Mehrere Psychopharmaka können zu einer kardialen unerwünschten Arzneimittelwirkung (UAW) führen. Kardiale UAW können sehr vielfältig sein und inkludieren unter anderem folgende: Herzrhythmusstörungen, Reizüberleitungsstörungen, Myokarditis, Myokardiopathien, Hypotonie oder Hypertonie. Im folgenden Artikel soll dem Leser eine Übersicht über die am häufigsten vorkommenden kardialen UAW von Psychopharmaka und deren Pathophysiologie gegeben werden.
Hypotonie und Hypertonie
Die orthostatische Hypotonie, definiert als die Reduktion des systolischen Blutdruckwertes um >20mmHg oder als ein systolischer Blutdruckwert, bei aufrechter Position, unter 90mmHg, ist die am häufigsten berichtete unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) von Antipsychotika (Mackin, 2008). Hypotension wurde bei bis zu 75 Prozent der Patienten, die mit einem Antipsychotikum behandelt wurden, berichtet, wobei diese UAW jedoch meistens nur transient ist (Stanniland &Taylor, 2000).
Sehr oft wird die Hypotonie von Schwindel begleitet, wobei Schwindel häufiger als Hypotonie vorkommt. Bei einem Kollektiv von 342 Patienten, die mit Clozapin behandelt wurden, klagten 19 Prozent über Schwindel, wobei nur bei neun Prozent hypotone Werte dokumentiert wurden. Ähnlich wurde bei einem Patientenkollektiv von 2.300 Patienten, die mit Quetiapin behandelt wurden, nur bei sieben Prozent eine Hypotonie festgestellt, wobei zehn Prozent über Schwindel klagten (Mackin, 2008). Selten kann Hypotonie zu einer Synkope führen, wobei dies als Folge der Unfähigkeit des vegetativen Systems, eine vasokonstruktive Gegenregulation zu steuern, gesehen wird (Wenzel- Seifert et al., 2013).
Die Inzidenz von Hypotonie bzw. Synkope unter den Antipsychotika variiert stark. Somit findet sich eine Prävalenz von drei Prozent für Hypotonie unter Olanzapin, während Clozapin eine Prävalenz von 25 Prozent hat. Synkopen sind auch häufiger unter einer Therapie mit Clozapin (Prävalenz sechs Prozent), als bei einer Therapie mit Quetiapin (ein Prozent), Risperidon (0,2 Prozent) oder Olanzapin (0,2 Prozent) zu erwarten. (Wenzel-Seifert et al., 2013) Pathophysiologisch sind Hypotonie, sowie Synkope auf die Inhibition alpha1- adrenerger Rezeptoren, welche die periphere Kontraktion arterieller Widerstandsgefäße kontrollieren, zurückzuführen (Wenzel-Seifert et al., 2013).
Bei Patienten, die eine antihypertensive Einstellung haben, sollte bei Initiierung einer antipsychotischen, aber auch antidepressiven Therapie, besonders achtgegeben werden. Unter SSRI, insbesondere Fluoxetin, wurden auch Hypotonie und Synkopen berichtet. In-vitro- Studien zeigten für Fluoxetin, Citalopram, aber auch für Imipramin, Clomipramin, Desipramin, Amitriptylin und Maprotilin, eine Arzneimittel- induzierte Hemmung der Ca2+-Kanäle vom L-Typ in der glatten Gefäßmuskulatur. Dies führt zu eine Vasodilation und somit zu einer Verstärkung des Effektes einer antihypertensiven Therapie (Wenzel-Seifert et al., 2013).
Ältere Personen mit möglicher kardiovaskulärer oder renaler Insuffizienz, wären für die Entwicklung einer Hypotonie, bei Einstellung auf eine antipsychotische Therapie, anfälliger als andere Patienten. „Poor metabolizer“-Patienten, könnten, aufgrund der höheren Empfindlichkeit für UAW, bereits bei niedrigen Dosierungen häufiger betroffen sein (Mackin, 2008). Hypertonie als psychopharmakogene UAW beruht pathophysiologisch auf einer Sympathikusaktivierung durch Erhöhung des Noradrenalins. Somit können alle Psychopharmaka, welche eine Hemmung der Noradrenalin- oder Dopaminwiederaufnahme aus dem synaptischen Spalt bewirken, potenziell zu einer Erhöhung der Blutdruckwerte führen (Wenzel-Seifert et al., 2013).
