funktion postuliert. Die neurobiologischen Mechanismen und die Genetik der kognitiven Funktion bei Major Depression wurden beschrieben.
Kognitive Dysfunktion und Depression scheinen eine gemeinsame neurobiologische Grundlage zu haben. Monoamine, Glutamat und GABA sind sowohl an der Depression als auch an der kognitiven Dysfunktion beteiligt.
Neuroinflammatorische und metabolische Veränderungen beeinflussen sowohl die Stimmung als auch die Kognition. Die Auswirkungen pharmakologischer und nichtpharmakologischer Behandlungen auf die kognitive Funktion bei Depressionen wurden dargestellt. Bestimmte Antidepressiva sowie multidimensionale kognitive Trainingsprogramme können die kognitive Funktion, die Emotionsverarbeitung und das funktionelle Outcome verbessern.
Cannabis, das Endocannabinoidsystem und affektive Störungen
Affektive Störungen und Suizidalität im Zusammenhang mit dem Einfluss von Cannabis und dem Endocannabinoidsystem wurden bisher nur in begrenztem Umfang erforscht.
Elektrophysiologische Experimente haben gezeigt, dass Cannabis direkt mit dem Serotoninsystem interagiert, einem zentralen Neurotransmittersystem zur Regulierung von Stimmung und Emotionen. Während Cannabiskonsum kurzzeitig die Serotoninaktivität steigert, was zu einer antidepressiv -ähnlichen Wirkung führen kann, führt langfristiger Konsum, insbesondere im Jugendalter, zu einer Verringerung der serotoninergen Aktivität. Groß angelegte epidemiologische Studien und Metaanalysen haben gezeigt, dass Cannabiskonsum in der Jugend das Risiko für depressive Störungen im jungen Erwachsenenalter erhöht, auch wenn keine Vorerkrankungen vorliegen. Darüber hinaus wurde ein erhöhtes Risiko für Suizidgedanken und -versuche bei Jugendlichen mit Cannabiskonsum in Verbindung gebracht.
Andererseits ist das Endocannabinoidsystem ein vielversprechender Ansatzpunkt für neue Medikamente gegen depressive Störungen. Es wurden Zusammenhänge zwischen Endocannabinoiden, Tryptophan/Kynurenin-Biomarkern und dem Schweregrad der Depression festgestellt, was auf eine Wechselwirkung zwischen Entzündung, Stress und Depression hindeutet.
Alkoholkonsumstörung: vom Konzept der Hyperkatepheia
Im Rahmen eines Plenarvortrages hat der Direktor des National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA), George F. Koob, die Alkoholmissbrauchsstörung als eine chronisch rezidivierende Störung beschrieben, die von einer motivationalen Dysregulation, einer negativen Verstärkung, herrührt. Das Konstrukt der negativen Verstärkung ist definiert als Alkoholkonsum, der einen negativen emotionalen Zustand oder eine Hyperkatepheia (Schmerzen, Hypohedonie, Dysphorie, Angst, Hyperalgesie, Reizbarkeit und Schlafstörungen) lindert, die durch Alkoholabstinenz nach übermäßigem Alkoholkonsum entsteht. (Der Begriff „Hyperkatepheia“ – auf Englisch: „hyperkatifeia“ – wurde ursprünglich benutzt, um die Überempfindlichkeit gegenüber emotionalen Belastungen im Zusammenhang mit dem Entzug von Opiaten zu beschreiben. Oft umfasst der Begriff auch die Hyperalgesie im gleichen Kontext. Analog wird der Begriff auch im Zusammenhang mit Alkohol verwendet.)
Beim Menschen und in Tiermodellen führt wiederholter Alkoholkonsum zu einer Hyperkatepheia, die sich in einer erhöhten Belohnungsschwelle, einer verringerten Schmerzschwelle sowie angst- und dysphorieähnlichen Reaktionen zeigt. Es wird angenommen, dass eine solche Hyperkatepheia, die zu negativer Verstärkung führt, auf eine Dysregulation wichtiger neurochemischer Schaltkreise innerhalb der Stresssysteme des Gehirns (Corticotropin-Releasing-Faktor, Dynorphin, Noradrenalin, Hypocretin, Vasopressin, Glukokortikoide und Neuroimmunfaktoren) und der Anti-Stress-Systeme des Gehirns (Neuropeptid Y, Endocannabinoide, Oxytocin) in der Amygdala zurückzuführen ist. Die Konzentration auf die Behandlung der Hyperkatepheia in Verbindung mit akutem Entzug und nachhaltiger Abstinenz eröffnet neue und interessante Ziele für die Behandlung von Alkoholkonsumstörungen.
Pharmakologie von Psychedelika
In einem Symposium gab das CINP Psychedelic Pharmacology Global Network (GNC) einen Überblick über den aktuellen Stand der präklinischen und klinischen Forschung zu den therapeutischen Wirkungen von Psychedelika.
Es wurde ein Überblick über die historische Klassifizierung von Psychedelika und halluzinogenen Substanzen und die Notwendigkeit einer umfassenderen modernen Klassifizierung gegeben. Anschließend wurde die klinische Evidenz für den therapeutischen Nutzen und die unerwünschten Wirkungen von Psychedelika diskutiert, insbesondere die Verwendung von Psilocybin bei depressiven Störungen.
Ziel war es, den translationalen Ansatz zu fördern, der notwendig ist, um weitere Erkenntnisse über die Mechanismen psychotroper Wirkungen zu gewinnen und Psychedelika möglicherweise in die klinische Praxis einzuführen.
Krankheitsmodifizierende Therapien für die Alzheimer-Demenz
Als sehr interessant und vielversprechend erweisen sich die jüngsten klinischen Studien zu krankheitsmodifizierenden Therapien (DMT) für die frühe Alzheimer-Krankheit (AD). Insbesondere diejenigen zu den Anti-Amyloid-β(Aβ)-Antikörpern haben positive Ergebnisse gezeigt und möglicherweise eine neue Ära der AD-Therapien eingeleitet. Longitudinale Beobachtungsstudien, wie sie von der AD Neuroimaging Initiative (ADNI) in Nordamerika und der ADNI in Japan durchgeführt worden sind, haben dazu beigetragen, DMT für eine sehr frühe Behandlung im prodromalen und präklinischen Stadium der Alzheimer-Krankheit zu beschreiben, indem sie den frühen natürlichen Verlauf der Alzheimer-Krankheit erfasst und die Entwicklung von Biomarkern erleichtert haben.
Der 36thCINP World Congress findet vom 15. bis 18. Juni 2025 in Melbourne, Australien, statt (https://cinp2025.org).
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