Die Behandlung neuropathischer Schmerzen unterscheidet sich grundlegend von jener nozizeptiver Schmerzen. Den Goldstandard in der Therapie chronischer Schmerzen stellt eine multimodale Therapie dar, die neben der medikamentösen und komplementär-medizinischen eine Körpertherapie umfasst, in der Regel auch eine Psychotherapie sowie eine soziale Beratung bzw. Unterstützung. (CliniCum neuropsy 2/18)

„In der Schmerzmedizin unterscheiden wir zwei große Entitäten – den nozizeptiven und den neuropathischen Schmerz“, sagt Prof. Priv.- Doz. Dr. Michael Bach, ärztlicher Leiter des Sonnenpark Wien – Zentrum für Psychosoziale Gesundheit. Während nozizeptive Schmerzen durch eine Aktivierung normaler neuronaler Systeme entstehen, treten neuropathische Schmerzen als direkte Folge einer Schädigung oder Erkrankung im somatosensorischen System auf und stellen damit eine Störung der Schmerzverarbeitung dar.1,2

Neuropathische Schmerzsyndrome

Klassische Beispiele für nozizeptive Schmerzsyndrome sind postoperative Schmerzen, Schmerzen nach Verletzungen, bei Myokardinfarkt, Colitis, Pankreatitis etc. „Es mehren sich die Hinweise darauf, dass es auch gemischt nozizeptive-neuropathische Schmerzen gibt“, weiß Bach. Allen voran sei hier der chronische Rückenschmerz zu nennen. Die häufigsten neuropathischen Schmerzen sind die diabetische Polyneuropathie und die alkoholbedingte neuropathische Läsion. Weitere Ursachen für neuropathische Schmerzen stellen Mononeuropathien oder Plexopathien dar. Ebenso zählen Radikulopathien, zentraler Schmerz etwa bei Schlaganfall und Multipler Sklerose, Phantomschmerz, Neuralgien und das komplex regionale Schmerzsyndrom zu den neuropathischen Schmerzen. Symptome und Zeichen neuropathischer Schmerzen sind im Kasten dargestellt. Zur Erhebung des Schmerzes stehen verschiedene Fragebögen wie beispielsweise der painDetect* zur Verfügung.

Therapie mit Co-Analgetika

Die klassische medikamentöse Schmerztherapie orientiert sich nach dem WHO-Stufenschema. Dabei werden zuerst periphere Analgetika (Non-Opioide) verabreicht, bei ungenügender Wirksamkeit kombiniert mit schwach wirksamen Opioid- Analgetika bzw. bei anhaltenden Schmerzen mit stark wirksamen Opioid-Analgetika. Als Co-Analgetika kommen vor allem Antidepressiva und Antikonvulsiva zum Einsatz. „Für den neuropathischen Schmerz gibt es jedoch mittlerweile ausreichend wissenschaftliche Belege, dass die klassischen Analgetika wenig bis gar nicht wirken“, erklärt Bach. „Hier müssen die Co-Analgetika zum Einsatz kommen.“ Antidepressiva, Antikonvulsiva, Opioide, Botulinumtoxin A, Lidocain und Capsaicin greifen an unterschiedlichen peripheren und zentralen Mechanismen der Schmerzverarbeitung an. Für die schmerzhafte diabetische Polyneuropathie konnte in einer Metaanalyse im Vergleich unterschiedlicher Analgetika für trizyklische Antidepressiva die kleinste „number needed to treat“ (NNT) nachgewiesen werden.3

Antidepressiva wirken analgetisch an verschiedenen Angriffspunkten. „Diese Mechanismen stärken einerseits das körpereigene Schmerzabwehrsystem, andererseits blockieren sie die Weiterleitung von Schmerzreizen in das zentrale Nervensystem“, fasst Bach zusammen. „Diese Wirkung steht in keinem Zusammenhang mit Depression oder Angst.“ Zugelassen zur Therapie neuropathischer Schmerzen sind derzeit nur Amitriptylin und Duloxetin. Alle anderen Antidepressiva sind in dieser Indikation „off label“, auch wenn ihre Wirksamkeit durch Studiendaten immer mehr belegt wird. Für Opioide existieren nur wenige überzeugende Daten für den neuropathischen Schmerz. Eine Ausnahme bilden etwa zentrale neuropathische Schmerzsyndrome. Bach dazu: „Die überzeugendste Substanz unter den Opioiden ist Tramadol.“ Dabei handelt es sich um einen Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, der neben antidepressiven auch schwach analgetische Eigenschaften aufweist. Eine Kombination von Tramadol mit manchen Antidepressiva kann die analgetische Wirkung von Tramadol abschwächen. Bach weiter: „Weniger problematisch erweisen sich hier duale Antidepressiva oder Mirtazapin.“ Unter den Antikonvulsiva stellen Gabapentin und Pregabalin die wirksamsten Substanzen dar. Carbamazepin und Oxcarbazepin kommt vor allem bei bestimmten lokalen neuropathischen Schmerzsyndromen – z.B. Trigeminusneuralgie – eine therapeutische Bedeutung zu.