Unter Duloxetin, Milnacipran, aber auch Venlafaxin wird Hypertonie als häufige (ein bis zehn Prozent) mögliche UAW berichtet (Benkert, 2013). Zu vermerken sei, dass unter Reboxetin paradoxerweise eher orthostatische Reaktionen berichtet wurden. Eine Erklärung wäre die Beeinträchtigung der Kontrolle des Vasotonus, über den Baroreflex, durch eine Senkung des Sympathikotonus über Aktivierung zentralnervöser präsynaptischer alpha2-adrenerger Rezeptoren, durch eine Erhöhung der Noradrenalinkonzentration im synaptischen Spalt (Tank et al., 2003). Außer den Antidepressiva können Psychostimulantien, wie Atomoxetin oder Methylphenidat, zu einer Hypertonie führen (Benkert, 2013).
In einer Metaanalyse von fünf randomisierten doppelblinden placebokontrollierten Studien über Anwendung von Atomoxetin, einem selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, wurde bei Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung über eine Erhöhung der Herzfrequenz, aber auch des systolischen und diastolischen Blutdruckwertes berichtet (Wernicke et al., 2003). Allgemein wird eine sorgfältige Untersuchung und Anamnese, bezüglich dem Vorliegen einer möglichen kardialen Erkrankung, vor Initiation der Atomoxetin-Therapie, empfohlen.
Vor, aber auch während der Therapie mit Atomoxetin sind regelmäßige Messungen der Herzfrequenz und des Blutdruckes zu empfehlen (Benkert, 2013). Beim Feststellen eines klinisch signifikanten Anstieges des Blutdruckwertes (Anstieg von 15 bis 20mmgHg) bzw. einer Erhöhung der Herzfrequenz (um 20 Schläge/Minute) sollte ein Abbruch der Therapie erwogen werden. Obwohl in der Literatur die meisten Berichte über Tachykardie und Hypertonie unter Atomoxetin berichten, sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass auch unter Methylphenidat beide UAW häufig auftreten können.
Tachykardie, Bradykardie
Über eine anticholinerge Wirksamkeit können tri- und tetrazyklische Antidepressiva (u.a. Amitriptylin, Clomipramin, Imipramin), aber auch Antipsychotika (u.a. Chlorprothixen, Clozapin, Promethazin) zu einer Tachykardie beim Patienten führen. Pathophysiologisch ist dies dadurch zu erklären, dass die negative Chronotropie, negative Dromotropie, aber auch negative Bathmotropie über die muskarinerge Acetylcholinrezeptoren vom Typ M2 durch die anticholinergische Wirksamkeit der Medikation aufgehoben wird (Wenzel-Seifert et al., 2013).
Aber auch die Hemmung der Noradrenalin-Wiederaufnahme aus dem synaptischen Spalt in der Präsynapse kann zu einer Tachykardie führen. Pathophysiologisch ist dies aufgrund einer erhöhten sympathomimetischen Wirksamkeit im Organismus zu erklären. Somit sollte bezüglich einer möglichen Tachykardie bei der Einstellung auf Reboxetin, Bupropion, Duloxetin, Venlafaxin, Atomoxetin oder Methylphenidat, geachtet werden (Wenzel-Seifert et al., 2013).
Bradykardien können auf unterschiedlichen Wirkungsmechanismen beruhen. Unter SSRI-Behandlung (u.a. Fluoxetin, Paroxetin, Citalopram) kann es im oberen therapeutischen Bereich zu einer klinisch relevanten Blockierung von kardialen Natrium- und Kalziumkanälen kommen (Wenzel-Seifert et al., 2013). Dadurch kann es zu meist milden Bradykardien kommen, wobei in höheren Dosierungen schwerwiegende Reizleitungsstörungen nicht auszuschließen wären (Beyenburg et al., 2007; Pacher et al., 2004).
Reizleitungsstörungen können auch unter trizyklischen Antidepressiva (TZA) sowie Carbamazepin, aufgrund der Hemmung von kardialen Natriumkanälen, auftreten (Wenzel-Seifert et al., 2013). In einer Studie wurde aufgezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Reizleitungsstörung im Sinne eine UAW zu entwickeln, bei Patienten, die bereits vor Beginn der Therapie im EKG Hinweise auf eine Reizleitungsstörung aufweisen (z.B. verlängertes PR-Intervall), höher ist. Konkret fanden sie in ihrer Studiengruppe, dass neun Prozent der Patienten mit einem auffälligen EKG, nach Beginn der Therapie mit einem TZA, im Vergleich zu 0,7 Prozent bei Patienten ohne auffälligem EKG, einen AV-Block 2. Grades aufwiesen (Roose et al., 1987).
