Die Behandlung von zurechnungsunfähigen psychisch kranken Straftätern in der forensischen Psychiatrie ist primär ausgerichtet auf den Abbau der krankheitsspezifischen Gefährlichkeit, die sich in einer schweren Straftat manifestiert hat. Es wurden daher in den letzten 20 Jahren psychopharmakologische sowie psychound kriminaltherapeutische Behandlungsstrategien entwickelt, die auf Basis präziser Risiko- und Ressourcenanalysen zu kriminellen Rückfallsraten führen, die deutlich unter denen von Haftinsassen liegen.
In den letzten zwanzig Jahren entstand mit der forensischen Behandlungspsychiatrie ein den klinischen Psychiatern weitgehend unbekannter, inzwischen bereits sehr umfangreicher Bereich, der sich in vielerlei Hinsicht von der klinischen Psychiatrie unterscheidet. Wie bereits der Name verdeutlicht, besteht eine enge Beziehung mit der Justiz, die den Behandlungsauftrag erteilt und das Behandlungsergebnis kontrolliert. Behandlungsziele sind wohl auch die Lebensqualität des Patienten, Symptomfreiheit, Arbeits- oder Beziehungsfähigkeit, vor allem aber der Abbau der sich im Einweisungsdelikt manifestierenden krankheitsspezifischen Gefährlichkeit und die soziale Rehabilitation in die Gesellschaft unter Beachtung strenger Sicherheitsauflagen.
Da sich Straftäter in der forensischen Psychiatrie von Patienten der klinischen Psychiatrie in bestimmten, aber entscheidenden Parametern unterscheiden, wurden in den letzten zwanzig Jahren sowohl in der Psychopharmakologie als auch in der Psychotherapie neue oder zumindest modifizierte Ansätze entwickelt, die im Folgenden für die schuldunfähigen Straftäter, die gemäß §21 Abs. 1 StGB im Maßnahmenvollzug untergebracht sind (Foregger et al., 1998), vorgestellt werden.
Rechtliche Grundlagen
Die Definition der Zurechnungsunfähigkeit erfolgt im österreichischen Strafrecht durch den §11 StGB: „Wer zur Zeit der Tat wegen einer Geisteskrankheit, wegen einer geistigen Behinderung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, handelt nicht schuldhaft.“ Bei leichteren Delikten, die mit einem Strafmaß von unter einem Jahr bedroht sind, erfolgt die Exkulpation ohne weitere Maßnahmen oder Auflagen.
Bei schwereren Delikten und einer ungünstigen Kriminalprognose kommt der §21 Abs. 1 StGB zur Anwendung: „Begeht jemand eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und kann nur deshalb nicht bestraft werden, weil er sie unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§11) begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, so hat ihn das Gericht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, wenn nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.“
In den Erläuterungen zum §21 Abs. 1 StGB wird eine ungünstige Prognose wie folgt definiert: „Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Rechtsbrecher unter dem Einfluss seiner Abartigkeit zumindest eine gerichtlich strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen werde. … Handlungen ohne schwere Folgen … ermöglichen die Unterbringung auch dann nicht, wenn die Zusammenrechnung der Folgen ein erhebliches Gewicht ergibt. Die Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ist für wirklich gefährliche Delinquenten gedacht, bei denen andere strafrechtliche Maßnahmen nicht in Betracht kommen.“ Im Gegensatz zu Gefängnisstrafen gibt es für die Maßnahmenunterbringung kein festgelegtes Zeitmaß. Entscheidend ist der Abbau der krankheitsspezifischen Gefährlichkeit, die zur Einweisung geführt hat.
