Kognitive Defizite nach einem Schlaganfall äußern sich auf unterschiedliche Weise und haben naturgemäß eine hohe Prävalenz beim akuten Schlaganfall. In Studien wird der Kognition allerdings eher wenig Beachtung geschenkt. Zu Unrecht, meint Univ.-Prof. Dr. h.c.mult. Dr. Michael Brainin vom Departement für klinische Neurowissenschaften und Präventionsmedizin, Universitätsklinik Tulln, und gibt einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand.
Obwohl kognitive Defizite eine hohe Prävalenz beim akuten Schlaganfall haben und kognitive Ausfälle häufige Begleitsymptome des Schlaganfalls sind, wurde deren Erforschung in den vergangenen Jahren weniger priorisiert als andere Aspekte der zerebrovaskulären Erkrankung. So haben Lees et al. 2012 gezeigt, dass von 8.826 klinischen Schlaganfallstudien, die zwischen 2000 und 2011 durchgeführt wurden, nur 488 eine Messung der Kognition oder der Stimmung einbezogen haben.1 „Von knapp 9.000 Studien haben nur etwa sechs Prozent ein Outcome hinsichtlich Kognition und Stimmung inkludiert.
Dieses Verhältnis zeigt, dass Kognition in der Schlaganfallforschung in klinischen Studien keinen hohen Stellenwert hat, und das, obwohl kognitive Störungen sehr häufig zu beobachten sind und eine wichtige Bedeutung für den Alltag der Patienten haben“, erklärt Brainin und ergänzt: „Aus vielen Studien zum Medikamenteneinsatz in der Postakut- Phase geht hervor, dass Patienten ausschließlich Substanzen zur motorischen Rehabilitation erhalten, darunter Levodopa, Acetylcholinesterase- Hemmer und Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Für kognitive Protektion und Rehabilitation stehen derzeit hingegen nach wie vor kaum Behandlungsoptionen zur Verfügung.“
Kognitive Reduktion vor Insult
Im Rahmen einer Studie, bei welcher Langzeitveränderungen des Gedächtnisses vor und nach einem Schlaganfall mit Gedächtnistests über einen zehnjährigen Zeitraum untersucht wurden, konnte gezeigt werden, dass sich Veränderungen des Langzeitgedächtnisses bereits Jahre vor einem Schlaganfall abzeichnen.2 Von 17.340 Patienten, die zu Studienbeginn noch keinen Schlaganfall gehabt hatten, erlitten insgesamt 1.574 Patienten in den folgenden zehn Jahren einen Schlaganfall, 385 Patienten verstarben an den Folgen.
Patienten, die den Schlaganfall überlebt hatten, zeigten einen signifikant schnelleren Gedächtnisverlust als jene, die keinen Schlaganfall hatten. Bei Patienten, die den Schlaganfall nicht überlebten, zeigten sich zudem schnellere Gedächtnisverluste vor dem Schlaganfall im Vergleich zu Patienten, die nicht an den Folgen des Schlaganfalls verstorben sind (Abbildung). Brainin: „Gedächtnisverlust ist auch bei gesunden älteren Personen verbreitet, jedoch weisen Patienten vor einem Schlaganfall meistens eine stärkere Reduktion ihrer kognitiven Fähigkeiten auf als jene, die keinen Schlaganfall haben. Es ist unklar, welche metabolischen Mechanismen der kognitiven Reduktion vor einem Schlaganfall zugrunde liegen.“
Protektion der Kognition
In den vergangenen Jahren wurden mehrere Behandlungsansätze erforscht, die einen möglichen Effekt hinsichtlich Prävention und Bewahrung der kognitiven Fähigkeiten bei Risikopatienten und Patienten nach einem Schlaganfall haben, darunter Blutdrucksenkung, mediterrane Diät und körperliche Aktivität. Obwohl in einigen Studien gezeigt werden konnte, dass das Senken von zu hohem Blutdruck das Auftreten von kognitiven Beeinträchtigungen und Post-Schlaganfall-Demenz reduziert 3, gibt es bis dato keine signifikante Evidenz dafür, dass Blutdruck- und Lipidsenkung einen positiven Einfluss auf die Kognition von Patienten nach einem Schlaganfall haben. Wesentlich effektiver sind hingegen Lebensstiländerungen wie der Umstieg auf eine mediterrane Diät.
Im Rahmen einer multizentrischen Studie wurden 7.447 Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko in drei Gruppen randomisiert (mediterrane Diät mit hohem Anteil an Olivenöl, mediterrane Diät mit hohem Anteil an Nüssen, kontrollierte Diät mit reduziertem Fettgehalt), um zu untersuchen, ob eine mediterrane Ernährung das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse senken kann.4 Primärer Endpunkt war das Auftreten schwerer kardiovaskulärer Ereignisse (Myokardinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulär bedingter Tod). Die Studie wurde nach einem medianen Followup von 4,8 Jahren vorzeitig abgebrochen, da bereits nach Auswertung der Daten der Interimsanalyse gezeigt werden konnte, dass eine mediterrane Ernährung mit hohem Anteil an Olivenöl oder Nüssen das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse reduziert.
