Alle im folgenden Artikel diskutierten Studien zeigten bei Nachweis eines Großgefäßverschlusses in der vorderen Zirkulation bei entsprechender Patientenselektion einen deutlichen Nutzen der intrakraniellen Thrombektomie.

Der ischämische Schlaganfall (Hirninfarkt) umfasst 85 Prozent aller Schlaganfälle. Epidemiologisch geht man in Österreich von rund 25.000 Schlaganfällen pro Jahr aus. In Abhängigkeit von der klinischen Präsentation wird zwischen TIA (transitorische ischämische Attacke), bei der es zu einer Rückbildung der Symptomatik innerhalb von 24 Stunden kommt, und Hirninfarkt unterschieden; die genauere Differenzierung erfolgt auf Basis der Bildgebung.

Der Schweregrad des Schlaganfalls wird mittels der NIHSS bewertet (National Institutes of Health Stroke Scale; range 1–42 Punkte, Tab. 1). Das klinische Outcome des Schlaganfalls wird anhand der MRS (Modified Rankin Scale) gemessen (Tab. 2), wobei hier in einer Ordinalskala ein simpler Summenscore für die Selbstständigkeit im Alltag vergeben wird. Neben der klinischen Beurteilung des Schlaganfallsyndroms ist eine akute Bildgebung unumgänglich, um eine Hirnblutung auszuschließen.

Bei schweren klinischen Schlaganfallsyndromen ist ein (proximaler) Großgefäßverschluss anzunehmen, dies betrifft ca. 10–15 Prozent aller Patienten mit ischämischen Schlaganfällen. Die derzeit einzige zugelassene und etablierte Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls, die intravenöse systemische Thrombolyse mit r-TPA, bewirkt bei Verschlüssen der proximalen hirnversorgenden Arterien (Verschluss der A. carotis interna – ACI, A. cerebri media – ACM – Segment M1 sowie Verschluss der A. basilaris) nur in rund einem Drittel der Fälle eine erfolgreiche Rekanalisation. Somit wurde in den letzten Jahren vermehrt an endovaskulären Techniken geforscht, um in der Schlaganfallakuttherapie höhere Rekanalisationsraten und damit bessere klinische Ergebnisse zu erreichen.

Zahlen und Fakten

Weltweit gilt der Schlaganfall als zweithäufigste Todesursache. In Österreich selbst steht der Schlaganfall an dritter Stelle nach Krebs und Herzinfarkt, 15 Prozent der Todesfälle bei Frauen und zehn Prozent bei Männern sind auf einen Schlaganfall zurückzuführen. Durch moderne Therapiekonzepte (Stroke Unit, Frührehabilitation, systemische Thrombolyse) konnte die Mortalität in den letzten 30 Jahren drastisch reduziert werden. Allerdings ist aufgrund der epidemiologischen Entwicklung von einer Zunahme der Schlaganfallinzidenz auszugehen.

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Aktuell sind in Österreich 36 Stroke Units aktiv, darunter sind elf Zentren, die auch endovaskuäre Behandlung anbieten können. In den Industrieländern betragen die Kosten für die Behandlung und Betreuung von Schlaganfallpatienten vier Prozent der Gesamtgesundheitsausgaben, insgesamt wird geschätzt, dass die Kosten aufgrund von Schlaganfällen innerhalb der europäischen Union ca. 38 Milliarden Euro jährlich betragen.

 

 

 

Die endovaskuläre Technik und Devices

Für die intrakranielle Thrombektomie (TE) erfolgt zu Beginn eine Angiographie über einen transfemoralen Katheterzugang nach Seldinger-Technik. Transbrachiale Zugänge kommen hier allerdings nur selten zur Anwendung. Über einen Makrokatheter, der zur Navigation zu den supraaortalen hirnversorgenden Arterien geführt wird, erfolgt dann die TE über supraselektive Darstellung führungsdrahtgesteuerter Mikrokatheter und Stent-Retriever. Dabei werden selbstexpandierende Stents über den Mikrokatheter bis distal des Thrombus hochgeführt, um nach dem Eindringen der Stent-Maschen in den Thrombus (Dauer ca. fünf Minuten) den Stent samt Thrombus zu extrahieren.

Aktuelle Studien

Nachdem im Mai 2013 drei große multizentrische internationale Studien publiziert wurden, die keine Überlegenheit der TE gegenüber der systemischen Thrombolyse zeigen konnten, bestand große Skepsis hinsichtlich der TE. Allerdings wurden diese drei Studien (IMS 3, Synthesis und MR Rescue) wegen zu langer Zeitintervalle bis zur Rekanalisation kritisiert, darüber hinaus waren die radiologischen Einschlusskriterien nicht ausreichend definiert und die Interventionen nur zu einem geringen Anteil mit modernen Stent-Retrievern durchgeführt worden.

