Die Schizophrenie ist eine oft schwer verlaufende psychiatrische Erkrankung, für deren Pathogenese zahlreiche biologische Konzepte existieren. Neben Störungen in verschiedenen Neurotransmittersystemen und genetischen Einflussfaktoren werden funktionelle und strukturelle Veränderungen im Rahmen einer Entwicklungsstörung des Gehirns diskutiert. (CliniCum neuropsy 2/18)
Weltweit ist ungefähr ein Prozent der Bevölkerung von Schizophrenie betroffen. Die klinische Erstmanifestation der Erkrankung findet sich meist in der Zeit nach der Pubertät bis zum frühen Erwachsenenalter, wobei Patientinnen mit Schizophrenie im Durchschnitt etwa zwei bis vier Jahre später klinisch auffällig werden als Patienten. Neben Positivsymptomen wie Halluzinationen, Wahn und Denkstörungen treten Negativsymptome in Form von Affektarmut, Antriebslosigkeit sowie Störungen der kognitiven Funktionen auf. Dadurch kommt es zum Teil zu massiven Beeinträchtigungen im Alltag der Betroffenen und deren Familien. So ist nur etwa ein Fünftel der Patienten in einem regulären Arbeitsverhältnis beschäftigt, und nur 30 Prozent leben in einer stabilen Beziehung. In der Hoffnung auf neue Behandlungskonzepte und aufgrund des nicht immer zufriedenstellenden Behandlungserfolges der Erkrankung wurden die neurobiologischen Grundlagen der Schizophrenie in den letzten Jahrzehnten mit beträchtlichem Aufwand beforscht.
Mit der Erweiterung der Untersuchungsmethoden erweiterten sich auch die Hypothesen rund um die Schizophrenie. So stehen mittlerweile nicht nur Methoden für die Untersuchungen von Rezeptoren und Transportern von verschiedenen Neurotransmittersystemen wie Serotonin und Dopamin zur Verfügung, sondern auch solche für die strukturelle und funktionelle Analyse von Gehirnnetzwerken. Dafür wird die Positronen-Emissionstomographie (PET) und die Magnetresonanztomographie (MRT) im Rahmen von Forschungsprojekten eingesetzt. Die wichtigsten Befunde sollen im Folgenden mit besonderem Augenmerk auf Veränderungen des Dopaminsystems zusammengefasst werden.
Das Dopaminsystem als Fokus der Störung
Zahlreiche Forschungsergebnisse unterstützen die Dopaminhypothese der Schizophrenie, die erstmals 1966 von J.M. van Rossum formuliert und in der Folge mehrmals verfeinert wurde. Ursprung der Hypothese war die Vermutung, dass antipsychotisch wirksame Substanzen wie Chlorpromazin und Haloperidol Dopaminantagonisten sind. Auch alle heutzutage gebräuchlichen Antipsychotika entfalten ihre Wirksamkeit im Dopaminsystem. Umgekehrt kann bei Patienten mit Schizophrenie durch eine Steigerung des extrazellulären Dopamins mittels geringer Mengen von Stimulantien wie Kokain oder Amphetamin eine Zunahme von psychotischen Symptomen ausgelöst werden. Auch bei Gesunden kann durch hohe Dosen von Amphetamin ein vielfältiges Spektrum von psychotischen Phänomenen ausgelöst werden, welche in vielerlei Hinsicht den Symptomen einer Schizophrenie ähnlich sind. Studien, die sich der PET bedienen, konnten wiederholt eine gesteigerte Dopaminsynthese und -ausschüttung feststellen.
Eine gesteigerte Dopaminausschüttung wurde auch nach wiederholter Amphetamingabe im Tierversuch und bei gesunden Probanden beobachtet. Dieses Phänomen wird als Sensibilisierung bezeichnet und stellt gewissermaßen das Gegenteil des bekannteren Begriffs der Toleranz dar. Sensibilisierung bezeichnet also eine verstärkte Antwort auf neurochemischer und Verhaltensebene auf einen Reiz nach wiederholter Exposition. Auf Verhaltensebene zeigt sich die Sensibilisierung des Dopaminsystems auf Amphetamin durch vermehrte Euphorie, Wachheit und Energie, ausgelöst durch eine konstante Dosis der Substanz nach mehrfacher Einnahme. Die Sensibilisierung des Dopaminsystems wird im Rahmen der Dopamintheorie als ein für die Schizophrenie relevantes Phänomen gesehen. Man vermutet, dass hier insbesondere Dopamin-D3-Rezeptoren eine wichtige Rolle spielen. Die genaueren Mechanismen der Entstehung der Sensibilisierung des Dopaminsystems bei der Schizophrenie sind derzeit noch unklar, es wird jedoch angenommen, dass eine aberrante Regulierung des Dopaminsystems durch den präfrontalen Kortex oder durch den Hippocampus zu einer überschießenden dopaminergen Reaktion führt.
