Kompetente Fachberatung, der Austausch mit anderen Betroffenen oder ergänzende therapeutische Angebote stärken die Selbstbestimmung der Patienten, und dies begünstigt die Krankheitsbewältigung, betont der Präsident der Gesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Fritz Leutmezer, beim Besuch von CliniCum neuropsy im Beratungszentrum der MS-Gesellschaft Wien.

Dass Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose (MS) neben spezialisierten Behandlungszentren bzw. Fachärzten eine Anlaufstelle brauchen, die ein ganzheitliches Beratungs- und Betreuungsangebot bietet, davon ist Univ.-Prof. Dr. Fritz Leutmezer überzeugt. Für den Präsidenten der Wiener MS-Gesellschaft und Oberarzt an der Wiener Universitätsklinik für Neurologie sind dabei drei Aspekte von Bedeutung: „Zunächst erhalten Patienten und ihre Angehörigen hier am MS-Beratungszentrum im 17. Wiener Bezirk überprüfbare und rationale Informationen rund um das Erkrankungsbild.“

Immerhin werden durch das Internet Fehl- und Falschinformationen rund um MS und ihre Behandlungsmöglichkeiten geradezu explosionsartig verbreitet. „Der zweite Aspekt ist die kompetente Beratung in sozialrechtlichen Fragen, die Patienten hier erhalten. Ich kann als Arzt schließlich nicht alle aktuellen Bestimmungen kennen“, betont Leutmezer. Wie sehr sich das Team der MS-Gesellschaft für die Patienten im Bedarfsfall einsetzt, schildert Leutmezer am Beispiel eines jungen Mannes mit einer chronischen Verlaufsform. „Dieser Patient wünschte sich einen Elektrorollstuhl, der ihm jedoch nicht bewilligt wurde. Als Grund dafür wurde neben der schweren Verlaufsform eine mögliche kognitive Einschränkung angegeben.

Leutmezer: „Letztlich ergeben sich hier Möglichkeiten im Sinne eines ganzheitlichen Behandlungskonzepts, die weder eine MS-Ambulanz noch eine Ordination bieten kann.

Leutmezer: „Letztlich ergeben sich hier Möglichkeiten im Sinne eines ganzheitlichen Behandlungskonzepts, die weder eine MS-Ambulanz noch eine Ordination bieten kann.

Den Mitarbeiterinnen der MS-Gesellschaft ist es schließlich gelungen, dass er die entsprechende Bewilligung und damit auch den Elektrorollstuhl erhielt.“ Möglich werden kleine und große Erfolge für die Patienten durch die Fachkenntnis und vor allem durch das hohe persönliche Engagement des gesamten Teams. Der dritte Aspekt ist laut Leutmezer die Möglichkeit, in einer der von der MS-Gesellschaft unterstützten Selbsthilfegruppen oder bei Veranstaltungen mit anderen Betroffenen in Kontakt zu kommen und dadurch individuelle Strategien der Krankheitsbewältigung kennenzulernen: „Letztlich ergeben sich hier Möglichkeiten im Sinne eines ganzheitlichen Behandlungskonzepts, die weder eine MS-Ambulanz noch eine Ordination bieten können.“

Ein realistisches Bild zeichnen

Nach wie vor sehen sich MS-Spezialisten mit der Tatsache konfrontiert, dass die Erkrankung nicht heilbar ist. „Wir haben in den letzten Jahren allerdings speziell bei der schubförmigen Verlaufsform enorme Fortschritte erzielt, und es ist in vielen Fällen möglich, eine gute Lebensqualität mit MS zu haben.“ Dennoch gelte die Erkrankung nach wie vor als stark stigmatisiert – „vermutlich noch mehr als etwa Krebserkrankungen“, meint Leutmezer. Als eine von insgesamt acht Landesgesellschaften, die unter dem Dach der Österreichischen MSGesellschaft vereint sind, setzt sich die MS-Gesellschaft Wien auch dafür ein, das öffentliche Bild von MS zurechtzurücken.

