2. ÖGPB Newsletter 2020

Ao. Univ.-Prof. DDr. Gabriele Sachs

Ao. Univ.-Prof. DDr. Gabriele Sachs

Past-Präsidentin der ÖGPB

Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Medizinische Universität Wien

Psychische Folgen der SARS-CoV-2-Pandemie

Der Ausbruch des Coronavirus stellt für viele Menschen eine große Herausforderung dar, Stressreaktionen und Angstzustände können

die Folge sein. Die umfangreichen Maßnahmen und Beschränkungen im Alltag erhöhen die psychische Belastung zusätzlich.

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschleunigt sich die Coronavirus-Pandemie weiter und hat bereits mehr als 400.000 registrierte Fälle weltweit erreicht, siehe Coronavirus update World Health Organisation, Stand: 26. 3. 2020.1 Es wird berichtet, dass es 67 Tage gedauert hat, bis die ersten 100.000 Fälle bestätigt waren, 11 Tage für die zweiten 100.000 und nur vier Tage für die dritten 100.000. In einigen besonders stark betroffenen Ländern stellt sich die Situation sehr dramatisch dar, unter anderem auch für die MitarbeiterInnen des Gesundheitssystems.2, 3 Es zeigte sich, dass Personen, die in Gesundheitsberufen unmittelbar in Diagnostik und Behandlung tätig waren, ein höheres Risiko hatten, Depressionen, Angstzustände, Schlafstörungen und Stressreaktionen zu entwickeln.4

In Österreich zielen Maßnahmen der Bundesregierung derzeit hauptsächlich darauf ab, die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Coronavirus zu verlangsamen, damit das Gesundheitssystem möglichst gut mit den steigenden Infektionszahlen umgehen kann. Es wird eine Reihe von Maßnahmenpaketen und Ausgangsbeschränkungen ausgerufen. Die österreichische Ärztekammer informiert seit Beginn der Corona-Krise regelmäßig über aktuelle Informationen in den „SARS-CoV-2-News“ und stellt auch ein E-Learning-Programm zur Verfügung, wie zu „SARS-CoV-2 – aktueller Stand: virologisch, epidemiologisch und klinisch“. Für die Intensivmediziner wurde eine antivirale Behandlungsleitlinie für Covid-19-Patienten nach dem Stand des Wissens von einem Autorenteam der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) erstellt. Eine antivirale medikamentöse Therapie ist erst bei einem schweren Erkrankungsverlauf bei Spitalspatienten angebracht. Derzeit existieren noch kaum klinische Studien, die ersten Ergebnisse aus Anwendungsbeobachtungen sind vorläufig. In diesen Leitlinien sind mögliche Behandlungsoptionen angeführt, mit der Anmerkung, dass das Evidenzlevel als sehr gering zu betrachten ist (OEGARI-ICU-Therapy-Guideline: www.anaesthesie.news).

 Nach den neuesten Zahlen der WHO sind bereits 200 Länder von der Coronapandemie betroffen (Stand 26. 3. 2020). Untersuchungen in China und Japan beschreiben die psychologischen Folgen der Coronapandemie.5–7 Die Zunahme an Ausbreitung von Coronafällen geht mit einer zunehmenden Angst und Panik sowie Stressreaktionen wegen einer möglichen realen oder vorgestellten Bedrohung durch das Virus einher. Stigmatisierungen und Xenophobie nehmen zu. Wenn die wahrgenommene Bedrohung wächst, kommt es zum Horten von Atemmasken und medizinischen Produkten. Es ist anzunehmen, dass bei Stigmatisierung, Misstrauen in das medizinische Versorgungssystem und Vorhandensein von Verschwörungstheorien die empfohlenen Maßnahmen weniger gut eingehalten werden. Häufig diagnostiziert werden Angststörungen und Schlafstörungen, häusliche Gewalt kann zunehmen. Weiters können unspezifische Symptome wie phobische oder panikartige Zustände oder psychoseähnliche Symptome auftreten.