QTc-Verlängerung
QTc-Verlängerung unter typischen Antipsychotika (u.a. Pimozid, Chlorpromazin, Haloperidol) ist seit längerer Zeit bekannt. Auch bei atypischen Antipsychotika, wie z.B. unter Ziprasidon, Risperidon, Sertindol oder Quetiapin, wurden QTc-Verlängerungen bzw. Torsade de Pointes berichtet. Das Risiko einer QTc-Verlängerung wird aber insgesamt bei neueren Antipsychotika als geringer als von klassischen Antipsychotika bzw. Kardiaka eingeschätzt (Wenzel- Seifert et al., 2013). Im Falle einer Polypharmazie kann es aber zu additiven Effekten und dadurch zu einer Erhöhung des Risikos für die Entwicklung einer UAW kommen.
Besondere Aufmerksamkeit erregte im August 2011 die FDA- und EMA-Warnung bezüglich der dosisabhängigen QTc-Verlängerung unter einer Citalopram- Therapie. Dabei wurde eine QTc-Verlängerung um 8,5msec unter einer Behandlung mit Citalopram 20mg und eine QTc-Verlängerung um 18,5msec unter einer Behandlung mit Citalopram 60mg berichtet. Daraufhin wurde die empfohlene maximale Dosierung von Citalopram auf 40mg reduziert. Eine QTc-Verlängerung wurde auch für eine Reihe von anderen antidepressiven Substanzen berichtet, wie u.a. TZA, Trazodon, Mirtazapin, Fluoxetin, Escitalopram oder Paroxetin (Wenzel-Seifert et al., 2013).
Pathophysiologisch wäre die QTc-Verlängerung durch Einwirkung der Arzneistoffe bei HERG-(Human ether-à-gogo- related gene)-Kanäle (spezifische Kaliumkanäle) (Wenzel-Seifert et al., 2013). In einer aktuell publizierten Studie untersuchten Spindelegger et al. (2014) alle im Zeitraum 1993–2010 bei AMSP (Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie) gemeldeten kardiovaskulären UAW unter einer antidepressiven Behandlung. Insgesamt wurden durch die AMSP, in 93 psychiatrische deutschsprachigen Kliniken, in dem o.g. Zeitraum 362.577 psychiatrische stationäre Patienten monitorisiert.
198 schwere kardiale UAW unter antidepressiver Therapie wurden in dem Beobachtungszeitraum dokumentiert, wobei 19-mal eine klinisch relevante QTc-Verlängerung gemeldet wurde. In mehr als der Hälfte der Fälle wurden TZA angeschuldigt, wobei begünstigende Faktoren oder alternative Erklärungen beim Großteil der Fälle als verursachend angesehen wurden. Als häufigste kardiale UAW unter antidepressiver Behandlung, wurde die Hypotonie berichtet (89 Fälle).
Klinische Relevanz
Kardiale UAW können bei einer Therapie mit Psychopharmaka auftreten. Diesbezüglich sollte, besonders bei der Initiierung einer Psychopharmakotherapie bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für kardiale Nebenwirkungen, geachtet werden. Risikofaktoren für die Entwicklung einer kardialen UAW während einer Psychopharmakotherapie sind u.a. folgende: Alter über 65 Jahre, weibliches Geschlecht, bekannte kardiovaskuläre Erkrankungen in der Anamnese, genetische Disposition (z.B. Long- QT-Syndrom) des Patienten oder bekannte Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, Hypomagnesiämie) (Wenzel- Seifert et al., 2013).
Im Sinne einer Risikominimierung von kardialen UAW, unter einer Psychopharmakotherapie, wären EKG-Kontrollen, aber auch Elektrolytbestimmungen im Blut sowie das Durchführen einer kardiologischen Fachbegutachtung, bei bekannten kardiologischen Vorerkrankungen, zu empfehlen (Wenzel- Seifert et al., 2013).
Dr. Anastasios Konstantinidis, MSc.
Klinische Abteilung für Biologische Psychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Universität Wien und Zentrum für seelische Gesundheit MULDEnstrasse, Linz, BBRZMed
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Literatur beim Autor