Die unterschiedlichsten organischen Störungen des Gehirns, sei es intra- oder extrazerebral verursacht, können zum gemeinsamen klinische Bild des Delirs (= Delirium) führen. Die Kernsymptome des Delirs sind Verwirrtheit (= qualitative Bewusstseinsstörung) oder auch Somnolenz bis Koma (= quantitative Bewusstseinsstörung). Die Symptomatik entsteht akut (z.B. die Dekompensation beim dementiellen Zustandsbild oder postoperativ) und fluktuiert im Tagesverlauf. Im ICD-10 (F05.0) und in der wissenschaftlich häufig verwendeten Confusion Assessment Method (CAM, nach Inouye et al, 1990) wird die Bewusstseinsstörung als Aufmerksamkeitsstörung bewertet. Psychomotorische Auslenkungen (hyper- oder hypoaktiv bzw. agitiert oder still), Denkstörungen, Wahrnehmungsstörungen (insbesondere optische Halluzinationen), Wahnphänomene und Schlafstörungen sind weitere Symtome.
Mittels der körperlichen Untersuchung und medizinischer Hilfsbefunde soll es gelingen, möglichst schnell die Delir-verursachenden organischen Erkrankungen zu diagnostizieren, wonach die wesentliche kausale Therapie des Delirs durchgeführt werden muss. Die ärztliche Diagnostik und Behandlung erfordert notfallmedizinische, internistische, neurologische, psychiatrische und psychopharmakologische Kenntnisse.
Die Psychopharmaka der ersten Wahl zur Behandlung des Delirs sind die Antipsychotika. Tatsächlich sind nur Haloperidol Tabletten und Ampullen (intramuskulär) zur Behandlung des Delirs zugelassen. Seit 2010 ist die intravenöse Applikation von Haloperidol von Seiten der Arzneimittelbehörden nicht mehr zugelassen, weil sie QTc-Verlängerungen und Herz-Rhythmus-Störungen auslösen kann. Neben Haloperidol hat nur Risperidon eine Zulassung innerhalb der organischen Psychosyndrome, nämlich bei Aggression bei Demenz. Alle anderen Antipsychotika werden beim Delir (= akute organische Psychose) de facto „off label“ verordnet. Für alle Neuroleptika bzw. Antipsychotika gilt, dass sie in der Behandlung des Delirs einen geringen Evidenzgrad haben, weil Placebo-kontrollierte doppelblinde Studien dazu rar sind.
Zusammenfassend wurden in klinischen Studien in verschiedenen Verum-Verum Konstellationen (in alphabetischer Reihenfolge) Amisulprid, Aripiprazol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidone und Haloperidol (häufig als Kontrollsubstanz) doppelblind verglichen. Die Studien zeigten eine vergleichbare Wirksamkeit verschiedener Antipsychotika innerhalb einer Woche mit einer Responserate von 75 % bei verschiedenen Ursachen des Delirs (Meagher et al, 2013). In der Regel werden beim Delir Dosierungen geprüft und empfohlen, die unter jenen bei Schizophrenie liegen, z.B. Risperdal 2 mg, Olanzapin 10 mg, Amisulprid 200 mg aber auch Quetiapin 400 mg oder Aripiprazol 15 bis 20 mg. Vielleicht wäre die Wirksamkeit der Antipsychotika in der Behandlung des Delirs (noch) höher, wenn hohe Dosierungen verwendet werden würden. Indem die Antipsychotika der zweiten Generation („Atypika“) in vergleichenden Studien dem Haloperidol äquipotent waren, spricht die ausgewiesen bessere Verträglichkeit für den Einsatz der Atypika.
Vergangenes Jahr ist im New England Journal of Medicine (Girard et al, 2018) ein Artikel erschienen, in dem Haloperidol intravenös (maximal 20 mg) und Ziprasidone intravenös (maximal 40 mg pro Tag) an Intensivstationen (ICU) doppelblind mit Placebo verglichen wurden. Das Ergebnis war bezüglich beider Verum-Substanzen leider negativ. An dieser Studie waren ab 2010 unter der Leitung einer Gruppe in Nashville 16 Zentren beteiligt. Es wurden 20.914 PatientInnen vor geplanten Intensiv-Behandlungen (inkl. Atemversagen, Schocksymptomatik) gescreent (Ausschlusskriterien waren z.B. Demenz, QTc-Verlängerung). Für das Prüfprotokoll geeignet und auch einverstanden waren 1.183 PatientInnen; sie stimmten zu, dass sie im Falle eines Delirs im Zuge der erwarteten maschinellen Beatmung randomisiert Ziprasidone/Haloperidol/Placebo erhalten würden. Tatsächlich entwickelte dann etwa die Hälfte, nämlich 566 Patienten, ein Delir und wurde mit den 3 Prüfsubstanzen behandelt (in jeder der 3 Gruppen etwa 190 Patienten). Die Zahlen werden hier genannt, um den enormen Aufwand einer solch wichtigen Studie zu beschreiben. Innerhalb des 14-tägigen Beobachtungszeitraumes waren die Patienten aller 3 Gruppen durchschnittlich 7 Tage ohne Delir und 4 Tage mit Delir. Die Studien-Medikation wurde aber im Mittel nur 4 Tage gegeben, was das negative Ergebnis miterklären könnte. Ein weiterer Grund für das negative Ergebnis könnte die Schwere der Erkrankung sein, wofür die Effektstärken der Prüfsubstanzen nicht reichen könnten; immerhin gab es in jeder der 3 Gruppen innerhalb der ersten 14 Tage eine Mortalität von knapp über 20%. Andererseits ist die Effizienz der Antipsychotika innerhalb dieser beatmeten internistischen oder chirurgischen Patienten besonders relevant. Ein weiterer Kritikpunkt ist die relativ niedrige Dosis von Ziprasidone (ZeldoxR) im Vergleich zu Haloperidol (vgl. Äquivalenzdosierungen, Defined Daily Doses der WHO). Der hauptsächliche Diskussionspunkt aber ist, dass bei den untersuchten Patienten (Durchschnittsalter 60 Jahre) 88% ein hypoaktives Delirium zeigten, aber nur 22% ein hyperaktives. Es könnte sein, dass die in der klinischen Routine und in etlichen anderen Studien beschriebene Wirksamkeit der Antipsychotika beim Delir zu einem guten Teil auf ihrer sedierenden Wirkung („gegen Agitation“) fußt. Tatsächlich haben psychopharmakologische Studien selten zwischen hyper- und hypokinetischem Delir differenziert, was teilweise auch mit Mischformen bei einem typischerweise undulierenden Verlauf zu rechtfertigten ist. Der Kliniker sieht beim Delir bei Agitation wohl zu Recht ein Antipsychotikum vor, aber zum Einsatz selbiger beim hypoaktiven Delir findet er in den Guidelines keine klare Empfehlung.
Univ. Prof. Dr. med. Richard Frey, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Universität Wien
Mehr zum differenzierten Einsatz von Antipsychotika und anderen Psychopharmaka beim Delir (inklusive Tabellen und Abbildungen) finden Sie in unseren kürzlich erschienenen Artikel:
Friedrich ME, Kasper S, Frey R (2018) DFP-Literaturstudium: Die Psychopharmakologie des Delirs. Delir: interdisziplinäre klinische Herausforderung. DFP-Artikel. CliniCum neuropsy 5: 10-18