Für den Untergebrachten bedeutet das, dass er bei gutem Ansprechen auf die Behandlung im Vergleich zu Haftinsassen deutlich früher entlassen wird, bei schlechtem Ansprechen auch bei relativ leichten Delikten unter Umständen länger untergebracht ist. Für die Maßnahmenvollzugsanstalten liegt daher der Schwerpunkt der Behandlung auf der Therapie von Symptomen und Verhaltensweisen, die mit Delinquenz assoziiert sind. Einmal im Jahr muss die Institution schriftlich dem zuständigen Vollzugsgericht über den Behandlungsfortschritt Bericht erstatten.
Statistik und Entwicklung
Prävalenz, Diagnosen und Delikte der österreichischen Maßnahmenpatienten (§21/1 StGB): Am 1. Jänner 2015 befanden sich 375 schuldunfähige Patienten im Maßnahmenvollzug. Nach der Stichtagserhebung 2009 betrug der Frauenanteil acht Prozent (Stompe & Schanda, 2010). Die meisten Untergebrachten werden in den Justizanstalten Göllersdorf und Asten behandelt, etwa 120 befinden sich an geschlossenen Abteilungen psychiatrischer Krankenhäuser. Seit Mitte der 1990er Jahre war in Österreich, ähnlich wie in den meisten anderen europäischen Staaten, ein deutlicher Anstieg der Prävalenz zurechnungsunfähiger Maßnahmepatienten zu verzeichnen (Abbildung 1).
Die Gründe für diese dramatische Entwicklung liegen in einem Zusammenwirken verschiedenster Faktoren wie Veränderungen im Anzeigeverhalten der Polizei, eine Bereitschaft der Gerichte, auch schuldunfähige Straftäter mit leichteren Delikten wie versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt oder gefährliche Drohungen einzuweisen, aber auch psychiatrieimmanente Faktoren wie dem Bettenabbau, Verkürzung der stationären Aufenthalte oder Änderungen im Umgang mit Risikopatienten (Schanda et al., 2009). In den letzten Jahren zeichnet sich eine gewisse Trendwende ab, für die vermutlich zwei Faktoren verantwortlich sind. Da ein großer Bedarf für soziale Empfangsräume (s.u.) besteht, in denen die Maßnahmenpatienten nach der bedingten Entlassung in einem strukturierten Rahmen leben können, wurden vermehrt durch NGOs bzw. durch Privatinitiativen Wohnheime eröffnet, was eine raschere sozialpsychiatrische Rehabilitation der Untergebrachten gestattet.
Daneben wurde vor allem bei leichteren Delikten das seit 2002 bestehende Rechtsinstrument der bedingten Einweisung in den Maßnahmenvollzug verstärkt in Anspruch genommen. Die Mehrheit der Patienten (70,6 Prozent) leidet unter Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis, 10,4 Prozent zeigen eine Intelligenzminderung, sechs Prozent eine hirnorganische Störung und acht Prozent eine primäre Persönlichkeitsstörung (Abbildung 2). Auffällig und typisch für diese Population ist eine hohe Rate an komorbiden Störungen (Putkonen et al., 2004; Räsänen et al., 1998): 25 Prozent der Patienten zeigen eine komorbide Persönlichkeitsstörung, 75 Prozent einen schädlichen Gebrauch bzw. eine Abhängigkeit von Alkohol oder von illegalen Rauchmitteln (Stompe, 2009).
Die Mehrzahl der Patienten befindet sich wegen Delikten gegen Leib und Leben im Maßnahmenvollzug (Abbildung 3). Am häufigsten sind schwere Körperverletzungen, gefolgt von Tötungsdelikten und leichteren Delikten wie Nötigung und gefährliche Drohung (Stompe & Schanda, 2010).
Prädiktoren für gewalttätiges Verhalten
Zahlreiche Untersuchungen der letzten 30 Jahre vermitteln inzwischen ein gutes Bild, welche krankheitsspezifischen und allgemein kriminogenen Faktoren für die Delinquenz psychisch kranker Menschen verantwortlich sind. Bei Straftätern, die unter einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis leiden, sind das ein starrer, dysphorer, gespannter Affekt, ein systematisierter Verfolgungswahn mit identifiziertem Verfolger, wahnhafte Personenverkennungen, ein fortgeschrittener Abbau der höheren Gefühle bei Erhalt der Zustandsgefühle, Beeinflussungserlebnisse, katatone Erregungsdurchbrüche, schlecht ausgebildete Exekutivfunktionen, Defizite in der Theory of Mind sowie eine Krankheits- und Behandlungsuneinsichtigkeit (Stompe & Schanda, 2012).
