Warum genau verändern dopaminerge Neurone ihre Funktion und führen damit zu Parkinson und anderen Bewegungsstörungen? Die Antworten darauf sind der Schlüssel zu Früherkennung und zum Verlangsamen – vielleicht sogar zum Stoppen – des Krankheitsverlaufes, betont die Vizepräsidentin der Österreichischen Parkinson-Gesellschaft, Priv.-Doz. Dr. Sylvia Boesch, MSc. (CliniCum neuropsy 2/18)
CliniCum neuropsy: Warum haben Sie sich als Neurologin gerade auf Morbus Parkinson und Bewegungsstörungen spezialisiert?
Boesch: Bereits während des Medizinstudiums stand für mich der Weg in die Neurologie fest: Sie ist für mich das Fach der Wahl, vor allem wegen der faszinierenden Beschäftigung mit dem menschlichen Gehirn. Daneben habe ich mich seit meiner Jugend und auch durch die eigene Sportausübung sehr für Bewegungen interessiert: Wie werden Bewegungsabläufe generiert, und worin bestehen Ursachen von Bewegungsstörungen? Durch die Auseinandersetzung mit diesen Themen – auch im Rahmen meiner Dissertation – ist für mich die Liebe zu diesem Spezialgebiet entstanden. Eine gute Beziehung zu meinem Fach sehe ich übrigens als eine wichtige Voraussetzung zur Bewältigung der komplexen Anforderungen im klinischen Alltag.
Welche Aufgabe hat eine Fachgesellschaft wie die ÖPG im Hinblick auf die klinischen Anforderungen in puncto Diagnose und Therapie?
Auf praktischer Ebene gehört das Erstellen von Leitlinien für Diagnose und Therapie zu wichtigen Aufgaben einer medizinischen Fachgesellschaft. Als Expertengremium setzen wir uns etwa damit auseinander, welche Behandlungsform in welcher Phase der Parkinson- Krankheit dem State of the Art entspricht. Darüber hinaus haben wir besonderes Interesse daran, die wissenschaftliche Erforschung des Parkinson-Syndroms voranzutreiben; Möglichkeiten dazu bestehen etwa in einem Engagement der Gesellschaft in klinischen Therapiestudien oder durch die Anbindung an internationale Studien im Bereich Früherkennung. Darüber hinaus gehört es zu den Aufgaben einer Fachgesellschaft, für die Wissensvermittlung auf ihrem Gebiet zu sorgen.
Stichwort Frühdiagnose und Therapie: welche heißen Spuren werden aktuell verfolgt?
Wir kennen bereits verschiedene Marker und Frühsymptome, die mit einem höheren Risiko für eine Parkinson-Krankheit einhergehen. Dazu gehören eine schlechte Geruchswahrnehmung in Kombination mit einer Schlafverhaltensstörung und charakteristischen Ultraschallveränderungen im Hirnstamm. Wir wissen zudem, dass die für das Parkinson-Syndrom verantwortliche Fehlfunktion dopaminerger Neurone unterschiedliche Ursachen haben: Diese sind neben noch unbekannten Faktoren etwa genetische Veränderungen, Stoffwechselstörungen oder Risikofaktoren, die eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber Umweltfaktoren bedeuten. Jetzt gilt es herauszufinden, ob und welche Konsequenzen diese verschiedenen Ursachen für die weitere Behandlung haben.
Aktuell werden Risikomarker definiert, die zu einer Stratifizierung von Patientengruppen beitragen können. Das könnte bedeuten, bei einer Untergruppe von Patienten bestimmte Stoffwechselprodukte zu ersetzten und bei einer anderen möglichst direkt an den genetischen Ursachen anzusetzen. Wir können heute bei unseren Patienten den Dopaminmangel sehr gut ausgleichen, allerdings nicht auf lange Zeit und in einer Form, die der physiologischen Ausschüttung von Dopamin gleicht. Wenn es gelingt, Medikamente zu entwickeln, die noch näher an der Ursache der Parkinson-Erkrankung anbinden, werden wir den Krankheitsfortschritt eher verlangsamen und eines Tages vielleicht sogar komplett stoppen können – und damit eine Heilung erreichen. Das wäre natürlich das Schönste!
Im Leitbild der ÖPG ist neben dem Ziel der besseren medizinischen Versorgung auch die psychosoziale Unterstützung von Patienten festgehalten. Wie genau wollen Sie dazu beitragen?
Wir sehen die Anbindung an die psychosoziale Ebene nicht nur im individuellen Arzt-Patienten-Verhältnis als Kernthema an, sondern auch eine Ebene höher, wenn es um die ärztliche Vertretung der Parkinson-Patienten auf nationaler Ebene geht. Wir können gewissermaßen Lobbyisten sein und sehen uns als Mittler zwischen Betroffenen bzw. Selbsthilfegruppen und Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen, wie z.B. Sozialversicherungsträgern, aber auch zu anderen Fachgesellschaften wie der ÖGN. Schließlich geht es auch darum, den verschiedenen Zielgruppen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um Parkinson und assoziierte Bewegungsstörungen näher zu bringen. Dies geschieht etwa durch Vorträge unserer Mitglieder bei Selbsthilfegruppen oder eine Zusammenarbeit mit Landes- und Universitätskliniken.
Immer öfter stehen Neurologinnen an der Spitze von Fachgesellschaften. So wurden und werden in jüngster Zeit etwa die ÖGN oder die Österreichische Epilepsiegesellschaft von Ärztinnen geleitet. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Ich denke, dies bildet das langjährige Engagement von Frauen in der neurologischen Klinik und Forschung ab. Wir bringen nicht nur das Fachwissen, sondern zuletzt auch das nötige Selbstbewusstsein mit, um Führungsrollen in unserem Bereich anzunehmen und auszufüllen – und ich denke, wir Frauen können das sehr gut.
Worin genau bestehen Ihre aktuellen Aufgaben in der ÖPG?
Als Vizepräsidentin und zugleich „Präsidentin elect“ heißt es für mich, in meine Präsidentschaft hineinzuwachsen. Gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern setzte ich mich für die Wahrnehmung von Patienten mit Parkinson und anderen Bewegungsstörungen in der Öffentlichkeit ein, genauso wie für die Förderung von Wissenschaft und Forschung auf unserem Gebiet. Ganz konkret planen wir z.B., Doktoratsstudenten zu unterstützen, die sich mit gezielten Forschungsfragen auf dem Gebiet von Parkinson auseinandersetzen. Genauso ermöglichen wir jungen Kolleginnen und Kollegen die Teilnahme an internationalen Kongressen. Auch mit der Organisation bzw. Mitorganisation von wissenschaftlichen Tagungen fördern wir den Wissenstransfer unter Neurologen in der Klinik und im niedergelassenen Bereich. Nicht zuletzt tragen wir mit einer Patienten-Datenbank dazu bei, die Datenlage als Grundlage für viele wissenschaftliche Arbeiten zu verbessern.
Vielen Dank für das Gespräch!
Priv.-Doz. Dr. Sylvia Boesch, MSc, ist Oberärztin an der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck, wo sie u.a. in der Spezialsprechstunde Bewegungsstörungen arbeitet. Als derzeitige Vizepräsidentin der Österreichischen Parkinsongesellschaft – Gesellschaft zur Erforschung des Parkinsonsyndroms und anderer extrapyramidaler Bewegungsstörungen wird Boesch ab Herbst 2018 für zwei Jahre die Präsidentschaft übernehmen. www.parkinson.at
Das Gespräch führte Mag. Christina Lechner