Das CYP-450-Enzymsystem hat eine zentrale Bedeutung in der Verarbeitung der meisten Medikamente und besonders der Psychopharmaka. In der letzten Ausgabe wurden mögliche CYP1A2- und CYP2D6-Interaktionen besprochen. In diesem Beitrag werden die CYP3A4-, CYP2C9- sowie CYP2C19-Isoenzyme vorgestellt und anhand von Fallbeispielen wichtige Interaktionen dieser Isoenzymformen nähergebracht.
Isoenzym CYP3A4
Das Isoenzym 3A4 kommt außer in der Leber, wo es 30 Prozent der Leberenzymaktivität ausmacht, zum großem Anteil auch im Darm vor (Greiner, 2010; Sandson, 2003). Es ist hauptsächlich in der Metabolisierung von großen und lipophilen Molekülen, wie zum Beispiel von endogenen Steroiden, beteiligt. Das CYP3A4-Isoenzym hat eine hohe Kapazität, aber niedrige Affinität (Greiner, 2010). Dies bedeutet, dass, falls dieses System blockiert wäre, andere Isoenzymformen mit höherer Spezifität die Metabolisierung des jeweiligen Medikamentes übernehmen würden. Aufgrund der niedrigen Kapazität der anderen Isoenzymformen kommt es aber rasch zu einer Konzentrationserhöhung des jeweiligen CYP3A4-Substrates im Blut. Dies kann bis zu toxischen Nebenwirkungen der jeweiligen eingereichten Substanz führen (Greiner, 2010). Bis heute ist über die Polymorphismen von CYP3A4 wenig bekannt, und dies dürfte an der Komplexität der Genetik dieser Isoenzymform liegen (Greiner, 2010, Sandson, 2003). Ketter et al. (1995) berichteten über eine große Variabilität in der Aktivität des CYP3A4 beim Menschen, welche unabhängig von der gleichzeitigen Verabreichung eines Induktors oder Inhibitors die Verarbeitung der jeweiligen CYP3A4-Substrate beeinflusst.
Es gibt eine große Anzahl von Substraten, Induktoren und Inhibitoren für dieses Isoenzym. Unter den möglichen Substraten findet man außer Psychopharmaka auch mehrere internistische und sonstige Medikamente, wie z.B. Kalzium-Kanal-Blocker, Protease-Inhibitoren, Steroide und Antibiotika. Von den Psychopharmaka sind als CYP3A4-Substrate mehrere trizyklische Antidepressiva (z.B. Amitriptylin, Imipramin), Benzodiazepine/Hypnotika (z.B. Alprazolam, Diazepam, Zolpidem), Serotonin- Wiederaufnahmehemmer (SSRI, z.B. Fluoxetin, Sertralin), Antipsychotika (z.B. Clozapin, Haloperidol, Ziprasidon) und Phasenprophylaktika (z.B. Carbamazepin, Quetiapin) bekannt (Benkert, 2013).
Durch die Einnahme eines CYP3A4-Inhibitors steigt die Plasmakonzentration des jeweiligen CYP3A4-Substrates und die Wahrscheinlichkeit für das Vorkommen unerwünschter Wirkungen an. Zu den potentesten Inhibitoren dieses Isoenzyms gehören das Azolantimykotikum Ketoconazol und der Proteaseinhibitor Ritonavir (Greiner, 2010). Weitere bekannte Inhibitoren sind Clarithromycin, Erythromycin, Ciprofloxacin, Norfloxacin sowie Simvastatin (Anditsch et al., 2009). Bei der Verschreibung von Psychopharmaka sollte man auf die Inhibitionswirkung von Fluoxetin und Fluvoxamin achten. Außer der Einnahme von Medikamenten kann auch die Einnahme von Grapefruitsaft zu einer klinisch relevanten Inhibition des CYP3A4 führen. Mehrere Studien bewiesen den inhibitorischen Effekt von Grapefruitsaft durch die Messung von erhöhten Plasmaspiegeln von Statinen, Antiarrhythmika, Immunsuppressiva und Kalziumkanalblocker (Greiner, 2010). Bei diesen Phänomen spielt aber die Inhibition der CYP3A4-Isoenzymform im Darmbereich die wesentlichere Rolle, und deswegen ist die Verabreichung von CYP3A4-Substraten in intravenöser Form kaum betroffen. Der Inhibitionseffekt tritt bereits beim Verzehr von kleinen Mengen von Grapefruitsaft auf und kann bis zu 72 Stunden anhalten (Girennavar et al., 2007; Greiner, 2010).