Mediterrane Diät
Ein ähnliches Ergebnis zeigte sich in einer Studie mit 447 Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko ohne reduzierte kognitive Fähigkeiten5, deren kognitive Leistungsfähigkeit mit unterschiedlichen neuropsychologischen Test untersucht wurde (Mini- Mental-Status (MMST), Rey Auditory Verbal Learning Test (RAVLT), Animals Semantic Fluency, Wechsler Adult Intelligence Scale (WAIS), Wechsler Memory Scale (WMS), Color Trial Test (CCT)). Patienten, die einer mediterranen Diät mit erhöhtem Anteil an Olivenöl folgten, hatten im Vergleich zu Patienten unter einer kontrollierten Diät mit reduziertem Fettgehalt bessere RAVLT- und Color-Trial-Test-Ergebnisse (p=0,49, p=0,04). Die Autoren der Studie kamen zum Schluss, dass eine mediterrane Ernährung mit erhöhtem Anteil an Olivenöl oder Nüssen in älteren Populationen mit einer verbesserten kognitiven Leistungsfähigkeit assoziiert wird.
Multidomaininterventionen
Körperliche Aktivität stellt einen weiteren möglichen Behandlungsansatz zur Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei Schlaganfallpatienten dar, kann Patienten und Ärzte jedoch vor weitere Probleme stellen, wie Brainin erklärt: „Körperliche Aktivität stellt bei der Behandlung von Schlaganfallpatienten eine Herausforderung dar, da die meisten Patienten kaum zu mehr Bewegung oder Sport zu motivieren sind.“ In einer Studie zu körperlicher Aktivität nach einem Schlaganfall konnten Boysen et al. zeigen, dass strenge Instruktionen und ein detailliertes Trainingsprogramm das Aktivitätslevel signifikant verbessern können. Allerdings kehrten die meisten Patienten nach der 24-monatiger Studiendauer zu ihrem ursprünglichen Aktivitätsniveau zurück.6
Brainin: „Bisherige Studienergebnisse zeigen keine persistierenden Effekte. Es ist belegt, dass erhöhte körperliche Aktivität die Gesamtkapazität im Bezug auf Bewegung verbessert, allerdings handelt es sich dabei nicht um positive kognitive, sondern motorische Auswirkungen. Dennoch kann erhöhte körperliche Aktivität ergänzend zu anderen Behandlungen in Betracht gezogen werden, um das Gesamtoutcome einer Therapie zu verbessern.“ Die effektivste Maßnahme zur primären und sekundären Prävention seien, so Brainin, Multidomaininterventionen, bei welchen durch die Modifikation von fünf Risikofaktoren, darunter Nikotinabusus, Body-Mass-Index (BMI), geringes Aktivitätslevel, Ernährung und Alkohol, das Risiko für einen Schlaganfall reduziert wird.
So konnte im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie gezeigt werden, dass der Verzicht auf Tabak, ein BMI <25kg/m2, mindestens 30 Minuten körperliche Bewegung bei moderater bis kraftvoller Intensität, ausgewogene Ernährung und ein täglicher Alkoholkonsum von fünf bis 15g/d (Frauen) und fünf bis 30g/d (Männer) das Schlaganfallrisiko von Frauen und Männern um bis zu 20 Prozent reduziert.7
ASPIS-Studie
Da die Mehrheit der klinischen Studien bis jetzt kein kognitives Outcome hatte, liegen gegenwärtig wenige Daten vor, welche Aufschluss über eine optimale Therapie zur Behandlung kognitiver Beeinträchtigungen nach einem Schlaganfall geben. Wichtigste Ziele einer Therapie sind Schlaganfallprävention (Primär- und Sekundärprävention) und individuelle Interventionen zur Verbesserung der kognitiven Funktion. Klinische Studien wie ASPIS (Austrian Polyintervention Study to Prevent Cognitive Decline after Ischemic Stroke)8 könnten zukünftig noch mehr Aufschluss darüber geben, inwiefern Lebensstilmodifikationen die kognitive Leistungsfähigkeit nach einem Schlaganfall verbessern.
Ziel der ASPIS-Studie, einer multizentrischen, randomisierten, kontrollierten Parallelgruppenstudie, war es aufzuzeigen, ob eine multifaktorielle intensive polypharmakologische Therapie mit Lebensstiländerungen auch das Risiko eines kognitiven Abbaus nach einem Schlaganfall reduzieren kann. Insgesamt wurden 202 Patienten einer Gruppe mit standardisierter Schlaganfallbehandlung oder einer Interventionsgruppe zugeteilt. Patienten der Interventionsgruppe wurden während der Studiendauer ergänzend zur standardisierten Behandlung intensiver motiviert und verstärkt zu gesunder Ernährung, regelmäßiger körperlicher Aktivität und kognitivem Training angehalten.
„Die Ergebnisse konnten Unterschiede zwischen der Kontrollund der Interventionsgruppe aufzeigen und sind richtungsweisend für weitere benötigte klinische Studien mit dem Ziel, die Reduktion geistiger Fähigkeiten nach einem Schlaganfall zu verhindern“, so Brainin.
19. Jahrestagung der Österreichischen Schlaganfallgesellschaft (ÖGSF), Krems, 22.1.16
1 Lees et al., Stroke 2012;43:1678–1680
2 Wang et al., Stroke 2012;43:2561–2566
3 Ankolekar et al., J Neurol Sci 2010; 299:168–74
4 Estruch et al., N Engl J Med 2013; 368:1279–1290
5 Valls-Pedret et al., JAMA Intern Med 2015; 175(7):1094–1103
6 Boysen et al., BMJ 2009; 339:b2810
7 Chiuve et al., Circulation 2008; 118(9):947–54
8 Brainin et al., Int J Stroke 2015; 10(4):627–35
Von Katharina Miedzinska, MSc