Bisher gibt es noch keine systematischen Studien über den Effekt der SARS-CoV-2-Pandemie auf die psychische Gesundheit.

In China wurden kürzlich erste statistische Daten eines psychologischen Dienstes in der Stadt Wuhan analysiert. Ausgewertet wurden 2144 Hotline-Anrufe im Zeitraum vom 4. bis 20. Februar 2020, mit folgenden Ergebnissen:

Unter den Anrufern hatten 47,3% Angstzustände, 19,9% Schlafprobleme, 15,3% somatoforme Symptome, 16,1% depressive Symptome und 1,4% andere emotionale Zustände (wie Einsamkeit, Müdigkeit und Unruhe). 39% der Anrufer suchten Unterstützung bei der Bewältigung von Aufgaben des alltäglichen Lebens (u. a. Einkaufen, Verkehr, Umgang mit einer medizinischen Diagnose und Behandlung und Erwerb von Schutzmasken). 19,6% berichteten von Angst, Unruhe und Schlaflosigkeit, die durch Medienberichte über die Epidemie und die Reaktion der Gesellschaft verursacht wurden. 15,7% berichteten über Panik, ein Engegefühl in der Brust und körperliche Symptome ohne Verdacht auf eine Lungenentzündung (somatoforme Symptome). 4,3% hatten Symptome einer Lungenentzündung vermutet und waren besorgt über eine mögliche Infektion. 21,4% hatten andere psychosoziale Probleme (wie zwischenmenschliche Konflikte in der Familie und Probleme am Arbeitsplatz). Der emotionale Stress äußerte sich auch in Form von körperlichen Beschwerden, wie Herzklopfen, Atemnot, Engegefühl in der Brust, Magen-Darm-Beschwerden, Schwindel, Kopfschmerzen, Einschlafstörungen und Albträumen.

In einer umfangreichen Befragung8 von 1304 Personen zeigte sich, dass 2 Wochen nach Ausbruch von SARs-CoV-2 insgesamt 53,8 % sich moderat bis schwer psychisch beeinträchtigt fühlten. 16,5% gaben an, an depressiven Symptomen zu leiden, 28,8% an Angstzuständen und 8,1% an Stress. Das Ausmaß der psychischen Symptomatik war höher, wenn zusätzlich auch physische Symptome wie zum Beispiel Schüttelfrost, Schnupfen, Husten oder Schmerzsymptomatik vorhanden waren. In der Analyse der soziodemografischen Daten wurde deutlich, dass vor allem Frauen mehr vom Ausbruch der Erkrankung beeinträchtigt waren, es fand sich eine höhere Ausprägung in den Angst- und Depressionswerten. Dieses Ergebnis entspricht den bekannten epidemiologischen Daten. Die Schwere der depressiven Symptomatik war auch abhängig vom Grad der Schulbildung. Einen positiven Einfluss auf die psychische Beeinträchtigung hatten ausreichende aktuelle Informationen über die Erkrankung und Ausbreitung sowie Präventionsmaßnahmen wie Tragen von Masken oder regelmäßige Händedesinfektion.8

Besonders vulnerabel sind bei zunehmender Panik und Bedrohung durch die SARS-CoV-2-Erkrankung PatientInnen mit bereits bestehenden psychischen Störungen.

Ein Auftreten von psychiatrischen Erkrankungen beziehungsweise eine Verschlechterung bei vorhandenen psychischen Störungen werden vermehrt berichtet.