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MR CLEAN (NEJM 2014): In den Niederlanden wurde durch obligate Junktimierung der Dokumentation einer TE mit der Refundierung der Kosten rasch eine multizentrische nationale randomisierte Studie zum Nachweis der Überlegenheit der TE bei zerebralen Großgefäßverschlüssen durchgeführt – MR CLEAN (Multicenter Randomized Clinical Trial of Endovascular Treatment for Acute Ischemic Stroke in the Netherlands). Die zweiarmige Studie verglich die etablierte Schlaganfallakuttherapie (Stroke Unit plus fakultativ systemische Thrombolyse) mit der Kombination etablierte Therapie plus TE.

Eingeschlossen wurden 500 Patienten mit Nachweis des proximalen Gefäßverschlusses in der vorderen Zirkulation (distale ACI oder M1-Segment der ACM) in einem Zeitfenster bis sechs Stunden zur Rekanalisation. Die bildgebenden Einschlusskriterien wurden überwiegend mittels CT/CTA geprüft, der Nachweis einer Perfusionsminderung war nicht erforderlich. Primäres Outcome war das klinische Ergebnis nach 90 Tagen (mRS-Skala). Der mediane NIHSS lag bei 17 Punkten. Im TE-Arm wurden 81,5 Prozent Stent-Retriever eingesetzt, die Rekanalisations-Rate betrug 90 Prozent. Sowohl der primäre als auch sekundäre Endpunkt zeigten einen klaren signifikanten Nutzen der TE mit einer errechneten „number needed to treat“ (NNT) von sieben (Abbildung 1).

Quelle: Berkhemer OA, Fransen PSS, Beumer D et al., NEJM 2015

Damit erreichten 32,6 Prozent aller Patienten einen mRS von 0–2 gegenüber der bisher etablierten Therapie mit nur 19,1 Prozent. Die Mortalitätsraten zeigten keinen Unterschied zwischen den beiden Behandlungsarmen; die Subgruppenanalyse belegte die Altersunabhängigkeit des vorteilhaften TE-Effektes. Dies war der erste valide Beweis, dass die TE mit den neuen Devices sicher und wirksam ist.

ESCAPE (NEJM 2015): Escape (Endovascular Treatment For Small Core And Anterior Circulation Proximal Occlusion With Emphasis On Minimizing CT To Randomization Times) war eine prospektive multizentrische Studie, investigator- driven (von Forschern initiiert) und wurde multizentrisch international an 22 Zentren durchgeführt. Sie wurde nach Publikation der MR-CLEAN-Daten frühzeitig wegen Erfolg abgebrochen, da bereits in der Interimsanalyse die primären Endpunkte erreicht wurden.

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Ähnlich wie zuvor war der Nachweis eines proximalen intrakraniellen Verschlusses in der CTA Voraussetzung, zusätzlich aber auch der Nachweis einer nur geringen Infarktgröße bei moderatem bis gutem Zustand der Kollateralzirkulation. Insgesamt wurden 311 Patienten in einem Zeitfenster bis zwölf Stunden eingeschlossen und zwischen systemischer Thrombolyse alleine versus Thrombolyse plus TE randomisiert. Die primären und sekundären Outcomeparameter wurden analog zur MR-CLEAN-Studie gewählt.

In der Interimsanalyse war der primäre Endpunkt (mRS Tag 90: 0–2) positiv, es zeigte sich eine NNT von vier zur Erhaltung der Selbstständigkeit der Schlaganfallpatienten. Die Mortalität war in der TE-Gruppe signifikant geringer (10,4 vs. 19,0 Prozent). Auffällig waren deutlich schnellere Perfusionszeiten und eine höhere Rekanalisationsrate gegenüber der vorher genannten Studie.

SWIFT PRIME (NEJM 2015): Swift Prime (Solitaire with the Intention for Thrombectomy as primary endovascular treatment) war eine Industrie-gesponserte weltweite multizentrisch prospektive Studie, die ebenso nach der Interimsanalyse wegen Erfolg abgebrochen wurde. Es wurden 196 Patienten mit Nachweis eines proximalen Gefäßverschlusses der distalen ACI oder der ACM in einem Zeitfenster von sechs Stunden nach onset Eingeschlossen. Insgesamt nahmen 90 Zentren (50 USA, 40 außerhalb der USA) teil.

Bezüglich der Sicherheitsdaten bestanden keine Unterschiede zwischen den beiden Therapiearmen (Mortalität 9 vs. 12 Prozent, symptomatische intrakranielle Blutungen 0 vs. 3 Prozent). Auch diese Studie konnte einen eindeutigen Benefit der kombinierten Therapie (TE durch Solitaire-Device plus systemische Thrombolyse) gegenüber der alleinigen intravenösen Thrombolyse zeigen. Dies resultierte in einer NNT von vier.

EXTEND-IA (NEJM 2015): EXTEND-IA (Extending the Time for Thrombolysis in Emergency neurological Deficits intra-arterial) war eine australische investigator-driven, multizentrische, randomisierte Studie mit zwei Therapiearmen und wurde ebenso nach der Interimsanalyse wegen Erfolg nach Einschluss von 70 Patienten abgebrochen. Neben dem Nachweis des proximalen Gefäßverschlusses (ACI oder ACM) war zur Teilnahme ein Diffusions-Perfusions-Mismatch in der CT-Perfusion mit weniger als 70ml infarziertem Hirngewebe nachzuweisen.