So konnte eine negative Korrelation zwischen frontaler kortikaler Dichte und der Amphetamin-induzierten Dopaminausschüttung bei Gesunden gefunden werden. Die Verbindung zwischen neuroplastischen und neurochemischen Faktoren wird durch die Tatsache unterstützt, dass der Wachstumsfaktor BDNF (brain-derived neurotrophic factor) im Tierversuch notwendig war, um eine Sensibilisierung auszulösen. Dies wurde bei Menschen bisher noch nicht untersucht. Neueste Untersuchungen zeigen, dass es bereits bei Personen mit einem erhöhten Psychoserisiko und bei Personen mit abgeschwächten psychotischen Symptomen zu Veränderungen im Dopaminsystem kommen kann. Dieser Zustand wird als „Clinical High Risk“ (CHR) oder „At-Risk Mental State“ (ARMS) bezeichnet. Bei Personen mit ARMS bzw. CHR wurde eine im Vergleich zu gesunden Probanden erhöhte Dopamin-Syntheseund Aufnahmekapazität beschrieben, jedoch geringer ausgeprägt als bei Patienten mit einer manifesten Schizophrenie.
Es stellte sich in Verlaufsuntersuchungen heraus, dass diese dopaminerge Veränderung nur bei jenen Personen mit ARMS/CHR auftrat, die im weiteren Verlauf tatsächlich das Vollbild einer Schizophrenie entwickelten. Dies zeigt, dass eine progrediente Veränderung des Dopaminsystems eng mit der Entwicklung einer psychotischen Symptomatik assoziiert ist. Trotz zahlreicher neuer Untersuchungsergebnisse können derzeitige Versionen der Dopaminhypothese zur Frage Therapieresistenz schizophrener Erkrankungen auf D2/3-Rezeptor-Blocker wenig beitragen. Manche Autoren postulieren die Existenz zweier phänomenologisch ähnlicher, pathogenetisch aber unterschiedlicher Krankheitsentitäten: die „dopaminerge Schizophrenie“ (etwa 80 Prozent der Erkrankungsfälle) einerseits, die „nicht dopaminerge Schizophrenie“ auf der anderen Seite. Entsprechend wird postuliert, dass bei Patienten mit „nicht dopaminerger Schizophrenie“ eine Behandlung mit Dopaminrezeptor-Antagonisten aufgrund der unterschiedlichen Pathogenese nicht wirksam ist. Insgesamt ist die wissenschaftliche Evidenz für eine solche Unterteilung der Schizophrenie in zwei unterschiedliche nosologische Einheiten aber sicherlich noch nicht ausreichend. Dennoch besteht die Hoffnung, dass ein besseres Verständnis der dopaminergen Veränderungen bei Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie dazu beitragen wird, bestehende psychopharmakologische Therapiemöglichkeiten zu verbessern.
Dopamin und psychotische Symptome
Lernen, Belohnung, die Wahrnehmung von inneren und äußeren Reizen sowie motorische Funktionen werden durch Dopamin vermittelt. Aufgrund dieser zahlreichen Funktionen von Dopamin wird die Symptomvielfalt der Schizophrenie verständlich. Wie genau psychotische Symptome mit dopaminergen Veränderungen in Zusammenhang stehen, ist derzeit noch unklar. Erklärungsmodelle gehen davon aus, dass eine erhöhte spontane Aktivität von dopaminergen Nervenzellen im Hirnstamm zu einer veränderten Bedeutungszuschreibung an innere und äußere Reize führt. So werden unbedeutende Reize als hervorstehend und besonders (englisch „salient“) wahrgenommen. Durch die aberrante Bedeutungszuschreibung entstehen Halluzinationen, eine sekundärkognitive Verarbeitung führt zu wahnhaftem Erleben und schließlich Wahn. Diese aberranten Wahrnehmungen können jedoch in vielen Fällen mittels suffizienter Blockade von Dopamin-D2/3-Rezeptoren durch antipsychotische Medikation hintangehalten werden.