Bei straffälligen Personen mit Intelligenzminderung oder mit hirnorganischen Psychosyndromen finden sich häufig ein starrer, dysphorer, gespannter Affekt, eine schlechte Impulskontrolle, ein mangelhafter Aufbau oder fortgeschrittener Abbau der höheren Gefühle bei Erhalt der Zustandsgefühle, eine Selbstüberschätzung, oppositionelles Verhalten und, ähnlich wie bei schizophrenen Patienten, eine Krankheits- und Behandlungsuneinsichtigkeit. Straftäter mit einer Persönlichkeitsstörung zeigen ein vergleichbares Bild, ebenfalls mit starrem, misstrauischem Affekt, mangelnder Impulskontrolle, mangelhaftem Aufbau höherer Gefühle, einer hohen Anspruchshaltung mit oppositionellem Verhalten sowie Problem- und Behandlungsuneinsichtigkeit.
Als allgemeine delinquenzfördernde Faktoren gelten komorbide (antisoziale oder psychopathische) Persönlichkeitsstörungen und Substanzmissbrauch (vor allem Alkohol- und multipler Substanzmissbrauch), Intelligenzdefizite, Hospitalismus, dysfunktionale Copingstrategien, fehlende soziale Kompetenzen, Empathiemängel sowie negative Wertehaltungen wie gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen. Allgemeine soziale Risikofaktoren sowohl bei gesunden als auch bei psychisch kranken Menschen sind die Herkunft aus ökonomisch benachteiligten gesellschaftlichen Milieus, aus zerbrochenen, desolaten Familien, vernachlässigende oder gewalttätige Eltern, länger dauernde Heimaufenthalte in Kindheit und Jugend sowie negative Einflüsse von Peer Groups.
Prozess der Risiko- und Ressourcenerfassung
Die Behandlung in der forensischen Psychiatrie ist auf den Abbau der gewaltfördernden Faktoren und der Stärkung positiver Ressourcen ausgerichtet. Die zentralen, vom Gesetzgeber dabei vorgegebenen Richtlinien sind die Sicherheit der Bevölkerung durch eine delinquenzbezogene Rückfallsprophylaxe und die soziale Rehabilitation der Untergebrachten. Erst in zweiter Linie geht es um Ziele, die in der klinischen Psychiatrie und in den psychotherapeutischen Schulen im Vordergrund stehen, wie Symptomfreiheit, Arbeits- und Beziehungsfähigkeit oder Lebensqualität. Am Behandlungsbeginn steht dementsprechend die Erstellung eines Risiko- und Ressourcenprofils.
Als Grundregel der modernen Risikokalkulation gilt die interdisziplinäre Erarbeitung der relevanten Faktoren durch die psychiatrischen, psychologischen, psycho- und ergotherapeutischen, die sozialarbeiterischen und Pflegedienste. Ausgangspunkt ist die delikt- und krankheitsspezifische Basisrückfallsrate, d.h. die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Personengruppe, die ein bestimmtes Delikt begangen hat, ein neuerliches Delikt setzen wird (Nedopil, 2005). Zahlreiche Untersuchungen zeigten, dass leichte Delikte wie etwa gefährliche Drohungen mit einer deutlich höheren Wiederbegehungsrate verbunden sind als schwere Verbrechen wie Mord.
