4. ÖGPB Newsletter 2025

em.o.Univ.Prof.Dr.hc.mult.Dr.med. Siegfried Kasper

em.o.Univ.Prof.Dr.hc.mult.Dr.med. Siegfried Kasper

Präsident-Stellvertreter der ÖGPB

Hirnfoschungszentrum
Abt. für Molekulare Neurowissenschaft
an der Medizinischen Universität Wien

Über den Wert von Metaanalysen in der ärztlichen Praxis

In letzter Zeit sind wieder Metaanalysen publiziert worden, die nicht so sehr in der wissenschaftlichen als in der Laienpresse breitere Erwähnung finden. Angeblich soll es auf Grund der sog. Umbrellaanalyse, diese ist eine Zusammenfassung von verschiedenen Metaanalysen, der Gruppe um Moncrief keinen Hinweis für eine Störung des serotonergen Systems bei Depressionen geben und daher auch die Gruppe der Antidepressiva, die auf den Serotonin-Transporter als primäre Eintrittspforte wirken, bei depressiven Patienten nicht gegeben werden (Kommentar dazu von: Kasper et al., 2021b). Interessanterweise haben jedoch sowohl die amerikanische als auch die Europäische Zulassungsbehörde (FDA: Food and Drug Administration; EMA: European Medicine Agency) diese Medikamente nach sorgfältiger Prüfung der Zulassungsstudien als wirksam bezeichnet, was sich in der Praxis auch widerspiegelt, indem dieser Wirkmechanismus, nach anfänglicher Skepsis (Kasper und Möller, 1995) einen erfolgreichen Einsatz bei über 90 Prozent der depressiven Patienten belegt.

Es ist fast die Regel, dass, wenn ein neues Psychopharmakon auf den Markt kommt, dessen Wirkung und damit der Nutzen durch verschiedene, meist unwissenschaftliche Medien angezweifelt wird. Interessanterweise besteht keine Parallele zu Antibiotika oder Medikamente gegen den hohen Blutdruck.  Um so verwunderlicher ist jedoch, dass namhafte wissenschaftliche Journale immer wieder entsprechende Arbeiten, die eine neu eingeführte Medikation in Frage stellen zur Publikation annehmen. Da die Qualität der Journale, auch im universitären Bereich, durch die Anzahl der Zitationen der einzelnen publizierten Arbeiten durch den sog. Impaktfaktor bewertet wird, werden Arbeiten, die eine hohe Wahrscheinlichkeit haben zitiert zu werden gerne, dh wenn man etwas dagegen schreibt und dadurch die Zitierwahrscheinlichkeit erhöht, angenommen. Die vor kurzem publizierte Metaanalyse von Fountoulakis et al (2025), welche die therapeutische Wertigkeit des vor ein paar Jahren eingeführten Medikaments Esketamin (SPRAVATO, SMPC 2025) in der intranasalen Anwendung in Frage stellt ist ein aktuelles Beispiel zu dieser Thematik. Diese in der renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift „American Journal of Psychiatry“ erschienene Arbeit verwendet jedoch Daten, die nach genauer Kenntnis der Datenlage nicht in die Analyse eingehen sollten, so zB Dosisfindungsstudien, unterschiedliche Studiendesigns, unterschiedliche Patientenpopulationen, unterschiedliche Dauer der Studien und Vermischung von primären und sekundären Endpunkten, um nur ein paar dieser wichtigen Kriterien zu erwähnen. Im Gegensatz dazu kann die Metaanalyse von Dold et al (2020) angesehen werden, die alle bei der FDA eingereichten Daten zur intranasalen Anwendung von Esketamin sowie bei der FDA eingereichten Daten zu den sog. atypischen Antipsychotika (Risperidon, Olanzapin, Aripiprazol, Brexpiprazol und Cariprazin) bei der Indikation therapieresistenten Depression (TRD) bzw bei ungenügendem Ansprechen auf eine antidepressive Therapie in die Berechnung eingeschlossen haben. Es wurde außer der genannten Selektion (dh: die bei der FDA eingereichten Daten) keine neue Selektion von Kriterien für den Einschluss in die Metaanalyse vorgenommen. Aus dieser Studie kann eindeutig abgelesen werden, dass die intranasale Anwendung von Esketamin der Gabe von sog. Antipsychotika überlegen ist, ein Ergebnis, das auch unabhängig davon von einer englischen Gruppe zur Darstellung kam (Carter et al., 2020).  Interessanterweise, ist bis jetzt von der EMA kein Medikament außer der intranasalen Anwendung von Esketamin für die Indikation TRD zugelassen. Quetiapin hatte aufgrund der vorliegenden Studien die Zulassung für ein ungenügendes Ansprechen auf Antidepressiva erhalten, was jedoch nicht der Definition der TRD entspricht (Bartova et al., 2019, Kasper et al., 2021a; McIntyre et al., 2023). Um die Rückerstattung sicherzustellen, wurde vom Hersteller auch eine Vergleichsstudie von intranasalem Esketamin und Quetiapin initiiert, die eine eindeutige Überlegenheit von intranasalem Esketamin bestätigte (Reif et al., 2023).