Andere Neurotransmittersysteme: Glutamat, Serotonin
Die Tatsache, dass sogenannte „Halluzinogene“ (etwa Psilocybin oder LSD) über das Serotoninsystem wirken, führte zur der Annahme, dass bei psychotischen Symptomen Veränderungen in der serotonergen Signalübertragung vorhanden sind. Hierbei wird insbesondere der Serotonin-2ARezeptor als relevant angesehen, da eine Aktivierung dieses Rezeptors zu Wahrnehmungsveränderungen führen kann und da eine Blockade des Serotonin-2A-Rezeptors Teil des Bindungsprofils vieler antipsychotischen Substanzen wie Clozapin, Risperidon, Olanzapin, und Ziprasidon ist. Gegen eine zentrale Rolle des Serotoninsystems in der Entstehung der Schizophrenie spricht jedoch die Tatsache, dass die Veränderung in Erleben und Wahrnehmung nach Einnahme „halluzinogener“ Substanzen phänomenologisch kaum Ähnlichkeiten zu Symptomen einer Schizophrenie aufweisen, und dass isoliert im Serotoninsystem wirkende Substanzen nicht antipsychotisch wirksam sind.
Auch dem Glutamatsystem wurde international viel Aufmerksamkeit geschenkt. Da Antagonisten am NMDARezeptor psychoseartige Zustände hervorrufen können, wurde eine wichtige Rolle des Glutamatsystems in der Pathogenese der Schizophrenie vermutet. Diese Hypothese konnte durch genetische und Post-mortemStudien untermauert werden. Die Glutamathypothese der Schizophrenie postuliert eine Unterfunktion von NMDA-Rezeptoren. In Folge wurden zahlreiche pharmakologische Ansätze entwickelt, indem beispielsweise die Glycinbindungsstelle des Glutamatrezeptors stimuliert wurde. Bisher konnte jedoch für keine dieser Substanzen eine Überlegenheit gegenüber Placebo gezeigt werden. Derzeit werden glutamaterge Substanzen weiterhin auf eine mögliche Wirkung bei kognitiven Symptomen der Schizophrenie getestet.
Genetische Faktoren
Der Einfluss des Erbguts war für die Schizophrenieforschung immer von großem Interesse. Familiäre Untersuchungen und Adoptionsstudien zeigen, dass die Genetik eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Schizophrenie spielt. Einige Autoren beziffern die Heredität der Schizophrenie mit bis zu 80 Prozent. Nachdem zahlreiche sogenannte Kandidaten-GenStudien, bei denen einzelne genetische Polymorphismen Hypothesenorientiert ausgewählt werden, nur einen geringen Einfluss von Genen fanden, die für den Dopamin-, Glutamat oder Serotoninstoffwechsel wichtig sind, wurden immer größere sogenannte Genom-weite Assoziationsstudien durchgeführt, bei denen die Untersuchung des gesamten Genoms möglich ist. In den letzten Jahren schlossen sich Forscher in internationalen Konsortien zusammen, wodurch es erstmals möglich wurde, Stichprobengrößen von mehreren zehntausend Patienten und ebenso vielen Probanden zu untersuchen. Interessanterweise ergaben diese Untersuchungen, dass Gene, die für das Immunsystem relevante Proteine kodieren, hier vor allem der Major Histocompatibility Complex (MHC), oder Gene, die Kalzium-abhängige Signalwege oder Neuroplastizität modulieren, die deutlichste Assoziation mit Schizophrenie aufweisen.
Da sich im Tiermodell zeigte, dass diese genetischen Faktoren während früher, aber auch späterer Phasen der Gehirnentwicklung von Bedeutung sind, sehen einigen Autoren in den genetischen Befunden auch eine Bestätigung für die Hypothese, dass der Schizophrenie im Wesentlich eine Störung der Hirnentwicklung zugrunde liegt. Da die jeweiligen genetischen Varianten das Erkrankungsrisiko aber nur minimal beeinflussen und da trotz der großen Bedeutung der Heredität ein weit überwiegender Teil der Erkrankungsfälle sporadisch auftritt, also ohne Familienanamnese für Schizophrenie, kann man weiterhin davon ausgehen, dass ein multifaktorielles Geschehen aus Umweltund biologischen Risikofaktoren und deren Wechselwirkung schließlich zum Ausbruch der Erkrankung führen.
Strukturelle und funktionelle Befunde
Mittels Magnetresonanztomographie konnte bei Patienten mit Schizophrenie wiederholt eine Verminderung im Volumen von grauer und weißer Substanz in frontalen und temporalen Bereichen des Gehirns gemessen werden. Da sich die Volumenminderung auch bei unbehandelten Patienten nachweisen lässt, kommt antipsychotische Medikation als auslösender Faktor nicht infrage, zumal diese Veränderungen auch bereits vor Einführung der Psychopharmaka zur Darstellung gebracht wurden. Longitudinale Untersuchungen konnten zudem eine Progression dieser Veränderungen im weiteren Verlauf der Erkrankung feststellen. Mittels funktioneller Magnetresonanztomographie wurde bei Patienten mit Schizophrenie während der Ausführung kognitiver Aufgaben wiederholt eine verringerte metabolische Aktivierung besonders in frontalen Gehirnarealen gefunden.