Um das Risiko besser zu individualisieren, werden wissenschaftlich entwickelte und erprobte Prognoseinstrumente eingesetzt, die die Gefährlichkeit genauer erfassen (Rettenberger & von Franqué, 2013). Prognoseinstrumente zur Erfassung des Risikos für neuerlicher Gewaltdelikte sind etwa der VRAG (Violence Risk Appraisal Guide), der HCR-20 (Historical-Clinical-Risk Management-20 Violence Risk Assessment Scheme), die ILRV (integrierte Liste der Risikovariablen) oder die Dittmann-Liste sowie Prognoseinstrumente, die speziell für Sexualdelikte entwickelt wurden, wie der SORAG (Sex Offender Risk Appraisal Guide), der Static-99, der Stable-2007 oder der SVR- 20 (Sexual Violence Risk-20).
Eine weitere Individualisierung des Ressourcen- und Risikoprofils erfolgt durch die systematische Erfassung und Integration aller verfügbarer Daten (Krankengeschichten, Gutachten, Gerichtsakten, Außenanamnesen, psychopathologische und deliktorientierte Explorationen, psychologische Testbefunde, somatische Befunde). Aus diesen gesammelten Informationen wird eine Kriminalhypothese entwickelt, die die ersten Behandlungsrichtlinien vorgibt.
Behandlung im Maßnahmenvollzug
Die eigentliche Behandlung in der forensischen Psychiatrie stützt sich wie in der klinischen Psychiatrie auf die drei Säulen Psychopharmakologie, Psychotherapie und psychosoziale Rehabilitation, die jedoch den primären Behandlungszielen entsprechend unterschiedliche Schwerpunkte und Gewichtungen aufweisen. Selbstverständlich können aufgrund eingeschränkter personeller Ressourcen nicht in allen forensischen Behandlungseinrichtungen alle Trainingsgruppen angeboten werden. Sinnvoll ist eine abgestufte Vorgangsweise mit Konzentration der therapeutischen Ressourcen in den beiden großen Justizanstalten Göllersdorf und Asten, während die kleineren geschlossenen Abteilungen nach Abschluss der intensiven therapeutischen Phase die weitere regionale psychosoziale Rehabilitation übernehmen sollten.
sychopharmakologische Behandlung
Die medikamentöse Behandlung im Maßnahmenvollzug folgt selbstverständlich den internationalen Standards und Richtlinien. Es finden sich allerdings einige wesentliche Schwerpunktsetzungen, die in der klinischen Psychiatrie weniger Geltung beanspruchen (Stompe & Schanda, 2011). Eine zentrale Stellung hat die Absicherung der medikamentösen Adhärenz auch für die Zeit nach der bedingten Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug. Psychisch kranke Straftäter waren häufig im Vorfeld der Tat behandlungsuneinsichtig, die verordnete Medikation wurde zumeist nach kurzer Zeit wieder weggelassen und durch Alkohol und/oder Drogen „ersetzt“.
Das Weisungsrecht bietet die Möglichkeit, eine bestimmte Medikation per Entlassungsurteil „festschreiben“ zu lassen. Das macht allerdings nur Sinn, wenn die Medikamenteneinnahme einfach und kostengünstig durch die weiter betreuenden ambulanten forensischen Einrichtungen zu kontrollieren ist. Bei schizophrenen Erkrankungen haben daher intramuskulär als Depot verabreichbare Antipsychotika eine große Bedeutung. Die Möglichkeiten des Patienten, die Medikamentenwirkung zu manipulieren, beschränken sich hier auf verstärkten Nikotin- und Kaffeekonsum. Bei der oralen Medikation empfiehlt sich die Verordnung von Präparaten, die eine einfache und kostengünstige Spiegelbestimmung erlauben. Um Manipulationen zu verhindern, sind unregelmäßige, nicht vorangekündigte Blutabnahmen zu empfehlen, die allerdings im ambulanten Bereich aus logistischen Gründen oft nur schwer organisierbar sind.