„Die Angst, eines Tages auf den Rollstuhl angewiesen zu sein, sowie die Tatsache, dass Menschen mit der Diagnose automatisch nicht mehr als leistungsfähig angesehen werden, sind die größten Fehlmeinungen zu MS“, sagt Leutmezer. „Es sind schlichtweg unattraktive Vorstellungen, die in der öffentlichen Meinung noch immer mit MS verknüpft sind.“ Dabei benötigt selbst ohne entsprechende Behandlung nur ein Drittel der Patienten nach 25 Jahren einen Rollstuhl. „Durch die frühe und wirksame Behandlung wird diese Zahl reduziert, um wie viel, lässt sich allerdings noch nicht genau sagen“, so Leutmezer.

Wenn es durch die Informationstätigkeit und das Beratungsangebot der MS-Gesellschaft gelingt, den Patienten zu einer realistischen Krankheitsverarbeitung und -bewältigung zu verhelfen, dann wirkt sich dies auch auf die Prognose günstig aus. „Ich bin davon überzeugt, dass es letztlich auch uns Ärzten hilft, wenn sich die Patienten besser fühlen – dies ist einer der Gründe, mich für die MS-Gesellschaft einzusetzen“, betont Leutmezer. Zudem sei der Arbeitsaufwand – dank der Unterstützung des hauptamtlichen Teams – durchaus „überschaubar“.

Empowerment

Die Ängste der Patienten und ihrer Angehörigen, die vielfach auf fehlendem Wissen oder nur lückenhaften Informationen zur Erkrankung beruhen, spiegeln sich auch in den Anfragen wider, bestätigt Mag. Elisabeth Reeh, die bei der MS-Gesellschaft Wien für PR und Fundraising verantwortlich ist. Stichwort Finanzierung: Neben Mitteln aus dem Fonds Soziales Wien ist die Gesellschaft auf Spenden sowie Sponsoring angewiesen, um das Beratungszentrum betreiben zu können. Die acht hauptamtlichen Mitarbeiterinnen verfügen neben ihrer fachlichen Qualifikation als Sozialarbeiterinnen und Psychotherapeutinnen vor allem über fundiertes krankheitsspezifisches Wissen. Übergeordnetes Ziel ist es, vor allem die Selbstbestimmung bzw. das Empowerment der Patienten zu fördern.

Ehrenamt für Betroffene

„Seit Kurzem bemühen wir uns zudem darum, ehrenamtliche Mitarbeiter zu gewinnen, die durchaus selbst Betroffene sein können bzw. sollen; sie können hier ein vielfältiges und ihren Bedürfnissen entsprechendes Aufgabengebiet finden, etwa in der Organisation unserer Veranstaltungen“, berichtet Reeh. Generell ist es dem Team der MS-Gesellschaft ein großes Anliegen, an MS-Erkrankte beim Erhalt ihrer Arbeitsfähigkeit bzw. ihres Arbeitsplatzes zu unterstützen – das Know-how dafür ist jedenfalls vorhanden. Geht es um die Inanspruchnahme der Psychotherapie, so gebe es im Übrigen keine „prototypische Problemlage“, die mit MS verknüpft sei, sagt Katharina Schlechter Psychotherapeutin sowie Leiterin der Sozialberatung bei der MS-Gesellschaft Wien.

„Häufig machen wir allerdings die Erfahrung, dass die Patientinnen und Patienten vor der Diagnose bereits viele belastende oder gar schicksalhafte Lebenserfahrungen gemacht haben, die sie im Rahmen der Psychotherapie bearbeiten wollen.“ Auch die Vereinbarkeit der Erkrankung mit dem Berufsleben oder Studium ist ein mögliches Thema in der Psychotherapie. Eine praktische Lebenshilfe oder Ratschläge zur Bewältigung von Stressoren im Alltag zu vermitteln sei allerdings nicht die primäre Aufgabe der Psychotherapie. Spezifische Fragen der Krankheitsbewältigung oder auch alternative Therapieformen bei MS werden jedoch regelmäßig in den Informationsveranstaltungen bzw. Vorträgen und Symposien behandelt.