In einigen Untersuchungen konnte auch ein Zusammenhang zwischen neurobiologischen Veränderungen und Symptomatik gezeigt werden. Auch diese Befunde werden häufig im Kontext einer veränderten Gehirnentwicklung interpretiert, wobei vielfach davon ausgegangen wird, dass bei der Schizophrenie eine Störung vor allem der späteren Phasen der Hirnreifung vorliegt, also während der Spätadoleszenz und im frühen Erwachsenenalter, der Zeit, in der die meisten Patienten erstmals manifeste psychotische Symptome entwickeln.Wiener Forschungsprojekte
Derzeit werden von der Psychoseforschungsgruppe der Klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie mehrere Forschungsprojekte zum Thema „Veränderungen des Dopaminsystems bei Schizophrenie und Amphetaminsensibilisierung“ durchgeführt. Dafür wird der Radioligand [11C]-(+)PHNO eingesetzt, der spezifisch an Dopamin-D2/3-Rezeptoren bindet. Durch die Gabe von Amphetamin wird das extrazelluläre Dopamin gesteigert, wodurch der Radioligand von den Dopaminrezeptoren verdrängt wird. Durch die Signalreduktion kann die Dopaminausschüttung semiquantitativ bestimmt werden. Ein bereits abgeschlossenes Projekt konnte die Ähnlichkeiten der Amphetaminsensibilisierung bei Gesunden und der natürlichen Sensibilisierung des Dopaminsystems bei unbehandelten Patienten mit einer Erstmanifestation einer Schizophrenie aufzeigen.
Ebenso gibt es Hinweise für eine veränderte Regulation des Dopaminsystems durch den präfrontalen Kortex bei der Schizophrenie und nach Amphetaminsensibilisierung. In einem weiteren, erst kürzlich initiierten Projekt soll bei gesunden Probanden erstmalig vor und nach Amphetaminsensibilisierung der Zusammenhang zwischen Dopaminsynthese und -ausschüttung untersucht werden. Ein weiteres Forschungsprojekt widmet sich dem Einfluss von Omega-3-Fettsäuren auf Dopamin-abhängige kognitive Funktionen bei Patienten mit Schizophrenie, Personen mit einem Hochrisikosyndrom und gesunden Probanden.
Zusammenfassung
Mittlerweile kann man mit Sicherheit sagen, dass bei einem Großteil der an Schizophrenie erkrankten Patienten eine Dysregulation der dopaminergen Neurotransmission vorliegt. Neben einer gesteigerten Dopamin-Syntheseund Aufnahmekapazität wurde in den Basalganglien auch eine vermehrte Dopaminausschüttung nach Verabreichung von geringen Mengen von Amphetamin gemessen. Dies könnte die Folge einer natürlichen Sensibilisierung des Dopaminsystems bei der Schizophrenie sein. Zwar gibt es auch Hinweise auf Veränderungen in der glutamatergen und serotonergen Neurotransmission bei der Schizophrenie; die entsprechenden Hypothesen sind im Gegensatz zur Dopamintheorie jedoch kaum durch wissenschaftliche Evidenz belegt. Unklar sind derzeit noch die pathogenetischen Faktoren, die zur Störung der dopaminergen Transmission führen.
Ein möglicher Mechanismus könnte eine fehlerhafte Regulation des Dopaminsystems durch kortikale Strukturen sein. Genetische Untersuchungen, Befunde zu anatomischen wie auch neurochemischen Veränderungen und die heterogenen Risikofaktoren für die Erkrankung legen nahe, dass der Syndrom-Diagnose Schizophrenie pathophysiologische Veränderungen auf mehreren Ebenen zugrunde liegen. Zwar ist das pharmakologische Grundprinzip antipsychotisch wirksamer Substanzen – die Reduktion der dopaminergen Transmission an D2/3-Rezeptoren – seit Jahrzenten unverändert, trotzdem besteht zu Recht die Hoffnung, dass Fortschritte in bildgebenden Verfahren und ein zunehmend genaueres Verständnis des genetischen Hintergrundes dieser schweren psychiatrischen Erkrankung in absehbarer Zeit dazu beitragen werden, den Betroffenen bessere diagnostische Verfahren, wirksamere Therapien und somit eine bessere Lebensperspektive bieten zu können.
Literatur bei den Verfassern
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie, Medizinische Universität Wien, Korrespondenz: ana.weidenauer@meduniwien.ac.at
Von Dr. Ana Weidenauer, Dr. Ulrich Sauerzopf, Dr. Lucie Bartova, O. Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. Dr. Siegfried Kasper, Univ.-Prof. Dr. Nicole Praschak-Rieder und Univ.-Prof. Dr. Matthäus Willeit