Vorsicht ist bei der Verordnung von Benzodiazepinen geboten, da viele der Untergebrachten anamnestisch einen Substanzmissbrauch betreiben. Ein besonders sensibler Bereich ist die medikamentöse Behandlung von Sexualstraftätern, die häufig im Off-level-Use erfolgt. Sie folgt dem international gebräuchlichen Algorithmus einer hierarchischen Stufenfolge auf Basis des individuellen Ansprechens und des drohenden Risikos (Stompe, 2007).
Psychotherapie und Kriminaltherapie
Das empirische Wissen über kriminogene Tätermerkmale bestimmt, was behandelt wird und das empirische Wissen über die Methoden, auf welche Rechtsbrecher ansprechen, wie behandelt wird. Zukünftige Delinquenz-verhindernde Interventionen müssen bei psychisch kranken Rechtsbrechern folgende Kriterien erfüllen: Sie sollen assertiv, intensiv, hoch strukturiert, multimodal und umfassend sein und über längere Zeiträume zur Anwendung kommen. Die Teilnahme an den Therapieprogrammen ist verpflichtend, Voraussetzung ist, dass die Therapeuten die Autorität über die Behandlung behalten („firm but fair“) und damit ihr Doppelmandat (Behandlung seelischer Störungen, Kriminalprävention) akzeptieren.
Erfolgreiche Programme sind multimodal, kognitiv-behavioral, benutzen Techniken des sozialen Lernens und verwenden Methoden, die dem Lernstil der Patienten entsprechen. Sie zielen auf Merkmale, die nach dem empirischen Kenntnisstand kriminogen sind. Als wirksam erweisen sich Gruppentherapien mit Modellernen, Rollenspielen, abgestufter Erprobung des Gelernten, Verstärkung, konkreten Hilfestellungen wie der Bereitstellung von Ressourcen sowie kognitiver Umstrukturierung. Im Vorfeld wichtig ist dabei der Aufbau einer Veränderungsmotivation. Im ersten Schritt gilt es dabei zu verdeutlichen, dass auch der Betroffenen selbst Opfer seiner delinquenten Handlungen ist, da ihm dadurch ein Leben in Freiheit verwehrt ist.
Therapiemodule: Bestimmte Gruppen wie die Basisgruppe, die Psychoedukation, Alkohol- und Drogentherapiegruppen werden laufend angeboten, andere wie Integrierte Psychologische Therapieprogramm für schizophrene Patienten (IPT) oder neuropsychologische Therapiegruppen finden fakultativ statt. In der forensischen Psychiatrie wurden darüber hinaus kriminaltherapeutische Konzepte entwickelt, die speziell auf die Änderung bzw. Beherrschung delinquenter Verhaltensweisen abzielen. Innerhalb der ersten sechs Monate muss jeder Patient, der neu in die Anstalt eingewiesen wurde, eine sogenannte Basisgruppe absolvieren. Inhalt und Zielsetzung ist die Vermittlung allgemeiner Informationen über den Maßnahmenvollzug nach §21 Abs 1 StGB.
Die Inhalte sind in Modulen zusammengefasst und umfassen folgende Themenbereiche: Maßnahme, Gefährlichkeit, Therapie, Eigenverantwortung, Verhaltensanalyse sowie allgemeine Informationen über personelle Aufgabenverteilung in der Anstalt. Die Gruppe findet einmal wöchentlich statt und umfasst zwölf Einheiten. Neben der Informationsvermittelung dient die Basisgruppe zum Screening der Gruppenfähigkeit des Patienten. Nach der Absolvierung der Basisgruppe erfolgt die Zuteilung zu den einzelnen Trainingsgruppen (Tabelle). Da die meisten der Maßnahmepatienten ausgeprägte Defizite im Bereich der Krankheits- und Behandlungseinsicht aufweisen, werden laufend psychoedukative Gruppen angeboten.