CYP3A4-Induktoren führen zu einer Reduktion des Plasmaspiegels von CYP3A4-Substraten. Zu den relevantesten Induktoren dieses Isoenzyms gehören Carbamazepin, welches gleichzeitig ein CYP3A4-Substrat darstellt, Oxcarbazepin, Phenytoin, Phenobarbital, Primidon und Rifampicin (Benkert, 2010). Besonders sollte man auf eine mögliche Einnahme von Johanniskraut, aufgrund der potenten Induktion dieser Isoenzymform, achten. Da dieses Phytopharmakon auch ohne ärztliches Rezept bezogen werden kann und viele Patienten mit depressiven Symptomen dieses selbstständig kaufen, sollte bei Verordnung von CYP3A4-Substraten eine mögliche Einnahme dieses Phytopharmakons erfragt werden. Greiner (2010) berichtet über bekannte Fälle, wo es zu Organabstoßung bei Patienten nach Transplantation und Behandlung mit dem CYP3A4-Substrat Ciclosporin kam, da durch den CYP3A4-Induktor kein effizienter Spiegel von Ciclosporin erreicht werden konnte. Bei Patienten, die auf orale Kontrazeptiva eingestellt sind, sollte man die Verschreibung von CYP3A4-Induktoren vermeiden, denn diese würden zu einer deutlichen Einschränkung der verhütenden Funktion des jeweiligen Kontrazeptivums führen (Greiner, 2010; Sandson, 2003).
Kasuistik
Eine 20-jährige Studentin verhütete gegen eine mögliche Schwangerschaft mit einem oralen Kontrazeptivum, welches Ethinylestradiol enthielt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie einen Freund, mit dem sie einen regelmäßigen sexuellen Verkehr, in einem Ausmaß von ungefähr zweimal in der Woche, hatte. Das orale Kontrazeptivum stellte für sie beide die einzige verhütende Maßnahme dar. Während eines Zeitraumes in ihrem Studium mit erhöhtem Stress und Dysphorie besorgte sich die Studentin in einer lokalen Apotheke Johanniskraut-Kapseln. Sie nahm das Präparat, wie in dem Beipackzettel beschrieben, ein. Drei Monate später stellte sie eine Schwangerschaft bei ihr fest. Ethinylestradiol wurde aber regelmäßig von der Studentin eingenommen (Sandson, 2003).
Erklärung der CYP3A4-Interaktion
Bei diesem Fall handelt es sich um das Zuführen eines Induktors bei einem vorhandenen Substrat. Ethinylestradiol ist ein CYP3A4-Substrat, während Johanniskraut ein CYP3A4-Induktor ist. In den Wochen, welche nach Beginn der Johanniskraut-Medikation folgten, kam es sukzessiv zu einer erhöhten Produktion von 3A4. Dies führte sukzessiv zu einer Verminderung des Plasmaspiegels von Ethinylestradiol und dadurch zum Verlust seiner Effizienz als Kontrazeptivum. Bei einer regelmäßigen sexuellen Aktivität führte dies zu der oben berichteten Schwangerschaft der Studentin (Sandson, 2003).
CYP2C9 und CYP2C19
Die CYP2C9- und CYP2C19-Isoenzymformen haben ebenso wie CYP2B6 und CYP2E1 eine geringere klinische Bedeutung, da bei diesen Isoenzymformen deutlich weniger pharmakologische Interaktionen, im Vergleich zu CYP2D6, CYP3A4 und CYP1A2, vorkommen (Sandson, 2003). Beide Isoenzymformen (2C9 und 2C19) stellen ungefähr 20 Prozent der CYP-Aktivität in der Leber dar (Greiner, 2010). Obwohl CYP2C9 in mehreren Organen und Geweben vorkommt (Leber, Niere, Ovarien, Duodenum), spielt es in der Verarbeitung der meisten Psychopharmaka kaum eine Rolle (Greiner, 2010). Andererseits ist CYP2C9 in der Metabolisierung von nicht steroidalen Antiphlogistika, oralen Antidiabetika oder dem Vitamin- K-Antagonisten Warfarin sehr relevant. Wie für andere CYP450-Isoenzyme existieren auch für CYP2C9 mehrere Polymorphismen. Klinisch relevant ist das Vorkommen eines Poor-Metabolizer-(PM)-Status bei notwendiger Warfarin-Therapie, da dadurch die Blutungsgefahr unter dieser Behandlung deutlich höher liege (Greiner, 2010). Relevante CYP2C9-Substrate sind bei den Psychophamaka folgende: Amitriptylin, Cannabinol, Fluoxetin, Phenytoin und Sertralin (Benkert, 2013). Relevante Inhibitoren dieses Isoenzymsystems sind Fluconazol, Fluvoxamin und Ritonavir (Greiner, 2010). Bekannte Induktoren sind Carbamazepin, Rifampicin und Johanniskraut (Benkert, 2013). Für CYP2C19 sind auch mehrere Polymorphismen bekannt. Greiner (2010) berichtet über das Vorkommen von PM bei zwei bis sechs Prozent der Europäer, 15 bis 20 Prozent der Japanern und zehn bis 20 Prozent der Afrikaner, wobei auch auf eine hohe Variabilität in den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen hingewiesen wird. Einige Psychopharmaka stellen Substrate für dieses Isoenzym, z.B. Amitriptylin, Citalopram, Clozapin, Diazepam, Escitalopram, Fluoxetin, Sertralin oder Venlafaxin, dar. Laut Greiner (2010) ist Fluvoxamin der stärkste Inhibitor von CP2C19. Weitere sind Fluoxetin, Paroxetin, Topiramat oder Omeprazol (Anditsch, 2009; Benkert, 2013). Als Induktoren für CYP2C19 sind Rifampicin, Carbamazepin, aber auch Johanniskraut bekannt (Anditsch, 2009; Benkert, 2013).