Stufenschema anwenden

Chronische neuropathische Schmerzen sollten nach einem Stufenschema behandelt werden.4 Gemäß diesem stellen nach wie vor trizyklische Antidepressiva – im Wesentlichen Amitriptylin – und/oder Gabapentin oder Pregabalin die Mittel der ersten Wahl dar. „Liegt neben dem neuropathischen Schmerz eine relevante depressive oder klassische Panikstörung vor, wäre eher der Einsatz eines Antidepressivums als der eines Antikonvulsivums angezeigt“, schlägt Bach vor. Handelt es sich um Patienten mit einer generalisierten Angststörung als Komorbidität, so stellt Pregabalin laut Bach eine sinnvolle Erstlinientherapie dar. Bei unzureichendem Ansprechen auf die Mittel der ersten Wahl sind Serotonin- Noradrenalin-Reuptakehemmer (SNRI) oder topisches Lidocain – als 5%-iges Gel oder Creme bei fokaler Neuropathie wie etwa postherpetischer Neuralgie – indiziert. Erst als dritte Wahl kommen Opioide und als vierte Linie andere Substanzen wie Cannabinoide, Methadon, Lamotrigin, Topiramat oder Valproinsäure zum Einsatz.

Symptome und Zeichen neuropathischer Schmerzen

Symptome (werden von Patienten berichtet):

  • Kribbeln – Brennen
  • einschießender, stechender Schmerz
  • elektrisierender Schmerz
  • ausstrahlender Schmerz
  • schmerzhafte Kälte – ringartige Schmerzen
  • Ameisenlaufen

Zeichen (müssen geprüft werden):

  • Allodynie (Schmerz ausgelöst durch einen normalerweise nicht schmerzhaften Reiz)
  • Hyperalgesie (übersteigerte Schmerzantwort auf einen nur leicht schmerzhaften Reiz)
  • Hypästhesie (verminderte Sensibilität)
  • Hypalgesie (verminderte Schmerzantwort)

Quelle: M. Bach

Zum direkten Vergleich zwischen Antidepressiva und Antikonvulsiva existieren nur wenige Daten. So ergab eine direkte Vergleichsstudie zwischen Duloxetin und Pregabalin bzw. Gabapentin für die diabetische Polyneuropathie keine Unterschiede in der Schmerzlinderung, wohl jedoch im Nebenwirkungsprofil.5 Bach rät daher, die Auswahl der Substanz nach vorhandenen Komorbiditäten, Interaktionsprofilen etc. vorzunehmen. Bezüglich eines Wechsels von einer Substanz zu einer anderen liegt nur wenig Evidenz vor. Führt der Einsatz von Gabapentin bei diabetischer Neuropathie nicht zu ausreichender analgetischer Wirkung, kann ein Wechsel auf Duloxetin oder Pregabalin sinnvoll sein. Dies gilt jedoch nur für Patienten, die nicht zusätzlich zu Gabapentin bereits ein Antidepressivum erhalten. Ebenso führt bei nicht ausreichender Wirkung von Duloxetin oder Pregabalin allein bei diabetischer Polyneuropathie eine Kombination der beiden Substanzen zu besseren Ergebnissen („COMBO-DN“-Studie).6

Multimodales Konzept

Neben der medikamentösen Therapie stehen für neuropathische Schmerzen auch nicht medikamentöse Therapieansätze zur Verfügung: Physiotherapie, Ergotherapie, Schmerz-Psychotherapie. Die Physiotherapie beinhaltet spezielle Krankengymnastik, Schuhanpassungen, Wärme- oder Kälteanwendungen, TENS und Akupunktur. Bach abschließend: „Den Goldstandard in der Therapie chronischer Schmerzen stellt eine multimodale Therapie dar, die neben der medikamentösen und komplementär-medizinischen eine Körpertherapie umfasst, in der Regel auch eine Psychotherapie sowie eine soziale Beratung bzw. Unterstützung.“

* http://www.neuro.med.tu-muenchen.de/dfns/arzt/paindetect.html

Referenzen:
1 Treede RD et al. Neurology 2008; 70:1630–1635
2 Haanpaa M et al., Pain 2011; 152:14–27
3 Vinik AI und Casellini CM, Diabetes Metab Syndr Obes 2013; 6:57–78
4 Finnerup NB et al., Handb Clin Neurol 2013; 115:297–290
5 Quilici S et al., BMC Neurol 2009; 9:6
6 Tesfaye S et al., Pain 2013; 154:2616–2625

„Interdisziplinäres Herbstsymposium für Psychopharmakologie“, IHSP, Wien, 7.10.17

Von Dr. Michaela Steiner