Spezifische psychische Symptomatik als Folge von SARS-CoV-29, 10

Angstsymptome

Die wahrgenommene Bedrohung durch das Coronavirus kann Angst und Panikreaktionen auslösen. Besonders zu erwarten sind Ängste, sich zu infizieren, wenn SARS-CoV-2-ähnliche Symptome auftreten, oder dass Angehörige erkranken könnten. Auch das Nichtvorhandensein einer effektiven Therapie kann Angstzustände auslösen. In den meisten Fällen werden diese Symptome nicht alle Kriterien einer DSM-5-Angststörung erfüllen. Eine Erhebung in China, die im Februar publiziert wurde, zeigte, dass bei 42,6% Angstzustände im Zusammenhang mit dem Coronavirus vorlagen. Eine aktuelle Analyse berichtet, dass Quarantäne mit Angstzuständen und Schlafstörungen einhergeht.

 Zwangssymptome

Zwanghaftes Waschen und Reinigen, ein Hauptsymptom der Zwangsstörung, kann verstärkt auftreten und kann auch zur Verwendung von toxischen Reinigungsmitteln führen. Die Zwangsvorstellung einer Kontamination kann durch die zunehmende Bedrohung einer möglichen Infektion verstärkt werden.

 Psychotische Symptome

Misstrauen in medizinische Maßnahmen sowie Verschwörungstheorien können eher PatientInnen mit psychotischen Erkrankungen betreffen. Durch die ständige Konfrontation mit angstmachenden Informationen, wie dramatischer Zunahme der Ausbreitungsraten des Coronavirus, aber auch durch Fehlattribuierungen von körperlichen Symptomen können zu wahnhaften Zuständen mit möglicher psychiatrischer Dekompensation führen.

Depressive Symptomatik

Zunehmende soziale Distanzierung als wichtige Maßnahme in der Reduktion der Ausbreitung des Coronavirus kann zu Gefühlen der Vereinsamung führen und einen Trigger für eine depressive Episode darstellen.

Traumatische Stressreaktion

Menschen, die sich in Quarantäne begeben müssen, können traumatische Stressreaktionen erleben. Daten von der früheren SARS-Epidemie zeigen eine Prävalenz von 29% der Betroffenen. Auch bei Kranken, die intensivmedizinisch versorgt werden müssen, kann eine psychische Traumatisierung die Folge sein.

Bei PatientInnen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, können sich die klinischen Symptome verschlechtern. Beispielsweise könnten PatientInnen mit posttraumatischen Belastungsstörungen jetzt wieder die für ihre Erkrankung ursächlichen Symptome erneut erleben.

Unter Berücksichtigung der derzeitigen akuten Bedrohungen, die Menschen durch die Pandemie erleben, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen generell Epidemien von Infektionserkrankungen oder traumatische Erfahrungen, wie Kriegserlebnisse, auf die psychische Gesundheit haben und ob nicht bei akuter Bedrohung des Lebens und der Existenz psychische Störungen in den Hintergrund treten. In der Literatur finden sich dazu wenige, aber auch unterschiedliche Ergebnisse, die sich in der Methode und dem Zeitpunkt der Untersuchungen unterscheiden. So wurde beschrieben, dass HIV, aber auch Tuberkulose mit einer höheren Rate an psychischen Erkrankungen assoziiert ist.11 Wie Studien zeigen, nehmen die Depressionsraten oft erst nach Abklingen einer Infektionserkrankung zu.12 Eine Zunahme der psychischen Symptome konnte auch nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima berichtet werden.13 Weitere Untersuchungen wurden zur Häufigkeit der Suizide vor und nach Kriegsereignissen durchgeführt.14, 15

Die derzeitige SARS-CoV-2-Pandemie kann die psychische Gesundheit eines jeden beeinträchtigen, jedoch besonders betroffen können Menschen mit psychischen Störungen sein. Angstzustände, von der Erkrankung betroffen zu sein, als auch eine zunehmende Einsamkeit und soziale Isolierung können Trigger für klinische Symptome sein und bestehende psychische Erkrankungen verschlechtern.

Das Ausmaß der langfristigen psychosozialen Folgen des weltweit verbreiteten Coronavirus wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen.