Kasuistik
Eine 21-jährige Frau wurde wegen „frei flottierender Angst“ von ihrem Allgemeinmediziner auf Diazepam 10mg/Tag, eingestellt. Während des Beginns ihrer ersten ernstzunehmenden Partnerschaft entwickelte sie Ordnungs- und Überprüfungszwänge. Sie konsultierte diesbezüglich einen niedergelassenen Facharzt für Psychiatrie, welcher bei ihr eine Zwangserkrankung feststellte. Er begann mit einer Einstellung der Patientin auf Fluvoxamin 100mg täglich und erhöhte anschließend die Tagesdosis auf 200mg. Eine Woche nach Einstellung der Patientin auf 200mg/Tag, klagte sie über eine Schlafdauer von mehr als elf Stunden am Tag und allgemeine Schläfrigkeit über den Rest des Tages. Obwohl sie das Gefühl hatte, in ihrem Fahrverhalten nicht eingeschränkt zu sein, beschwerte sie sich über Konzentrationsverminderung beim Besuch der Vorlesungen ihres Studiums. Aufgrund dieses Berichtes der Patientin reduzierte der Psychiater die Dosierung von Diazepam auf 4mg täglich. Nach dieser Reduktion kam es zu einer raschen Remission der Sedierung, während sich auch ihre Zwangssymptomatik in den folgenden Wochen sukzessiv besserte (Sandson, 2003).
Erklärung der CYP2C19-Interaktion
Bei diesem Fall handelt es sich um das Zuführen eines Inhibitors bei einem vorhandenen Substrat. Diazepam ist hauptsächlich ein Substrat von CYP2C19 wird aber auch über CYP3A4 metabolisiert. Fluvoxamin ist ein starker Inhibitor für 1A2 und 2C19 sowie ein mittelmäßiger Inhibitor für 2C9 und 3A4. Deswegen führte die Einnahme von Fluvoxamin zu einer Inhibition des Abbaus von Diazepam und hiermit zu einem erhöhten Diazepam-Plasmaspiegel mit begleitender erhöhter Sedierung der Patientin als Folgeeffekt. Durch Adaptierung der Diazepam-Dosierung von 10mg auf 4mg /Tag kam es zu einer Verminderung des erhöhten Spiegels und Remission der unerwünschten Sedierung (Sandson, 2003).
Empfehlungen für die Praxis
Obwohl mehrere Medikamente, wie z.B. Erythromycin oder Norfluoxetin, Inhibitoren für CYP3A4 darstellen, sollte man besonders auf die inhibitorische Wirkung von Grapefruitsaft achten. Diese beruhe jedoch hauptsächlich auf der Inhibition des intestinalen Anteils von CYP3A4. Induktoren für das Isoenzym 3A4 können zu einer Ineffizienz der gleichzeitig oral eingenommenen Kontrazeptiva führen. CYP2C19 weist große ethnische Variabilität hinsichtlich seiner Effizienz auf, wobei unter asiatischen bzw. afrikanischen Personen mit einem erhöhten Anteil an PM zu rechnen ist. Fluvoxamin stellt den stärksten Inhibitor für 2C19 dar. Bereits die Einnahme von fünf Medikamenten kann zu 20 möglichen Interaktionen zwischen den einzelnen Substanzen führen, wobei Interaktionen im CYP450-System häufig und klinisch relevant sein können. Deswegen sollten bei der Verschreibung von neuen Medikamenten bei einem Patienten mögliche CYP450-Interaktionen überprüft werden.
Anmerkung: Die geschilderten Fälle wurden aus dem Buch „Drug Interactions Casebook. The Cytochrome P450 System and Beyond“ von Sandson NB. (American Psychiatric Publishing, Inc. 2003, Arlington, United States of America) entnommen.
Literatur beim Autor
Autor: Dr. Anastasios Konstantinidis, MSc
Klinische Abteilung für Biologische Psychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Wien
Ärztlicher Leiter des Zentrums für seelische Gesundheit MULDEnstraße, BBRZMed, Linz
E-Mail: anastasios.konstantinidis@meduniwien. ac.at