Zielgruppe sind Personen mit einer Grunderkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (Wienberg et al., 2013). Es erfolgt eine Aufklärung über und Auseinandersetzung mit der Erkrankung, um die medikamentöse Compliance zu verbessern und dadurch die Rezidivrate zu verringern. Hier werden Krankheitskonzepte und Bewältigungsstrategien vermittelt. Die Gruppe findet einmal wöchentlich statt, jede Einheit dauert eine Stunde. Da viele Patienten einen komorbiden Substanzmissbrauch betreiben, werden ebenfalls laufend Alkohol- und Drogentherapiegruppen angeboten, die einmal wöchentlich (60 Minuten) stattfinden. Hier geht es um die allgemeine Bearbeitung der Suchtproblematik sowie um das Erkennen der Zusammenhänge zwischen Sucht und Deliktbegehung.
Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten, laufend abgehaltenen Gruppen finden die folgenden einmal jährlich statt. Hier werden krankheitsspezifische oder allgemeine Defizite behandelt. Etwa 70 Prozent der Patienten leiden unter einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (Abbildung 2) mit Einschränkungen im sozialen und kognitiven Bereich. Diese Defizite erhöhen die Wahrscheinlichkeit für gewalttätige Verhaltensweisen. Als wertvolles Therapiemodul hat sich hier das Integrierte Psychologische Therapieprogramm für schizophrene Patienten (IPT) erwiesen (Roder et al., 2008). Es besteht aus fünf Unterprogrammen, welche auf schizophrenietypische attentionale/perzeptive und kognitive Störungen abzielen, sowie Einschränkungen im gesamten Sozialverhalten kompensiert.
Die Unterprogramme umfassen die Themenbereiche kognitive Differenzierung, soziale Wahrnehmung, verbale Kommunikation, soziale Fertigkeiten und interpersonales Problemlösen. Die Gruppe findet zweimal wöchentlich statt, jede Therapiesitzung dauert 30 bis 45 Minuten. Eine ähnliche Zielrichtung hat das metakognitive Training für schizophrene Patienten, das in derselben Frequenz wie das IPT stattfindet (Moritz et al., 2010). Hier sollen Denkverzerrungen bewusst gemacht, eingefahrene Problemlösestile kritisch reflektiert werden. Das Programm ist in acht Modulen aufgebaut mit den Themenbereichen Zuschreibungsstil, Objekterkennung – voreiliges Schlussfolgern, Korrigierbarkeit (Beharrungstendenz), Theory of Mind 1. und 2. Ordnung, Gedächtnis, Bildinterpretation und Selbstwert (depressive Denkschemata).
Während in diesen beiden Gruppen vorwiegend krankheitsbedingte kognitive und soziale Defizite behandelt werden, ist die emotionsfokussierte Therapiegruppe für schizophrene Patienten vorgesehen, welche starke emotionale Verarbeitungsdefizite aufweisen (Wolf, 2012). Die Schwächen dieser Patienten liegen vor allem in den Bereichen Affekterkennung, sozialer Wahrnehmung sowie Sequenzierung und Zuordnung sozialer Informationen. Ziel ist das Training der emotionalen Informationsverarbeitungsprozesse mit den Telbereichen „Emotional perception“ (emotionale Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie emotionale Perspektivenübernahme), „Emotional understanding“ (Verstehen emotional aufgeladener sozialer Situationen) und „Emotional management“ (Stimmungsregulation).
Für hirnorganische Patienten mit deutlichen kognitiven Funktionsstörungen wird das Neurotraining angeboten (Schweizer, 2012). Im Zentrum steht hier die Erhaltung noch funktionstüchtiger kognitiver (Teil-)Bereiche bzw. die Verbesserung des Hirnleistungsniveaus. Speziell trainiert werden die Bereiche Orientierung, Raumsinn, Lernen und Gedächtnis, Sprache, Rechenfähigkeit, Denken, Planen und Handeln sowie Aufmerksamkeit und Konzentration. Diagnoseunspezifisch finden sich bei Straftätern mit Gewaltdelikten häufig Störungen der Exekutivfunktionen.