In der Arbeit von Fountoulakis et al (2025) werden auch die FDA und die EMA kritisiert, die angeblich bei der Beurteilung der individuellen Studien nicht korrekt gearbeitet hätten, da zB unterschiedliche statistische Auswertungen (MMRM, last observation carried forward) zur Anwendung kamen. Dabei wird jedoch vergessen, dass vor Beginn der Studie das Design den Zulassungsbehörden vorgelegt und nach Diskussionen mit dem Hersteller der neuen Medikation (im Fall der intranasalen Anwendung von Esketamin, Johnson & Johnson Innovative Medicine,  früher Fa Janssen) die jeweilige Auswertung a priori (dh vor Durchführung der Studie) akzeptiert wurde. Mit anderen Worten eine Firma würde nie eine kostspielige Studie durchführen, die aufgrund des Designs und der Statistik keine Aussicht auf Anerkennung durch die Zulassungsbehörde hat.  Dies entspricht auch einer soliden wissenschaftlichen Praxis, dass Kriterien der Auswertung vor der Durchführung der Studie festgelegt werden (pre-specified in the protocol) nach denen nach Abschluss der Studie dann die Auswertung erfolgt. Die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien (MUW), hat auch an zahlreichen dieser sog. Zulassungsstudien teilgenommen und die Protokolle sind von der Ethikkommission der MUW genehmigt worden.

Die intranasale Anwendung von Esketamin wurde aufgrund der vorgelegten Studien von der EMA und der FDA für die Indikation 1) Behandlungsresistente Depression (Treatment Resistant Depression, TRD) und 2) für die Reduktion der Depression bei suizidalen depressiven Patienten, die in der Produktbeschreibung als psychiatrische Notfälle bezeichnet werden, zugelassen. Wenn von den Autoren angezweifelt wird, dass sich die Suizidalität nicht isoliert von der Depression gebessert hat, ist dies klinisch vollkommen unverständlich, da sich selbstverständlich die Depression verbessert, wenn die Suizidalität zurück geht, eine klinische Weisheit, die auch in der Diskussion der Ergebnisse der Studie angeführt wird (Ionescu et al., 2021)