Auch erscheint vierteljährlich die Zeitschrift „MS Aktuell“ mit Tipps und Informationen für Patienten und Angehörige. Eine der Informationsbroschüren widmet sich dem Thema „Diagnose MS – Seelische Probleme und Krankheitsbewältigung“ (Autorin: Dr. Elke Knauder): Seelische Reaktionen auf die Diagnose und den Krankheitsverlauf werden darin ebenso angesprochen wie das Thema Zukunftsängste oder Sexualität bei MS.

Individualität berücksichtigen

„Eines ist natürlich klar: die meisten Patienten, die ins Beratungszentrum kommen, sind schwerer betroffen und haben entsprechend großen Beratungs- und Betreuungsbedarf“, resümiert MS-Spezialist Leutmezer. Es dürfe daraus aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass MS eine schwere bzw. stets mit großen Einschränkungen einhergehende Erkrankung sei. „Kein MS-Patient gleicht dem anderen, jede Verlaufsform ist individuell“, ergänzt Reeh. Darum möchte sich das Team weiterhin dafür einsetzen, die Krankheit bekannter zu machen und vieles von ihrem Schrecken zu nehmen. Auch soziale Medien werden seit Kurzem dafür genutzt: So gibt es in Zusammenarbeit mit der internationalen MS-Gesellschaft im virtuellen Raum unter #strongerthanMS auf Twitter die Möglichkeit zur Begegnung und zum Austausch über Multiple Sklerose mit Menschen rund um den Globus.

Information: www.msges.at

Foto: MS-Gesellschaft Wien

MS-Gesellschaft Wien: die Fakten

Die MS-Gesellschaft Wien ist ein Verein mit rund 1.000 Mitgliedern. Acht hauptamtliche Mitarbeiterinnen unter der Leitung von Geschäftsführerin Karin Krainz-Kabas kümmern sich im Beratungszentrum im 17. Wiener Bezirk um soziale und sozialrechtliche Fragen, bieten kostenlose Psychotherapie für Patienten und Angehörige im Umfang von bis zu 20 Stunden sowie drei Bewegungsgruppen. Ebenso unterstützt die MS-Gesellschaft fünf Selbsthilfegruppen im Raum Wien. Rund 700 Betroffene und weitere 100 Angehörige besuchen jährlich das Beratungszentrum, hinzu kommen regelmäßige Kontakte mit den Wiener MS-Zentren bzw. Spezialambulanzen.

„Die MS-Gesellschaft Wien ist die erste Anlaufstelle für MS-Betroffene und ihre Angehörigen“, sagt Krainz-Kabas. Basierend auf Fachkompetenz und krankheitsspezifischem Wissen könne das Team den Klienten speziell in unsicheren Zeiten – etwa nach der Diagnosestellung oder im weiteren Verlauf der Erkrankung – Sicherheit bieten.

Bei verschiedenen Veranstaltungen informieren die Mitarbeiter zum Thema MS, alljährlich zum Welt- MS-Tag im Mai gibt es einen Tag der Offenen Tür und spezielle Presseinformationen für die Medien. Die Finanzierung des Vereins erfolgt aus Mitteln der Stadt Wien, darüber hinaus ist man auf die Unterstützung durch Spenden bzw. Sponsoren angewiesen.

Gemeinsam mit sechs weiteren Landesorganisationen ist die MS Gesellschaft Wien unter dem Dach der Österreichischen Multiple Sklerose Gesellschaft (ÖMSG) zusammengefasst. Charakteristisch für die Landesorganisationen ist es, dass nicht nur Betroffene, sondern auch MS-Spezialisten (Neurologen) zu ihren Mitgliedern gehören: sie sind also Arzt-Patient-Organisationen. Die ÖMSG selbst kümmert sich unter anderem um die bundesweite Information und Aufklärung zur Multiplen Sklerose, etwa durch das Informationsmagazin „Neue Horizonte“ oder über die Homepage www.oemsg.at.
Präsident der ÖMSG ist Prim. em. Dr. Ulf Baumhackl.

Autor: Mag. Christina Lechner