Im Folgenden sollen die Grundlagen der Transkraniellen Magnetstimulation (TMS) und ihre Anwendung in der Psychiatrie überblicksmäßig vorgestellt werden, wobei auf die Wirksamkeit, den potenziellen Wirkmechanismus sowie aktuelle Ansätze und moderne Weiterentwicklungen näher eingegangen wird. (CliniCum neuropsy 3/17)
Die Transkranielle Magnetstimulation (TMS) ist eine nicht invasive Form der Hirnstimulation, die seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Psychiatrie im klinischen Kontext intensiv erforscht wird. Mittlerweile ist die repetitive Anwendung der TMS (rTMS) eine etablierte Alternative zur pharmakologischen Therapie bei behandlungsresistenter Depression, zeigt aber auch bei anderen psychiatrischen Erkrankungen zum Teil vielversprechende Wirkung.
Grundlagen
Die TMS ist eine nicht invasive Form der Hirnstimulation, die auf der von Michael Faraday 1831 entdeckten elektromagnetischen Induktion basiert. Dabei wird mithilfe eines kurzen (<1ms) Stromflusses in einer Spule ein magnetisches Feld mit einer Flussdichte von bis zu vier Tesla induziert. Positioniert man die Spule tangential an den Kopf eines Probanden, so durchdringt das magnetische Feld die Kopfhaut und den Schädelknochen und erzeugt ein ebenso kurzes elektrisches Feld parallel zur Kortexoberfläche, welches Axone depolarisieren und Aktionspotenziale auslösen kann. Die Stärke der so erzeugten Aktionspotenziale hängt dabei wesentlich von der Stimulationsstärke, der Spulenform, -größe und -orientierung, der Entfernung der Spule, sowie der Orientierung des darunterliegenden neuronalen Gewebes ab.
Da das magnetische Feld mit der Entfernung rasch abnimmt, können mit konventionellen Spulen (etwa der im psychiatrischen Kontext häufig verwendeten Schmetterlingsspule) in der Regel nur kortikale Regionen, nicht aber darunterliegende subkortikale Kerne direkt stimuliert werden. Je größer die Spule und je stärker die Stimulation, desto tieferliegende Regionen, z.B. Kortizes in der Wand eines Sulcus, können erreicht und stimuliert werden. Die Spulenform und -größe ist auch ausschlaggebend dafür, wie fokal die Stimulation erfolgt. Während mit einer Rundspule große Bereiche des darunterliegenden neuronalen Gewebes stimuliert werden können, fokussiert sich das Stimulationsgebiet mittels einer Schmetterlingsspule auf wenige Quadratzentimeter. Stimuliert man etwa über dem motorischen Kortex der Hand, können mittels Elektromyographie (EMG) am Zielmuskel motorisch evozierte Potenziale (MEPs) abgeleitet und damit eine direkte Wirkung der TMS quantifiziert werden.
Eine Applikation mehrerer Stimuli hintereinander wird als repetitive TMS (rTMS) bezeichnet, und es zeigte sich, dass rTMS das neuronale Gewebe über die Stimulation hinaus je nach Frequenz erregen oder hemmen kann. Appliziert über dem Handareal, konnte so gezeigt werden, dass eine Stimulationsrate ≤1Hz in der Regel zu einer Verringerung der MEPs im Zielmuskel führte, während Stimulationen über 5Hz in der Regel eine Verstärkung der MEPs zur Folge hatte. Über dem Handareal wird üblicherweise auch die sogenannte motorische Ruheschwelle (resting motor threshold, RMT) bestimmt, die für jedes Individuum bei unterschiedlicher Stimulationsstärke erreicht wird. Die motorische Ruheschwelle gibt jene Schwelle an, ab der 50 Prozent der MEPs mit einer gewissen Stärke (z.B. ≥50μV) auslösbar sind, und dient als Referenz zur Stimulationsbehandlung (z.B. stimulieren viele Studien bei 80, 100 oder 120 Prozent der RMT).
Behandlung mit der repetitiven TMS
Im Jahr 1985 gelang es dem britischen Forscher Antony Barker, Muskelkontraktionen der Hand durch Stimulation des kontralateralen Motorkortex mit der TMS am Menschen hervorzurufen. Seine aufsehenerregenden Experimente wurden sogleich auch zu diagnostischen Zwecken in der Neurologie angewendet, um die Funktionsfähigkeit von motorischen Bahnen zu überprüfen, gaben aber auch mehreren Forschern den Anlass, über die Anwendung der TMS im psychiatrisch-therapeutischen Kontext nachzudenken. In Bonn wurden um Hans-Jürgen Möller und Siegfried Kasper Anfang der 1990er Jahre erstmals Studien durchgeführt, die eine mehrtägige TMS-Behandlung bei Depression untersuchten. Nach einer Reihe von kontrollierten Einzelstudien in den USA und Europa, die einen antidepressiven Effekt, besonders einer hochfrequenten (>5Hz) rTMS über dem linken dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC) nahelegten, folgten nach der Jahrtausendwende erste groß angelegte multizentrische Studien und Metaanalysen, die die antidepressive Wirkung mit moderater bis großer Effektstärke bekräftigten.