Bemerkenswert ist, dass neben dem klinischen Outcome hier auch der frühe MR-Reperfusionsnachweis nach 24 Stunden als ein primärer Studienendpunkt dokumentiert wurde. Darüber hinaus bestanden im Design keine wesentlichen Unterschiede zu den vorher genannten Studien, als TE-Device wurde der Solitaire-Stent-Retriever eingesetzt. Auch diese Studie belegte die Überlegenheit der TE (mRS 0 – 2 am Tag 90: 71 vs. 40 Prozent) mit einer NNT von 3,2 für den TE-Arm. Bei Mortalität oder symptomatischer intrakranieller Blutung fanden sich keine Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen.

REVASCAT (NEJM 2015): In der nationalen multizentrischen Studie REVASCAT (a randomized trial of revascularization with SOLITAIRE FR device vs. best medical therapy in the treatment of acute stroke due to anterior circulation large vessel occlusion presenting within eight-hours of symptom onset) wurden in vier Zentren in Katalonien innerhalb von zwei Jahren 206 Patienten in einem Zeitfenster von acht Stunden eingeschlossen.

Bildgebend musste ein Gefäßverschluss in der vorderen Zirkulation nachgewiesen und ein Infarkt ausgeschlossen sein. Die beiden Behandlungsarme bestanden in Standardtherapie alleine (fakultativ mit systemischer Thrombolyse) bzw. Standardtherapie plus TE. Als primäres Outcome war wieder der funktionelle Zustand 90 Tage nach Ereignis (gutes Outcome = mRS 0–2) definiert. Die mediane Zeit von Symptombeginn bis zur Leistenpunktion (onset-to-groin time) betrug 269 Minuten, bei 87,4 Prozent der Patienten wurde die Intervention innerhalb von sechs Stunden begonnen.

Auch hier konnte der Vorteil der TE im Hinblick auf die Selbstständigkeit der Patienten 90 Tage nach dem Ereignis belegt werden (gutes Outcome: 43,7 vs. 28,2 Prozent, NNT=6,5). In dieser Studie wurden durchgehend Stentretriever eingesetzt, das mediane Zeitintervall von Symptombeginn bis zur Rekanalisation des Gehirngefäßes betrug knapp sechs Stunden. Eine praktisch vollständige Rekanalisation gelang in 66 Prozent der Fälle. Hinsichtlich der Sicherheitsdaten bestand kein relevanter Unterschied zwischen den Therapiearmen.

THRACE: Die Daten der THRACE (Trial and Cost Effectiveness Evaluation of Intra-arterial Thrombectomy in Acute Ischemic Stroke) waren zum Zeitpunkt des Erstellens des Artikels noch nicht publiziert. Vorläufige Ergebnisse wurden bei der Europäischen Schlaganfalltagung 2015 präsentiert und zeigten auch einen klaren Nutzen der kombinierten Therapie (systemische Thrombolyse plus TE) gegenüber der Standardbehandlung.

Österreich

In Österreich gibt es derzeit elf aktive endovaskuläre Zentren (überregionale Stroke Units), die ähnlich zu den zuvor beschriebenen Studien interdisziplinäre Protokolle zur Therapie von Hirninfarkten mit proximalen Gefäßverschlüssen entwickelt haben. Die Krankenanstalt Rudolfstiftung ist seit Jahren eines dieser Zentren. Dabei wird vor allem auch auf die Kooperation des österreichweit etablierten Stroke-Unit-Netzwerks aufgebaut. Die Daten werden additiv im nationalen Stroke-Unit-Register dokumentiert, eine Auswertung und Publikation durch Fachgesellschaft und Bundesministerium für Gesundheit ist im Laufen.

Ausblick

Rezent wurden in den USA eine Grad I, Level-1a-Empfehlung für die TE bei Patienten mit Großgefäßverschlüssen, die zuvor selbstständig waren und im Zeitfenster kommen, ausgesprochen. In Europa gibt es bereits analog dazu eine Erklärung des Karolinska-Consensus-Statement. Auch die nationalen Fachgesellschaften (ÖGSF, ÖGN) haben eine derartige Empfehlung ausgesprochen. Es ist zu erwarten, dass die Europäische Schlaganfallgesellschaft (ESO) sich zeitnah anschließt. Für die klinische Praxis müssen dann rasche Strukturmaßnahmen getroffen werden, sodass auch in Österreich flächendeckend eine 24/7-Versorgung für die endovaskuläre Therapie des ischämischen Schlaganfalls verfügbar ist. Spannend bleibt auch die weitere Entwicklung der zerebrovaskulären Devices.

Fotos: Privat

Dr. Peter Sommer, Prim. Univ.-Doz. Dr. Elisabeth Fertl,
Neurologische Abteilung der KA Rudolfstiftung, Wien

 

 

 

Literatur bei den Verfassern