Zu den exekutiven Funktionen zählen unter anderem das Setzen von Zielen, die strategische Handlungsplanung zur Erreichung dieser Ziele, das Einkalkulieren von Hindernissen auf dem Weg dahin, die Entscheidung für Prioritäten, die Impulskontrolle und emotionale Selbstbeherrschung, die bewusste Aufmerksamkeitssteuerung, das zielgerichtete Initiieren, Koordinieren und Sequenzieren von Handlungen sowie deren motorische Umsetzung und Evaluierung (Müller, 2013). Die Therapiegruppe zur Verbesserung der Exekutivfunktionen gilt nicht nur diesen Fertigkeiten, sondern auch dem Training des Arbeitsgedächtnisses, der kognitiven Flexibilität sowie der Planungsfähigkeit. Bei vielen schuldunfähigen Straftätern finden sich deutliche Defizite in der sozialen Kompetenz, die in darauf ausgerichteten Trainingsgruppen behandelt werden (Hirsch & Pfingsten, 2015).
Ziel der soziale Kompetenzgruppe ist dabei die Vermittlung sozialer Fertigkeiten, sozial-kommunikativer Kompetenzen bzw. prinzipiell des Erlernens, bzw. der Verbesserung grundlegender Fertigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Dabei gilt es zu lernen, die eigenen Rechte adäquat durchzusetzen, Beziehungen zu gestalten, um Sympathie zu werben und, wenn es erforderlich ist, die eigene psychische Beeinträchtigung zu thematisieren. Eine Besonderheit in der Behandlung psychisch kranker Straftäter sind die Kriminaltherapien (Tabelle). Sie werden vor allem bei Patienten eingesetzt, die bereits vor dem Einweisungsdelikt immer wieder Gewalttaten begangen haben, wo also eine Gewaltbereitschaft besteht, die nicht allein auf die psychische Erkrankung zurückzuführen ist.
Umwelteinflüsse führten zu einem kriminellen Lebensstil und zu dementsprechenden Problemlösungsstrategien. Die Grundlage für einen Therapieerfolg ist die Einsicht, dass der Untergebrachte nicht nur dem Opfer, sondern auch sich selbst Schaden zufügt und der bisherige, zumeist wenig reflektierte Lebensentwurf in eine Sackgasse geführt hat. Ist dieser Schritt vollzogen, wird in der Gruppe analysiert, welche Bedingungsfaktoren immer wieder zu Gewalttaten geführt haben. Individuelle Risikoprofile werden erarbeitet, die Ereignisabläufe, die mit einem Delikt endeten, werden analysiert.
Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Erarbeitung von Handlungsalternativen auf Basis des raschen Erfassens prekärer Situationen, auf dem Erlernen von Strategien, zur Lösung von Konfliktsituation und ähnlichem mehr. Geübt wird in Rollenspielen, gefolgt von einer Reflexion in der Gruppe. Ziel ist letztlich die Relativierung devianter Wertehaltungen und das Verinnerlichen neuer Verhaltensmuster. Für Patienten mit Gewaltdelikten wird die gewaltfokussierte Therapiegruppe, für Sexualstraftäter das Sexual Offender Treatment Program (SOTP) angeboten (Müller-Isberner & Gretenkort 2002).
Wiedereingliederung in die Gesellschaft
Spricht der Patient auf die Behandlung an und sind keine verbal oder körperlich aggressiv geführten Auseinandersetzungen mit Personal und Mitpatienten zu beobachten, so kann mit personalbegleiteten Ausgängen begonnen werden. Hier werden Fertigkeiten wie der Umgang mit Geld und die Fähigkeit, sich in komplexen sozialen Situationen zurechtzufinden, geübt bzw. überprüft. Da die spezifische Gefährlichkeit immer in Relation zur Situation nach der Entlassung zu sehen ist, wird in dieser Phase ein sozialer Empfangsraum gesucht, der ausreichend Halt geben und die Einhaltung der Weisungsauflage gewährleisten soll. Der soziale Empfangsraum setzt sich aus zwei Komponenten zusammen.