Eine multizentrische amerikanische Studie um John O’Readon gab schließlich den Ausschlag, die rTMS als therapeutische Maßnahme bei behandlungsresistenter Depression im Jahr 2008 von der US-amerikanischen Food and Drug Administration, FDA, zuzulassen. In den letzten Jahren haben sich die Publikationen zur TMS in der Psychiatrie weiter vervielfacht, und Richtlinien zu Indikationen und Evidenzgrad der TMS bedürfen einer regelmäßigen Aktualisierung. So ist man sich weiterhin über einen definitiven antidepressiven Effekt hochfrequenter rTMS über dem linken DLPFC mit „Evidenzlevel A“ einig, während ein additiver Effekt zu medikamentöser antidepressiver Behandlung wahrscheinlich ist („Evidenzgrad B“). Bei Angststörungen wird ein möglicher Effekt („Evidenzgrad C“) einer hochfrequenten rTMS des rechten DLPFC und bei Tinnitus einer niederfrequenten rTMS des linken temporo-parietalen Kortex (TPC) angenommen. Ebenso wird ein möglicher Effekt von niederfrequenter rTMS über dem linken temporo-parietalen Kortex für die Behandlung akustischer Halluzinationen angenommen, während der wahrscheinliche Effekt („Evidenzgrad B“) einer hochfrequenten rTMS über dem linken DLPFC bei Schizophrenie mit Negativsymptomatik durch neue, groß angelegte Studien, wieder infrage gestellt wird.
Grundsätzlich ist man sich heute einig, dass eine Behandlung mit der TMS mindestens über drei bis vier Wochen andauern sollte. Eine Tendenz zu einer steigenden „Dosis“ ist auch im Sinne höherer Stimulationsstärken und höherer Frequenzen in den letzten Jahren zu vermerken. Befolgt man die Standards, die zur Qualitätssicherung in der Forschung und Routineversorgung festgelegt sind, so kann von der TMS als vielversprechende, sichere und nebenwirkungsarme Therapieform gesprochen werden. Gängige Nebenwirkungen können Mitstimulation peripherer Nerven und lokale Muskelzuckungen sein, welche vorübergehende Parästhesien, Kopf-, Nackenund Kieferschmerzen zur Folge haben.
Wirkmechanismus
Da mehrere Studien zeigen konnten, dass hochfrequente rTMS generell fazilitierende und niederfrequente rTMS eher inhibitorische Effekte hatte, äußerten Forscher die Vermutung, dass es sich bei den Poststimulationseffekten der rTMS um vergleichbare Wirkmechanismen wie der Langzeitpotenzierung und Langzeitdepression in Tierstudien handeln könnte. Damit sah man in der rTMS das Potenzial, direkt auf dysfunktionale Regionen und Netzwerke in psychiatrischen Erkrankungen Eingriff zu nehmen. Eine häufig beobachtete Hypoaktivität/ein Hypometabolismus des linken DLPFC bei Depression (gemessen etwa durch fMRT oder FDG-PET) müsste folglich mit hochfrequenter exzitatorischer rTMS behandelt werden, während eine hyperaktive rechte Hemisphäre einer niederfrequenten, inhibitorischen rTMS bedarf. In der Tat konnten mehrere Bildgebungsstudien einen solchen Effekt der Stimulation auch nachweisen.
Neben dieser interhemisphärischen Dysbalance-Hypothese der Depression existiert aber auch die generelle Ansicht einer präfrontalen Dysfunktion, die von einer fehlenden Topdown-Kontrolle limbischer Emotionsverarbeitung ausgeht und damit der „kognitiven Hypothese“ der Depression direkt zugrunde liegt. Forscher, die diese Theorie verfolgen, sehen die therapeutische Wirkung der rTMS vor allem darin, dass ganze Netzwerke, insbesondere das sogenannte „Salience-Netzwerk“, durch die Stimulation aktiviert werden, wodurch andere, v.a. cortico-limbische und cortiko-striatale Emotionsund Motivationsnetzwerke, in Schach gehalten werden können. Aus dieser Sicht sollte eine exzitatorische Stimulation, die auf das Salience-Netzwerk abzielt (etwa durch Stimulation des DLPFC oder auch des dorsalen anterioren cingulären Kortex, dACC) auch eine therapeutische Wirkung bei Zwangs oder Suchterkrankungen haben. Und tatsächlich zeigte eine erste kürzlich erschienene kanadische Studie eine therapeutische Wirkung bei OCD sowie einen entsprechenden Effekt auf die zugrundeliegenden Netzwerke.