Allgemeine Empfehlungen zur Bewältigung der SARS-CoV-2-Pandemie

Empfehlungen zur Stärkung der psychischen Gesundheit während der Coronavirus-Pandemie wurden publiziert. Um mit Krisensituationen umzugehen und die psychischen Belastungen zu bewältigen, hat die DGPPN fünf Empfehlungen für Laien zusammengestellt, die dabei helfen können:

  1. Informiert bleiben – aber richtig
  2. Den Alltag positiv gestalten
  3. Sich austauschen und einander helfen
  4. Negative Gefühle anerkennen, positive Gefühle stärken
  5. Wenn es Ihnen sehr schlecht geht: professionelle Hilfe suchen

Weitere Empfehlungen wurden beispielsweise formuliert von der Weltgesundheitsorganisation, von Mental Health Europe und in Österreich von dem Berufsverband Österreichischer PsychologInnen.

Bleiben Sie gesund!

Mit besten Grüßen

Univ.-Prof. DDr. Gabriele Sachs

für die Österreichische Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB)

 

Literatur:

  • Briefing note on addressing mental health and psychosocial aspects of COVID-19 2020; Outbreak – Version 1.0
  • Kang L, Li Y, Hu S et al.: The mental health of medical workers in Wuhan, China dealing with the 2019 novel coronavirus. www.thelancet.com/psychiatry Vol 7 March 2020: e14
  • Chen Q, Liang M, Li Y et al.: Mental health care for medical staff in China during the COVID-19 outbreak. thelancet.com/psychiatry Vol 7 April 2020: e15
  • Lai J, Ma S, Wang Y et al.: Factors associated with mental health outcomes among health care workers exposed to Coronavirus Disease 2019. JAMA Netw Open 2020 Mar 2; 3(3): e 203976
  • Li S, Wang Y, Xue J et al.: The Impact of COVID-19 epidemic declaration on psychological consequences: A study on active Weibo users. Int J Environ Res Public Health 2020; 19; 17: 6
  • Xiao H, Zhang Y, Kong D et al.: Social capital and sleep quality in individuals who self-isolated for 14 days during the Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) outbreak in January 2020 in China. Med Sci Monit 2020; 20; 26: e 923921
  • Shigemura J, Ursano RJ, Morganstein JC et al.: Psychiatry and Clinical Neurosciences Letter to the Editor. Public responses to the novel 2019 coronavirus (2019‐nCoV) in Japan: Mental health consequences and target populations. Psychiatry Clin Neurosci 2020; 2: 8
  • Wang C, Pan R, Wan X et al.: Immediate psychological responses and associated factors during the initial stage of the 2019 Coronavirus Disease (COVID-19). Epidemic among the general population in China. Int J Environ Res Public Health 2020; 17: 1729
  • Moukaddam N, Shah S: Psychiatrists Beware! The impact of COVID-19 and pandemics on mental health. Psychiatric Time 2020; (37): 3
  • Tucci V, Moukaddam N, Meadows J et al.: Forgotten Plague: Psychiatric manifestations of Ebola, Zika, and emerging infectious diseases. J Glob Infect Dis 2017; 9(4): 151-156
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  • Gale SD, Berrett AN, Erickson LD et al.: Association between virus exposure and depression in US adults. Psychiatry Res 2018; 261: 73-79
  • Shigemura J, Terayama T, Kurosawa M et al.: Mental health consequences for survivors of the 2011 Fukushima nuclear disaster: a systematic review. Part 1: psychological consequences. CNS Spectr 2020; 1-16
  • Music E, Jacobsson L, Salander Renberg E: Suicide in Bosnia and Herzegovina and the city of Sarajevo. Crisis 2014; 35(1): 42-50
  • Santic Z, Ostojic L, Hrabac B et al.: Suicide frequency in West-Herzegovina Canton for the period 1984-2008. J Med Arh 2010; 64(3): 168-70