Diese oben geführte Diskussion verdeutlicht, dass die neue Medikation für unsere Patienten hilfreich sein muss und sich in der realen Welt behaupten muss, was zweifelsohne für intranasales Esketamin aufgrund der nun vorliegenden sog. Real World Data (RWD) und persönlicher Praxis von mir und den diese Therapie durchführenden ÄrztInnen belegt werden kann (Buchmayer und Kasper 2023). Natürlich ist es kein Wundermedikament, das bei jedem Patienten wirkt, aber bei etwa 60-70 Prozent kann dieser Erfolg verzeichnet werden. Wissenschaftlich wird auch verlangt und daran halten sich die Zulassungsbehörden, dass Randomisiert Controlled Trials (RCD) mit einer Placebo-bzw. einer Verum Vergleichsgruppe durchgeführt werden. Wenn das alles erfolgt ist, können auch Metaanalysen durchgeführt werden, die bei den Zulassungsbehörden jedoch kein Gewicht haben, da wie oben beschrieben, die in die Metaanalyse eingehenden Studien und die dabei angewandten Kriterien das Ergebnis bestimmen und mit dem einzelnen Patienten nur mehr wenig zu tun haben. Eine Metaanalyse von Metaanalysen, sog. Umbrella- Analysen könne evtl dazu herangezogen werden, um Subgruppen zu charakterisieren, die besonders gut oder schlecht auf die zu untersuchende Medikation ansprechen, aber diese Analysen sind nicht geeignet, das Ergebnis der Placebokontrollierten Studien zu widerlegen und auch nicht um die Erfahrung der in der Akutversorgung tätigen Ärztinnen und Ärzte anzuzweifeln,

Die Hierarchie des Erkenntnisgewinns wäre meiner Ansicht nach wie folgt festzulegen:

  1. Klinische Wirksamkeit in der Praxis (Real World Data, RWD)
  2. Placebokontrollierte Studien, die diese Wirksamkeit bestätigen
  3. Metaanalysen mit konsistenten Kriterien der eingeschlossenen Studien als mögliche Guidance zur Erforschung weitere Subgruppen und evtl Prädiktoren
  4. Umbrella-Analysen, dh Metaanalysen von Metaanalysen sind für die Praxis kaum zu verwerten, weil die unterschiedlichen Metanalysen nicht vergleichbar sind aufgrund der unterschiedlichen Kriterien

 

Referenzen

Bartova L, Dold M, Kautzky A, et al (2019) Results of the European Group for the Study of Resistant Depression (GSRD) — Basis for further research and clinical practice. World J Biol Psychiatry 20(6):427–448. doi:10.1080/15622975.2019.1635270

Buchmayer F, Kasper S (2023) Overcoming the myths of esketamine administration: different and not difficult. Front Psychiatry 14:1279657. doi: 10.3389/fpsyt.2023.1279657

Carter B, Strawbridge R, Husain MI, Jones BDM, Short R, Cleare AJ, Tsapekos D, Patrick F, Marwood L, Taylor RW, Mantingh T, de Angel V, Nikolova VL, Carvalho AF, Young AH (2020) Relative effectiveness of augmentation treatments for treatment-resistant depression: a systematic review and network meta-analysis. Int Rev Psychiatry 32(5–6):477–490. doi: 10.1080/09540261.2020.1765748

Dold M, Bartova L, Kasper S (2020) Treatment response of add-on esketamine nasal spray in resistant major depression in relation to add-on second-generation antipsychotic treatment. Int J Neuropsychopharmacol 23:440–445. doi: 10.1093/ijnp/pyaa040

Fountoulakis KN, Saitis A, Schatzberg AF (2025) Esketamine treatment for depression in adults: a PRISMA systematic review and meta-analysis. Am J Psychiatry 182(3):259-275. doi: 10.1176/appi.ajp.20240515

Ionescu, D. F., Fu, D. J., Qiu, X., Lane, R., Lim, P., Kasper, S., Hough, D., Drevets, W. C., Manji, H., & Canuso, C. M. (2021). Esketamine Nasal Spray for Rapid Reduction of Depressive Symptoms in Patients With Major Depressive Disorder Who Have Active Suicide Ideation With Intent: Results of a Phase 3, Double-Blind, Randomized Study (ASPIRE II). The international journal of neuropsychopharmacology, 24(1), 22–31. https://doi.org/10.1093/ijnp/pyaa068

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Spravato (esketamine) Summary of Product Characteristics. Available at: https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/spravato-epar-product-information_en.pdf. (Accessed 11th August 2025)

Publiziert in: Kasper S (2025) Über den Wert von Metaanalysen in der ärztlichen Praxis. Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie 26:63-64