Auch in der Behandlung von Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises geht man von einer Beeinflussung dysfunktionaler Regionen und Netzwerke aus. Einer häufig beobachteten erhöhten Aktivität im auditorischen Kortex bei akustischen Halluzinationen setzt man niederfrequente inhibitorische rTMS entgegen. Aber auch die Dopaminhypothese der Schizophrenie steht im Einklang mit der therapeutischen Wirkung der rTMS, denn Studien konnten einen modulatorischen Effekt frontaler rTMS auf das mesolimbische und mesostriatale Dopaminsystem sowie auf die extrastriatale Dopaminausschüttung nachweisen. Eine Vielzahl weiterer funktioneller Bildgebungsstudien mittels PET und fMRT legen schließlich den Schluss nahe, dass die rTMS nicht nur lokale Effekte am Stimulationsort selbst hat, sondern auch auf Hirnregionen modulatorischen Einfluss nimmt, die mit der Stimulationsregion über Netzwerke verbunden sind.
Aktuelle Forschung und Ausblick
Die aktuelle TMS-Forschung schreitet an mehreren Fronten rasant voran. Innovationen gibt es etwa in der Entwicklung neuer Spulen, beispielsweise der sogenannten „double cone coil“ oder der „H-coil“, mit der tieferliegende Regionen stimuliert werden können. Für eine solche Stimulation existiert auch bereits ein eigener Begriff, die sogenannte „Deep TMS“. Ferner verwenden viele TMS-Labs heute auch Instrumente zur Neuronavigation, um den Stimulationsort individuell (etwa in Form von funktionellen oder strukturellen MRTAufnahmen) exakt zu bestimmen. Dies scheint deshalb vielversprechend, da mehrere Studien zeigen konnten, dass der optimale Stimulationsort bei behandlungsresistenter Depression im DLPFC wesentlich von der funktionellen Konnektivität mit dem subgenualen ACC abhängt. Je stärker eine negative Korrelation zwischen Stimulationsort und subgenualem ACC, umso höher war der antidepressive Behandlungseffekt.
Ein weiteres aktuelles Forschungsgebiet beschäftigt sich neben der Effektivität der TMS auch mit der Frage der Effizienz. Übliche Behandlungsparameter bei rTMS stellen 30bis 40-minütige Sitzungen pro Tag über einen Zeitraum von mehreren Wochen dar. Eine neue Form der TMS, die sogenannte Theta-Burst Stimulation (TBS), scheint hier besonders vielversprechend, um den zeitlichen Aufwand zu minimieren. Eine kanadische Studie konnte kürzlich zeigen, dass sich die Behandlungszeit mit TBS bei gleicher Effektivität im Vergleich zu herkömmlicher rTMS um wenige Minuten pro Tag reduziert. Für die TBS wurden zwei Formen mit entgegengesetzter Wirkung entwickelt, eine intermittierende Form (iTBS) mit exzitatorischer Wirkung und eine kontinuierliche Form (cTBS) mit inhibitorischer Wirkung. Die TBS hat damit hohes Potenzial für eine Vielzahl an Indikationen mit mindestens so hoher Effektivität, wie herkömmliche rTMS, aber deutlich verbesserter Effizienz.
Weltweit aktuell laufende Studien mit TBS oder rTMS untersuchen auch die Wirksamkeit verschiedener Behandlungsparameter, wie etwa der optimalen Anzahl an Sitzungen pro Tag, der Dauer zwischen den Sitzungen, der Anzahl und Frequenz applizierter Stimuli pro Sitzung und dem optimalen Stimulationsort. Ein topaktuelles Forschungsinteresse gilt schließlich auch der Frage, inwieweit die Behandlung mit TMS individuell auf den Patienten optimal zugeschnitten werden kann. Hier wird besonders die Abstimmung mit der individuellen Hirnaktivität während der Stimulation, gemessen etwa mit Echtzeit-EEG oder -fMRT, intensiv erforscht. Begriffe wie „closed-loop“ oder „brain statedependent stimulation“ bringen diese Stoßrichtung zum Ausdruck. Die TMS-Forschung gliedert sich damit in die aktuelle psychiatrische Forschung ein, die das Ziel einer optimierten und individualisierten Behandlung, gemessen an objektiven Markern, verfolgt.
Literatur beim Verfasser
Von Priv.-Doz. Mag. Dr. Georg S. Kranz