Die erste betrifft den zukünftigen Wohnsitz nach der bedingten Entlassung. Die Mehrzahl der Untergebrachten lebt nach der bedingten Entlassung in Wohnheimen, die entweder für entlassene Maßnahmenpatienten konzipiert wurden oder in Heimen, die eine Anzahl von Betreuungsplätzen für diese Patienten zu Verfügung stellen. In beiden Fällen muss gewährleistet sein, dass die Medikamenteneinnahme kontrolliert wird und dass die Entlassenen daran erinnert werden, die Termine in der forensischen Ambulanz einzuhalten und nicht unabgemeldet den Wohnplatz zu verlassen. Zentral ist die Kontrolle der Einhaltung der Drogen- und Alkoholkarenz.
Die psychiatrisch-psychotherapeutische Betreuung erfolgt in den meisten Fällen in darauf spezialisierten forensischen Nachbetreuungsambulanzen. Die Betreiber dieser Einrichtungen sind angehalten, dafür Sorge zu tragen, dass sich ihre Mitarbeiter immer am letzten Stand der forensisch- psychiatrischen Erkenntnisse befinden. Im Gegensatz zu klinisch-psychiatrischen Ambulanzen ist eine nachgehende Betreuung für forensisch-psychiatrische Ambulanzen rechtlich verpflichtend. Wenn ein Patient ausbleibt, muss er telefonisch und brieflich aufgefordert werden, die Termine einzuhalten. Ist dieses Vorgehen ohne Erfolg, ist das zuständige Gericht zu verständigen. Wenn der Patient nicht auf die Aufforderungen des Gerichts reagiert, erfolgt zumeist ein Widerruf der bedingten Entlassung.
Als Entlassungsvorbereitung werden sogenannte Unterbrechungen der Unterbringung in das ausgewählte Wohnheim durchgeführt. In dieser Zeit wird schrittweise erprobt, ob sich dieser soziale Empfangsraum für den Patienten als geeignet erweist. Wenn es aggressive Vorfälle gibt oder wenn sich der Patient nicht an die Vorgaben hält, können die Lockerungen jederzeit unterbrochen oder abgebrochen werden. Wenn sich die Betreuungsbedingungen als ausrechend Halt gebend erweisen und es zu keinen Verhaltensauffälligkeiten kommt, erfolgt Entlassungsempfehlung an das zuständige Gericht. Dieses bestellt üblicherweise einen externen Sachverständigen, der ein Prognosegutachten verfasst.
Wenn sich der Gutachter der Einschätzung der Einrichtung anschließt, wird der Patient vom Gericht mit entsprechenden Weisungsauflagen bedingt entlassen. Auflagen umfassen im Allgemeinen die Verpflichtung, den Wohnsitz in der vorgesehenen Betreuungseinrichtung zu nehmen, regelmäßig die forensische Nachbetreuungsambulanz aufzusuchen, die Medikamente wie vorgeschrieben einzunehmen und einer Überprüfung der Medikamenteneinnahme sowie der Alkohol- und Drogenkarenz durch Laboruntersuchungen zuzustimmen. Diese strukturierte Vorgangsweise führt dazu, dass Patienten, die im Maßnahmenvollzug untergebracht waren, deutlich niedrigere kriminelle Rückfallsraten zeigen als Haftentlassene. Funktioniert die Nachbetreuung allerdings nicht, kann sich die Prognose sukzessive verschlechtern, bis letztlich Basisrückfallsraten und historische Variablen die Wahrscheinlichkeit, ein neuerliches Delikt zu begehen, bestimmen.
Literatur beim Autor
Univ.-Prof. Dr. Thomas Stompe
Abteilung für Sozialpsychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Wien